Preview: Big Ten West 2023

Da ich im Urlaub bin (schöne Grüße aus Tallinn!), verzichte ich auf ein langes Intro zum zweiten Teil des großen Big Ten-Previews. Die Big Ten West ist traditionell die schwächere, aber auch engere Division der Big Ten. Viele Teams auf einem ähnlichen Level, aber eben doch deutlich unter den Schwergewichten der Big Ten East anzusiedeln. Wer darf sich also dieses Mal im Big Ten Championship Game eine ordentliche Abfuhr abholen?

Die vorangestellten Kommentare und Erläuterungen zum Beitrag kopiere ich jetzt nicht noch einmal rein. Ihr findet sie in der Preview zur Big Ten East gleich zu Beginn.

Und hier noch einmal die Takes vom vergangenen Jahr: Preview Big Ten West 2022.

Iowa Hawkeyes

Bilanz 2022: 8-5 (5-4 Big Ten), 3rd Big Ten West

Sieg im Music City Bowl vs. Kentucky (21-0)

SP+ 2022: #23 (Offense #118 // Defense #1)

Nach Punkten 2022: Offense #123 // Defense #2

Bedeutende Abgänge:
Offense: TE Sam LaPorta (2nd round pick Lions), FB Monte Pottebaum (UDFA Steelers – retired) // WR Keagan Johnson (Transfer Kansas State).
Defense: DL Lukas Van Ness (1st round pick Packers), LB Jack Campbell (1st round pick Lions), CB Riley Moss (3rd round pick Broncos), LB Seth Benson (UDFA Broncos), S Kaevon Merriweather (UDFA Bucs) // LB Jestin Jacobs (Transfer Oregon), CB Terry Roberts (Transfer Michigan State)

Schedule 2023: vs. Utah State, @ Iowa State, vs. Western Michigan, @ Penn State, vs. Michigan State, vs. Purdue, @ Wisconsin, vs. Minnesota, @ Northwestern, vs. Rutgers, vs. Illinois, @ Nebraska

Recruiting 2023: #41 (ein 4-star-Recruit: LB Ben Kueter)              

Man ist es ja gewohnt, dass Iowa eine bessere Defense als Offense stellt, das gehört mittlerweile irgendwie zur DNA des Programms. Doch 2022 wurde diese Diskrepanz zu einem Meme: Eine vollkommen unfähige Offense stand einer überragenden Defense gegenüber. Schon 2021 war der Abstand zwischen den beiden Units beträchtlich angewachsen, doch letzte Saison toppte alles Dagewesene. Um das mal in Zahlen zu verdeutlichen: Nach Punkten stellten die Hawkeyes eine der zehn schlechtesten Offenses des Landes bei der zweitbesten Defense. Die advanced Metrik SP+ kürte die Verteidigung der Hawkeyes gar zur besten des Landes – und das bei Rang #118 von #131 des Angriffs. Ich kann mich nicht erinnern, dass der Unterschied innerhalb eines Teams jemals so beträchtlich ausfiel. Man mag sich kaum ausmalen, wie die tagtäglichen Diskussionen im Locker Room so abgelaufen sind.

Wer jetzt aber mit grundlegenden Änderungen im offensiven Coaching Staff rechnen würde, kennt Iowa nicht wirklich: Zum einen setzt HC Kirk Ferentz sowieso auf größtmögliche Kontinuität und Loyalität, zum anderen handelt es sich bei dem OC um niemanden anderes als seinen Sohn Brian Ferentz. Die Hawkeyes sind leider ein anschauliches Beispiel für Vetternwirtschaft. Mit ein wenig mehr Mut zu Veränderung hätten die letzten beiden Jahre anders laufen können.

Nun hatte das Team ja durchaus einen gewissen Erfolg: 2021 Champion der Big Ten West, 2022 verhinderte eine späte Niederlage gegen Nebraska die Titelverteidigung. Immerhin sprang dennoch eine 8-5 Bilanz heraus. Dieses Jahr müssen einige Playmaker der Defense ersetzt werden, die Offense hat dafür einige substanzielle Verstärkungen erhalten. Reicht das für einen erneuten Angriff auf den Divisionsthron?

