National Championship Game 2021: Rückblick und Analyse

„ALABAMA WINS!“

Nein, der Ausruf konnte in diesem Finale nicht ganz so zugleich überrascht und enthusiastisch erfolgen wie bei der letzten National Championship der Crimson Tide in der Saison 2017/18. Auch wenn DeVonta Smith damals wie heute zu den Protagonisten gehörte, fiel das Finale dieser Saison dann doch etwas weniger dramatisch aus: Alabama schlägt Ohio State deutlich mit 52-24 und sichert sich damit seinen sage und schreibe 18. National Title – den sechsten unter HC Nick Saban. Glückwunsch an dieser Stelle! Zwar ist es in der heutigen Zeit sicherlich einfacher, eine Dynastie aufzubauen, doch die Dynastie der Crimson Tide überstrahlt alle anderen der letzten Jahrzehnte schon ziemlich deutlich.

Falls jemand das Spiel noch nicht gesehen hat oder noch einmal auffrischen will: Hier ein paar Highlights.

In dieser Rückschau wird es nicht darum gehen, das Spiel in seinem Verlauf minutiös aufzudröseln. Das wäre bei einem so klaren Ausgang wohl zu langweilig. Ich werde vielmehr ein paar Schlaglichter auf ausgewählte Momente und Matchups werfen und diese mit Plays untermauern. Doch beginnen wir erst einmal mit den Voraussetzungen der beiden Teams.

Personalien

Seitdem der erneute Corona-Ausbruch bei Ohio State bekannt wurde, gab es Spekulationen, welche – und wie viele – Spieler der Buckeyes das Finale verpassen müssen. Es traf letztlich eine nicht unbeträchtliche Menge Backups und drei Starter: DT Tommy Togiai, DE Tyreke Smith und K Blake Haubeil. Die beiden Ausfälle in der D-Line waren natürlich enorm bitter, denn wie ich im Preview herausgestellt hatte, bestand in der überraschend starken D-Line die wohl größte Chance der Buckeyes, die Tide Offense zumindest ein wenig zu bremsen. Togiai spielte eine herausragende Saison (meist als 1-tech DT in der Mitte), Smith war ein wertvoller situational Passrusher, der in den letzten Spielen richtig Feuer gefangen hatte – unter anderem mit mehreren exzellenten Plays gegen die Zone Reads von Clemson mit Trevor Lawrence. Zwar hatten die Buckeyes gute Depth auf DE, dennoch schmerzte Smiths Fehlen.

Auf der anderen Seite wärmten sich zwei verletzt gewähnte Starter zumindest mit auf: Bei C Landon Dickerson war dies rein symbolischer Natur – auch wenn er für die beiden kneel-downs am Ende tatsächlich aufs Feld durfte, was nebenbei gesagt eine tolle Geste von Saban war. Die Story im Vorlauf des Spiels gehörte aber eindeutig Star-WR Jaylen Waddle, der 11 Wochen nach seinem Knöchelbruch wieder auflaufen wollte. Schon beim Aufwärmen wirkte das relativ einbeinig, da Waddle bei seinen Routes (die trotz Verletzung immer noch beeindruckend schnell waren) erkennbar humpelte. Im Spiel wurde er dann auch eingesetzt und fing sogar drei Bälle, doch gesund sah das wirklich nicht aus. Ich kann einen gewissen Respekt nicht verhehlen: Kaum ein Spieler wäre angesichts der Draft mit einem so hohen medizinischen Risiko hier aufgelaufen. Dass er das dennoch unbedingt wollte, spricht dafür, dass er ein absoluter Vollblut-Footballer ist. Die Frage ist, ob Saban und das restliche Trainerteam ihn hier nicht besser vor sich selbst geschützt hätten. Ich kann die Kritik verstehen, habe dazu allerdings keine ganz klare Meinung. Letztlich geht es hier ja nicht um eine Gehirnerschütterung, die bleibende Schäden verursachen könnte, sondern ‚nur‘ um eine Fußverletzung. Muss der Spieler da nicht doch selbst entscheiden? Ich weiß es nicht. So oder so halt ich es für einigermaßen verwunderlich, dass die medizinische Abteilung ihn grundsätzlich fürs Spiel freigegeben hat. Doch da bin ich wahrlich kein Experte.