Hawkeyes Offense

Ein noch tieferer Tiefpunkt – anders kann man die letztjährige Offense nicht beschreiben. Anämisches Passspiel traf auf das schlechteste Laufspiel der Big Ten (unter 95 Yards pro Spiel bei 2.9 Yards pro Lauf), gespickt mit einer üblen 3rd down-Quote von 28.3 %. Dieser Angriff konnte den Ball weder bewegen noch behalten und verließ sich im Grunde genommen darauf, dass die Defense nicht nur keine Punkte zuließ, sondern auch selber noch welche aufs Scoreboard packte.

OC Ferentz lässt eine Art Pro Style-Offense spielen: vergleichsweise viel under Center, das patentierte (Outside) Zone Running, für das die Hawkeyes bekannt sind, viel 12-Personnel mit zwei TEs, und aus diesen Formationen dann konservatives Playaction-Passspiel. Da zu dem sowieso nicht explosiven Passspiel die sonst so gute O-Line seit Jahren schwächelt, kommt der Angriff in keinen Rhythmus.

Ferentz werden wir so schnell nicht los, aber immerhin taten die Hawkeyes das, was ich bereits in der letzten Preview dringend vorschlug: Sie holten sich Quarterback-Hilfe aus dem Portal. Ex-Michigan Starter Cade McNamara beerbt den bedauernswert ineffektiven Spencer Petras und ist quasi eine Art Idealbesetzung für diese Offense. Ein ruhiger konstanter Verwalter, der den Ball sicher verteilt und nicht viele Fehler macht. Genau so ein Typ hat Iowa die letzten Saisons gefehlt. McNamara ist zudem ein anerkannter Leader, der dem Locker Room guttun sollte. Mit dem letztjährigen 3rd stringer Joey Labas und dem kräftig gebauten Wisconsin Transfer Deacon Hill ist die Depth hinter McNamara nicht gerade überzeugend.

Nachdem zu Beginn der Saison das Run Game so gar nicht in Fahrt kommen sollte, gab es in der zweiten Saisonhälfte einen kleinen Boost durch true Freshman RB Kaleb Johnson (779 Rush Yards, 5.2er Schnitt, 6 TDs), der nun der unangefochtene Starter sein sollte. Johnson ist ein kräftiger Back mit guter Balance und der nötigen Vision und one-cut Burst fürs Zone Running. Ihm traue ich den Durchbruch zu, sollte er ein wenig Unterstützung erhalten. Sehr spannender Runner, der etwas Hype generieren könnte. Backup Leshon Williams ist solide, mehr noch nicht. Iowa ist eines der wenigen Teams, bei die Fullback-Position eine besondere Erwähnung verdient hat, da diese Position regelmäßiger Teil der Offense ist. Nach dem Abgang des starken Monte Pottebaum kam nun der Nachfolger via Transfer Portal. Hayden Large hat nicht nur einen typischen FB-Namen, sondern er ist wirklich… large. Ein 6‘5, 250 Pounds Fullback hat auf jeden Fall etwas.

Die Line war neben dem Quarterback das zweite große Sorgenkind. Normalerweise besticht diese Unit durch Beweglichkeit und Toughness, doch davon war 2021 und 2022 nicht mehr so viel zu sehen. Immerhin kehren nun alle fünf Starter plus die Rotationsspieler zurück. Kann ein Jahr gewonnene Erfahrung den Unterschied machen? Vielleicht helfen ja auch schon weniger volle Boxes, da mit QB McNamara das Passspiel mehr beachtet werden muss? Insbesondere die linke Seite um LT Mason Richman und OG Connor Colby gilt als potenziell wichtige Stütze. C Logan Jones ist wie sein Star-Vorgänger Tyler Linderbaum ein Ex-DT mit Athletik und roher Kraft, der sich nun besser zurechtfinden sollte.