Schemes und Play Designs der Tide Offense

Mein MVP des Spiels ist nicht WR DeVonta Smith, der in einer Halbzeit mit unglaublicher Dominanz 12 Catches für 215 Yards und 3 TDs erzielte. Auch nicht QB Mac Jones, der mit 464 Passing Yards den Rekord für National Championship Games, aufgestellt von Joe Burrow im vergangenen Jahr, um genau ein Yard übertrumpfte – und ebenso wie dieser 5 TD-Pässe auflegte. Nein, mein persönlicher MVP-Titel geht an Alabamas OC Steve Sarikisian. Der hat sich in seinem letzten Spiel für Alabama noch einmal selbst übertroffen und einen der besten Gameplans überhaupt entwickelt. Texas kann sich auf so viel schematische Kreativität freuen.

Denn eins war klar: Egal wie die Buckeyes in der Defense konkret aufgestellt sind, sie würden alles daran setzen, Heisman-Sieger Smith zu stoppen. Doch dem schob Sark energisch einen Riegel vor. Er bewegte Smith (wenngleich nicht nur Smith) mit pre-Snap Motion immer wieder übers Feld, across the formation oder ins Backfield und entzog ihn so klaren Zuständigkeiten und Zugriffen. Smith hätte auch ansonsten dem Spiel seinen Stempel aufgedrückt, doch hier kamen schematische Exzellenz und überragende Skills in beinahe idealer Kombination zusammen.

Zunächst dachte ich, dass Sark ein paar zu viele Runs von Star-RB Najee Harris gegen gefüllte Boxes callt. Doch vielleicht war das Teil der Strategie, um Buckeyes DC Kerry Coombs dazu zu veranlassen, diese Strategie (s.u.) nicht aufzugeben? Wer weiß…

Da Ohio State ziemlich konsequent in Cover-3 Zonenverteidigung blieb, bediente sich Sark recht opportunistisch underneath bei Off-Coverage und mit längeren Pässen bei Press. In beidem hatte insbesondere CB Shaun Wade, der im Vorfeld des Spiels noch laut rumgetönt hatte, sich mit Smith messen zu wollen, nicht den Hauch einer Chance. Doch das beeindruckendste war wie gesagt der variable Einsatz von Smith. Schauen wir uns ein paar Plays an. Hier sein erster TD:

Tight formation, Playaction, DeVonta deutet einen Endaround an, zwei Buckeyes-Defender (#7 CB Banks und #12 S Ransom) gehen sofort mit seiner Bewegung mit, doch dann bricht er die ab, erhält einen Swing Pass von Jones und kann problemlos in die Endzone laufen.

Der zweite TD von Smith dann mit pre-Snap Motion: 12-Personnel, Smith mit zwei TEs auf der Strong Side, geht in Motion, CB Sevyn Banks (#7) hat ihn in Man und folgt ihm. Smith deutet an, die Motion abzubrechen und wieder auf seine ursprüngliche Seite zurückzukehren, kehrt dann aber wieder um, sprintet in die Flat, easy TD.

Zudem habe ich selbst von Alabama selten ein so RPO-lastiges Spiel gesehen. Das beschränkte sich beileibe nicht nur auf die klassischen RPO-Plays wie den Slant oder (bei Off) den quick Out. Da waren einige wirklich abgefahrene Play Designs bei. Schaut mal hier: RPO Fake Bubble Screen auf WR John Metchie aus Twins Formation, doch der designierte Vorblocker Smith geht nach kurzer Block-Andeutung auf den Slant.

Aus anderer Perspektive:

Zudem spielte Sark wieder viel mit Trips WR auf einer Seite und einem TE auf der anderen. Das führte dazu, dass sich Ohio State entscheiden musste: Ziehe ich meinen einen Outside CB auf der Weakside weg und platziere ihn gegen einen der inneren Receiver der Trips oder belasse ich ihn – dann oftmals weitgehend wirkungslos – am Boundary? Am übelsten wirkte sich diese Strategie im dritten Touchdown von DeVonta aus, der wohl die Entscheidung im Spiel darstellte:

Smith befindet sich hier als innerster WR in der Trips Formation, was in der Regel zu günstigen Matchups führt. Die Buckeyes spielen erneut Cover-3. Smith läuft eine Art vertikale Over Route (mit der er die Seam auf der anderen Seite zwischen S und CB attackiert) und wird dabei dann von dem MLB Tuf Borland übernommen und downfield ‚begleitet‘. Der tiefe Centerfielder Marcus Williamson hängt im Nirgendwo, weil er 1) zu viel Tiefe bekommt und sich 2) auf die beiden äußeren Receiver auf Smiths Seite konzentriert und dann nicht so schnell rüberkommt. Hier nochmal aus anderer Perspektive:

Vielleicht der einfachste lange TD in der Karrierre von Mac Jones und DeVonta Smith. Gegen einen MLB. Please.

Aber auch abseits von DeVonta gab es schematisch einiges zu bestaunen. Nehmen wir den spektakulären TD Catch&Run von Najee Harris:

Hier agiert Alabama mit einer unbalanced Line, so dass der X-WR (Metchie) in Motion gehen darf (was sonst ja nicht möglich wäre). Buckeyes schicken den Blitz auf der unbalancierten Seite, Jones reagiert sofort und wirft einen Lob auf die Wheel Route von Harris aus dem Backfield. Der MLB Tuf Borland bewegt sich aufgrund der Motion und Mac Jones‘ Bewegung (die eher einen Swing Pass auf den in Motion befindlichen Metchie auf die andere Seite nahelegt) einen Schritt zu sehr nach innen und kommt dadurch nicht mehr rechtzeitig rüber. Zudem war Harris hier nicht die einzige Option. Achtet mal auf TE Miller Forristall (#87), der von der Strong Side aus einen TE Leak andeutet (dabei allerdings kurz ins Straucheln gerät). Und wie ich in der Preview als Schlüssel angedeutet hatte: Sark setzte Najee viel als Receiver ein (allein in der ersten Halbzeit 5 Catches, 66 Yards und 1 TD).

Fast alle diese Plays hatten so viele Layers: multiple Optionen, Motions in die eine – oder doch die andere? – Richtung, einige Eye Candies, das war schematisch einfach ganz großes Kino. Sogar so gut, dass man die Leistung von Mac Jones kaum bewerten kann. So viele freie Receiver auf verschiedenen Ebenen des Feldes. Seine Entscheidungen waren erstklassig, insbesondere unter Druck, der Rest geht fast eher auf Sark. Jaja, ich übertreibe etwas.

Und die Buckeyes Defense?

Ich muss zugeben, dass mich die Strategie der Buckeyes Defense schon ein wenig enttäuscht hat. DC Coombs entschied sich für sehr viel 4-3 Base Defense und sogar für eine absurd hohe Zahl Snaps mit 4 Linebackern (an die 40% laut Seth Galina). Es war bekannt, dass die Buckeyes nicht über die große Depth in der Secondary verfügen, aber so darf man das nicht über ein ganzes Spiel beibehalten, wenn man derart verbrannt wird.

Es ist hier allerdings anzumerken, dass einige Teams in den letzten Wochen gegen Alabama ihre Box vollgepackt haben, um Najee Harris zu stoppen. Das ist ein Zeugnis seiner Klasse, die vielleicht von Defensive Coordinators noch einmal mehr gewürdigt wird als von den Fans. Daher ist sein Schnitt von unter 4 Yards pro Lauf nicht besonders aussagekräftig – außer dahingehend, dass die Buckeyes einiges darauf setzten, ihn zu stoppen. Notfalls sogar 4 Linebacker.

Harris reagierte dann auch in der PK nach dem Spiel auf seine unnachahmliche Weise. Ihm war durchaus klar, wie das Gameplan der Bucks aussah:

Harris ist einfach ein einmaliger Typ, den ich wahnsinnig schätze. Nicht dein üblicher Footballspieler. Und bevor es untergeht: Er brach mit seinen drei Touchdowns (insgesamt damit 30) den SEC-Rekord an Touchdowns in einer Saison von einem gewissen Alabama RB namens Derrick Henry (28).