Die Receiver sind nach diversen Abgängen noch dünner besetzt als ohnehin schon. Ich erwarte noch weniger Plays in 11-Personnel, sondern je nach Bedarf eher einen zweiten TE und/oder einen FB. Der ewige Slot-WR Nico Ragaini (34-386-1) ist für ein sechstes Jahr zurückgekehrt und bietet eine zuverlässige, wenig spektakuläre Option underneath. Keiner der anderen Receiver hat bisher 100Y Yards auf FBS-Level erzielen können. Diante Vines ist eine erfahrene, aber ebenfalls unspektakuläre Option für den zweiten Receiverposten, allerdings versprechen zwei Transfers ein wenig mehr Upside: FCS-Transfer Seth Anderson (immerhin der Big South Offensive Freshman of the Year), der ein vertikales Element in die Offense bringen könnte, und vor allem Ohio State-Transfer Kaleb Brown. Der war einer der vielen hohen Buckeyes-Recruits (2022er Top 100 4-star), wollte aber wohl nicht so lange auf seine Einsätze warten. Gilt als guter Route Runner mit sicheren Händen und vor allem physischen YAC-Skills. Könnte passen.

Beste Position der Offense sind erneut eindeutig die TEs, und das trotz des Abgangs von Star Sam LaPorta. Ich schrieb bereits letztes Jahr, dass ich dem zweiten TE Luke Lachey (28-398-4) für underrated halte und eine Überraschung zutraue. Gesagt, getan: Er entwickelte sich zu einer veritablen Waffe, nicht nur underneath, sondern im intermediate Bereich vor allem dank seines großen Radius. Gute YAC, vernünftiger Blocker. Er hat aus meiner Sicht NFL-Potenzial. Das gilt auch für den zweiten Top-Transfer von Michigan, TE Erick All. Der war 2021 noch der Starter, verletzte sich aber früh in der vergangenen Saison (und wurde dann von Luke Schoonmaker ersetzt). All ist ein starker underneath Receiving TE mit (mittlerweile) sicheren Händen, der gerade über die Mitte seine Stärken hatte. Könnte das beste TE-Duo der Big Ten sein. Hier Alls Highlights von Michigan:

Die Offense sollte allein wegen McNamara einen deutlichen Schritt nach vorne machen. Macht auch die O-Line Fortschritte und kristallisiert sich zumindest ein starker Receiver heraus, könnte es sogar in Richtung Big Ten-Durchschnitt gehen. Und das wäre im Falle von Iowa ein großer Erfolg…

Hawkeyes Defense

Ich schreibe diese Zeilen Jahr für Jahr und sehe mich in den letzten beiden Saisons umso mehr bestätigt: DC Phil Parker ist einer der besten Football Coaches überhaupt, egal auf welchem Level. Gerade in punkto Coverage-Schemes und Secondary-Entwicklung (sein primäres Tätigkeitsfeld) macht ihm vielleicht niemand etwas vor. Parker lässt mittlerweile eine 4-2-5 Big Nickel spielen, in der der CASH (eine Art Nickel-DB) den dritten Linebacker ersetzt hat. Im Backfield wird recht konsequent two-deep Zone gespielt, dabei wechselt er zwischen Cover-2, Cover-4 und mittlerweile verstärkt Cover-6 (auch Quarter-Quarter-Half genannt: ein Safety übernimmt eine Hälfte des tiefen Feldes, ein weiterer Safety und ein Corner teilen sich die andere tiefe Hälfte auf, ein Corner bleibt wie in einer Cover-2 in der kurzen Flat-Zone vorne). Das klingt nach bend but don’t break und ist es irgendwie auch. Die Defensive Backs sind aber so gut geschult, dass sie Plays lesen und den Ball schulbuchmäßig attackieren, insbesondere bei Breaks aus Off Coverage sowie bei tiefen Bällen. Während andere Corners/Safeties in Panik geraten und den Gegner halten, wird sich hier diszipliniert zum Ball orientiert. Zwar konnten die Hawkeyes die unfassbaren 25 Interceptions aus 2021 erwartungsgemäß nicht wiederholen, aber 13 Interceptions und 23 Turnovers insgesamt bewiesen erneut, dass das alles kein Zufall ist. Nun steht Parker vor der Mammutaufgabe, einige Schlüsselspieler ersetzen zu müssen.

In der 4er D-Line fehlt 1st round Pick Lukas Van Ness, doch das sollte vom zurückkehrenden Rest der Unit ziemlich gut aufgefangen werden. Die DEs werden für einige Unruhe sorgen: Deontae Craig (10 TFL, 6.5 Sacks) war eine der positiven Überraschungen der vergangenen Saison. Der kräftige Edgerusher gewinnt nicht nur mit Power und heavy hands, sondern hat auch einen netten Getoff und unterschätzten Bend. Für mich ein kleiner Breakout-Kandidat.