Zurück zu Ohio State: Trotz Harris‘ unbestreitbarer Qualitäten hätte ich in Anbetracht der eigenen D-Line (selbst mit den Ausfällen) hier eher riskiert, dass Harris über mich drüberläuft, als so viele leichte Pässe zuzulassen. Denn hinten standen die Bucks – wie bereits erwähnt – fast immer mit einem single-high Safety, also in Cover 1 (Man) oder Cover 3 (Zone). Und dabei entstanden gerade underneath oft riesige Lücken. So war Alabama wie gegen Notre Dame – wenngleich aus anderen schematischen Gründen – gezwungen, in den ersten Drives mehr klein-klein zu spielen als üblich (die ersten beiden Drives bestanden aus 12 bzw. 11 Plays), doch erstens funktionierte das und zweitens gab es später auf tief die eine oder andere Lücke für größere Big Plays.

Die beiden CBs Shaun Wade und Sevyn Banks waren in Coverage sichtbar überfordert, es bleibt für mich allerdings auch fraglich, warum man so stur bei diesen Aufstellungen geblieben ist. Warum nicht etwas Abwechslung? Mögliche grundlegende Optionen wären beispielsweise gewesen: Dauernde tiefe Absicherung gegen DeVonta Smith, um underneath nicht so viel Cushion zuzulassen. Auf Cover-2 Man setzen und damit Safeties auf beiden tiefen Seiten zu haben. Oder eine Base Dime Defense mit sehr vielen Zone Defendern, die die Fenster kleiner machen. Ein paar mehr Blitze riskieren, um QB Jones öfter zu erwischen (wie bei dem Fumble nach dem Sack von LB Baron Browning in der ersten Hälfte), spätestens als Jones nach seinem einen Lauf in der zweiten Halbzeit merklich angeschlagen war und noch weniger Mobilität als sowieso schon offenbarte.  Ob etwas davon wirklich funktioniert hätte, ist fraglich, aber man hätte nicht andauernd dasselbe präsentiert.

Das Duell auf der anderen Seite

Zunächst war noch Hoffnung vorhanden, dass Ohio State das Scoring würde mitgehen können. Dennoch war der Start des Spiels natürlich maximal unglücklich, als sich RB Trey Sermon gleich im allerersten Play from Scrimmage an der Schulter verletzte. Das sah auf den ersten Blick nicht schlimm aus, führte jedoch zu einem Abtransport ins Krankenhaus. Sermon war die Spiele zuvor richtig heiß gelaufen, hatte gegnerische Defenses einfach dominiert und damit gegen Clemson für sichtbar mehr Freiheiten im Passing gesorgt. Sein Ersatz Master Teague ist kein schlechter Back, in der eigenen Kreation von Yards jedoch merklich limitierter: Power Runner, der ja auch die ersten beiden Touchdowns der Bucks zum zwischenzeitlichen 14-14 erzielte, aber qualitativ eben nicht mit einem Sermon zu vergleichen. Allein dessen überragende Vision hätte Ohio State gutgetan.

Ansonsten verlief das Duell Buckeyes Offense gegen Tide Defense zunächst wie erwartet. QB Justin Fields bediente sich eher in der Mitte des Feldes bei den in Coverage schwächeren Safeties. Nick Saban ließ außen viel Press mit seinen CBs Josh Jobe und Patrick Surtain in den üblichen Cover-1 und Cover 3-Varianten spielen, streute dabei immer mal wieder überraschend eine Cover-2 ein. Gerade Surtain machte ein exzellentes Spiel und killte mit seiner Länge und Aggressivität viele Routen schon an der Line of Scrimmage. Der hervorragende WR Chris Olave war so bis in die zweite Halbzeit kaum ein Faktor und kam erst auf, als das Spiel letztlich schon entschieden war.

Zunächst hatten die Buckeyes gerade über die Mitte die explosiveren Plays als Alabama. Insbesondere ist hier natürlich der sensationelle Catch von TE Jeremy Ruckert gegen LB Christian Harris nach einem Post von der Boundary Side zu erwähnen, der den ersten TD von Teague vorbereitete:

Die Tide Defense agierte insgesamt mit mehr Blitzes als üblich. Die schlugen sich nicht gleich in Sacks nieder, und ab und an konnte Fields dem Druck entweichen und einen seiner gefürchteten längeren Läufe anbringen. Aber: Im Passing wurde er so aus dem Rhythmus gebracht und war gerade in der ersten Halbzeit weniger effizient. Einige Male war er auch nicht ganz akkurat und verpasste offene Würfe.

Ich hätte an Ohio States Stelle allerdings gerade ab dem zweiten Viertel noch viel mehr die Mitte des Feldes attackiert. Alabama musste auf seinen fantastischen true Freshman Nickel-DB Malachi Moore verzichten und verlor seinen aus meiner Sicht noch besten tiefen Safety Jordan Battle nach einer Ejection im ersten Viertel. Kurze Sidenote, großes Lob an Battle, dass er nicht – wie so viele andere – rumheult, sondern Verantwortung übernimmt:

Jedenfalls musste Alabama fortan zwei Backups auf Safety einsetzen: DeMarcco Hellams und true Freshman Brian Branch, dazu eben der ziemlich wacklige Daniel Wright (der im Spiel zuvor zu Gunsten von Hellams gebencht wurde). Hier hätte ich dauernd tief angegriffen mit Slot WR und TEs. Einmal in der zweiten Halbzeit gelang der TD durch Top-WR Garrett Wilson im Slot gegen den hochtalentierten, aber unerfahrenen Branch. Schönes Play übrigens, bei dem Wilson erst einen Inside Cut andeutet und Branch damit komplett verbrennt:

Doch was kam insgesamt viel zu wenig. Alabama hatte die gesamte Saison über große Probleme mit der Coverage von TEs, aber die Buckeyes Offense komplettierte nur den einen, oben verlinkten Pass auf Ruckert und sonst nichts. Das ist schon einigermaßen unverzeihlich, wenngleich es am Spielausgang wohl nichts geändert hätte. Ich fand das Playcalling von HC Ryan Day insgesamt zu konservativ, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass man eben keinen Sermon, sondern einen Teague und einen angeschlagenen Fields im Backfield stehen hatte.

Zweite Halbzeit: Notizen

Mit den drei Touchdowns von DeVonta Smith im zweiten Viertel war das Spiel so gut wie gegessen. Natürlich kann man ein 35-17 in einer Halbzeit noch aufholen, aber gegen Alabama und diese Offense? Schwer vorstellbar. Ohio State spielte ja keine komplett miese erste Halbzeit, dennoch war ein Klassenunterschied sichtbar. Hier ganz gut ausgedrückt:

Eine kleine Chance hätte sich den Buckeyes durch die Verletzung von DeVonta Smith gleich im ersten Drive der zweiten Hälfte geboten. Der verletzte sich am Finger, nachdem er einen Pass nicht festhalten konnte und mit LB Pete Werner zusammenrasselte. Und ja, das war ein klarer Drop, was seine Leistung an dieser Stelle überhaupt nicht schmälern soll. Ohne Smith, quasi ohne Waddle, würde hier eventuell doch noch was gehen?

Nein. Sark callte nun konservativer, um mehr Zeit von der Uhr zu nehmen, was ihm auch exzellent gelang. Besagter erster Drive endete zwar „nur“ in einem FG zum 38-17, verbrauchte dabei mit 7:13 Minuten aber fast die Hälfte des dritten Viertels.

Konservativer heißt indes nicht, dass da nicht immer noch nette Plays bei waren. Hier der erste Touchdown von Backup-WR Slade Bolden, der einmal komplett across the formation full-speed in Motion geht und den schnellen Swing Pass von Jones erhält. Der bedauernswerte CB Wade ist in Man Coverage, nimmt aber nicht genügend Geschwindigkeit auf und ist ohne Chance.

Auch das meiner Ansicht nach schönste Play-Design stammt aus der zweiten Halbzeit. Das muss ich hier abschließend mal kurz highlighten. Zunächst das Play, dann dröseln wir mal alle Layers einzeln auf:

Also: Empty formation mit 12-Personnel (1 RB, 2 TEs) gegen single-high Formation der Defense. Trips Formation auf der Field Side. Najee Harris ist erst outside WR auf der Boundary Side, kommt dann aber mit Orbit Motion auf die Seite der Trips WR (und wird dabei von dem einen zum anderen LB übergeben). Mac Jones macht einem kleinen Pump Fake in Harris‘ Richtung und hält die underneath-Verteidiger damit vorne (man sieht, wie sich der LB einen Schritt nach vorne bewegt). Der outside WR auf der Play Side, Xavier Williams (#3), läuft eine tiefe Route und nimmt damit den Outside CB aus dem Play (da ist es egal, ob Cover 1 oder Cover 3, der CB wird immer mitgehen). Der #2 WR auf dieser Seite ist TE Jahleel Billingsley (#19), der einen Tunnel Screen antäuscht. Der innerste WR auf der Field Side, WR John Metchie (#8), mit einem bewusst verzögernden Release nach außen, täuscht damit einen Block für den Screen an, bevor er in die vollkommen freie Zone durchbricht, die durch die vertikale Route des outside WR und das ganze Geplänkel underneath geschaffen wurde. Fantastisch, oder?

Sark gelang es also selbst ohne die beiden Top-WR, immer wieder einen oder gar mehrere Spieler freizuschemen. Die Tide setzte mehr und mehr auf den Lauf, um die Uhr in Bewegung zu halten, hatte aber immer wieder solche Granaten drin.

Auf der anderen Seite stellte DT Christian Barmore die starke Buckeyes O-Line zunehmend vor Probleme. Der Defensive MVP des Spiels (am Ende 5 Tackles, 2 TFL, 1 Sack und einige Pressures) dominierte mit seltener Athletik bei seiner Masse. Barmore beendete die letzten minimalen Hoffnungen von Ohio State mit zwei Stops in Folge gegen Master Teague bei 3rd und 4th down (wobei man hier auch gerne übers Playcalling reden darf):

Ebenfalls beeindruckend waren seine Passrush Reps, insbesondere bei Stunts über außen. Damit kam er zwar nicht durch, deutete allerdings an, was für eine Force er werden kann – ob dann nochmal im College oder (wahrscheinlicher) in der NFL. Barmore leidet noch an Inkonstanz und muss alle seine Tools richtig zusammenfügen, aber dann, aber dann…

Alabamas Dynastie: ein kurzes Fazit

Eine Saison, über deren Daseinsberechtigung und Ausführung man trefflich streiten kann, hat einen absolut verdienten Sieger gefunden. Aber damit das alles in wenigen Bildern wirklich auf den Punkt gebracht werden kann, bewarben sich die Fans in Tuscaloosa nach Ende des Spiels schon einmal vorausschauend für den Corona-Award 2021. Unfassbar.

Bleiben wir also lieber beim Sportlichen: Alabama gewinnt seinen sechsten Titel seit 2009, Nick Saban seinen siebten Titel insgesamt (einen gabs ja vorher mit LSU). Das ist natürlich eine Dominanz, die beispiellos ist, vor allem, wenn man noch zwei weitere Finalteilnahmen und eine Halbfinalteilnahme hinzurechnet.

Aber wisst ihr, was das Erstaunlichste daran ist? Der letzte Titel liegt ja noch gar nicht so lang zurück, gerade einmal drei Saisons. Dennoch ist seitdem – mit Ausnahme von Saban – der komplette Coaching Staff gewechselt. Kein Coordinator und nicht einmal ein einziger Position Coach der aktuellen Truppe war seinerzeit schon dabei. Das ist verdammt beeindruckend, wenn ihr mich fragt. Alabamas Offense klickt seit der Umstellung auf eine modernere Spread, obwohl sich da so unterschiedliche Charaktere wie Lane Kiffin, Brian Daboll, Mike Locksley oder Steve Sarkisian für verantwortlich zeichneten. Die Defensive wird immer auch Sabans Baby bleiben, doch selbst da musste er sich mehrfach nach neuen Coordinatoren umschauen, insbesondere seitdem sein langjähriger Gefolgsmann Kirby Smart bei Georgia anheuerte. Doch ob Jeremy Pruitt, Tosh Lupoi oder nun Pete Golding – das passt schon. Saban ist nicht nur in der Evaluierung von Spielern, sondern ebenfalls vin Coaches absolute Eliteklasse. Er hat ein Umfeld geschaffen, in dem zwar höchste Leistung gefordert wird (allein wenn man sich seine zahllosen Ausraster an der Seitenlinie vor Augen führt), dessen Gerüst aber so stabil steht wie kaum ein Zweites und daher weniger abhängig davon ist, ob der eine oder andere zweifellos talentierte Coach abgeworben wird. Solange Saban für Alabama verantwortlich ist, bleiben die Tide an der Spitze.

Historische Einordnung

Viele reden mittlerweile – mal wieder – vom besten College Football-Team aller Zeiten. Kommt euch bekannt vor? Jo, dieselben Diskussionen gab es vor einer Saison bei LSU. Seltsame Häufung, wa? Natürlich existieren wieder verschiedenste Metriken, die nun ganz genau belegen wollen, dass es dieses Mal wirklich so ist. Ich bleibe da skeptisch, und zwar aus gleich mehreren Gründen:

Erstens lassen sich verschiedene Ären im College Football extrem schwer miteinander vergleichen. Heute ist es so offensivlastig wie noch nie zuvor, was in der Tendenz zu höheren Siegen führt. Dies verzerrt die Wahrnehmung ein wenig.

Zweitens bleibe ich dabei, dass wirklich jedes Spiel überzeugend gewonnen werden sollte, damit ein Team für ganz ganz oben in Frage kommt. Das hat Alabama diese Saison nicht getan: Gegen Florida gab es einen knappen 6-Punkte-Sieg, gegen Ole Miss befand man sich bis eineinhalb Minuten vor Schluss in einem one-score game. Da gibt es Teams, allen voran natürlich ‚meine‘ Huskers 1995, die jedes Match deutlich gewonnen haben – nicht nur vom Endstand, sondern auch vom Spielverlauf.

Drittens würde ich die aktuelle College Football-Saison von der Leistung an der Spitze doch etwas niedriger bewerten als die vergangenen Jahre: Ohio State 2019 oder Ohio State 2020? Für mich eindeutig ersteres. Clemson 2019 oder 2020? Eindeutig ersteres, von 2018 müssen wir da gar nicht erst anfangen. Ähnliches gilt für einen Großteil der SEC-Konkurrenz (LSU, Auburn), vor allem waren die Defense-Leistungen in dieser Conference gerade im Vergleich zu den Vorjahren ziemlich bedenklich (neben den beiden genannten zudem Florida und tendenziell sogar Georgia).

Das soll wohlgemerkt alles nichts von der Dominanz Alabamas nehmen, nur wäre ich eben ein wenig vorsichtiger mit solchen Schnellschüssen. Was man dagegen noch einmal hervorheben sollte, ist die zweifelsohne legendäre Recruiting-Klasse der Crimson Tide aus dem Jahrgang 2017. Einige spielen natürlich bereits in der NFL. Werft mal einen Blick darauf, einfach nur pervers:

Dass sich von diesen absoluten Top-Prospects überhaupt so viele entschieden haben, für ihre Senior Season zurückzukehren (insbesondere Smith, Harris, Leatherwood und Moses), ist schon einigermaßen unbegreiflich.

Hier könnte nun übrigens der Brückenschlag zu einem anderen Thema erfolgen, das mir sehr am Herzen liegt, nämlich der zunehmenden Konzentration an der Spitze des College Footballs und dessen Auswirkungen auf die Attraktivität des Produkts. Aber das hebe ich mir für einen – hoffentlich bald erscheinenden – weiteren Beitrag auf, in dem ich noch einmal aus der Makroperspektive auf diese und die vergangenen Saisons zurückblicke.

Somit endet an dieser Stelle vorerst meine Coverage der College Football-Saison 2020/21. Ich hoffe, dass es euch grundsätzlich auf diesem Blog gefallen hat und ihr die meisten Beiträge mit Freude oder Interesse gelesen habt. Wie immer bin ich für Anregungen, Verbesserungsvorschläge und Kritik sehr offen.

Bis bald.

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