Auf der anderen Seite steht weiterhin der undersized Passrush Specialist Joe Evans (8.5 TFL, 6.5 Sacks), der regelmäßig zum Quarterback gelangt. Die beiden DTs, der lange Logan Lee (54 T, 8 TFL, 3 Sacks) und der kompakte Noah Shannon (44 T, 8.5 TFL, 2 Sacks), haben sich 2022 deutlich verbessert und bieten einige interior Disruption. Gerade auf Lee sollte man ein Auge werfen. Dahinter wartet schon So. Aaron Graves, der mir als true Freshman wiederholt ins Auge stach. Bin gespannt auf seine Zukunft. Depth ist also sehr gut, Problem ist womöglich insgesamt die geringe Masse der DTs.

Könnte das eine Rolle spielen, nachdem Star-LB Jack Campbell (ihr habt es hier schon 2021 zuerst gelesen) und sein zuverlässiger Nebenmann Seth Benson nicht mehr hinter der Line abräumen können? Wer weiß, die beiden sind wohl kaum zu ersetzen. Zudem transferierte der hochveranlagte, letzte Saison aber verletzte Jestin Jacobs. Wie bei Iowa üblich gibt es einige erfahrene Backups, die einspringen können, unter anderem Sr. Jay Higgins, der als dritter Linebacker einige Spielzeit sah und dabei keineswegs überfordert wirkte. Der spannendste Kandidat ist allerdings eindeutig ein Transfer, Virginias Nick Jackson, eine echte Tacklemaschine mit zusätzlichen Skills als gefährlicher Blitzer. Jackson erzielte die letzten drei Saisons bei den Cavaliers jeweils über 100 Tackles und besticht mit sauberer Technik, wovon ich mich im Vorfeld noch einmal überzeugt habe. Sehr spielintelligenter, disziplinierter Typ. Ich rieche hier den nächsten All-Big Ten-Performer. Ein unterschätzter Coup.

Die Secondary verliert Top-CB Riley Moss und den guten S Kaevon Merriweather, aber allzu große Sorgen sollte man sich nicht machen. Schließlich hat man mit CB/S/LB/whatever Cooper DeJean (75 T, 8 PBU, 5 INT, 3 TD!) den nächsten Star in der Pipeline. Der wenig bekannte DeJean begann 2022 als Nickel/CASH und überzeugte sofort als krasser Playmaker. Nach Verletzungen auf CB wechselte er nach außen und überzeugte dort ebenfalls komplett. Top Speed, sehr beweglich und quick in Coverage dank starkem Footwork, schnelles Closing aus Off, hat Zone Eyes und eine Nase für den Ball und ist richtig tough als Tackler und im Run Support. Hat in einigen Plays sogar Linebacker gespielt. Ein Kandidat für einen Rise in höhere Draftkreise.

Auf der anderen Seite wird CB Jermari Harris stehen: langer dürrer Corner, letzte Saison verletzt, zuvor bewies er als Key Backup richtig gute Ballskills auch dank seiner Reichweite. Sebastian Castro ist für DeJean auf der Nickel/CASH-Position eingesprungen und hat da durchaus überzeugt. Die Depth ist nicht besonders hochkarätig, die Starter versprechen aber extrem hohe Qualität. Bei den Safeties ist das nicht anders: Der ehemalige Walk-on Quinn Schulte (71 T, 6 PBU, INT) hat eine bemerkenswerte Karriere hingelegt. Spielt meist den Free Safety in 2-deep Alignments, agiert diszipliniert, vermeidet Big Plays und ist ein sehr sicherer und guter Tackler. Könnte für ihn meiner Einschätzung nach sogar noch weitergehen. Die SS-Position von Merriweather wird nun der hochkarätige Recruit Xavier Nwankpa übernehmen, der in begrenzter Spielzeit sein großes Talent aufblitzen ließ. Wenn sich hier keiner der Starter verletzt, reden wir erneut über eine der besten Secondaries der Big Ten.

Kaum zu glauben, aber Parkers Defense könnte trotz zahlreicher Star-Abgänge eine vergleichbare Saison hinlegen. Wenngleich eine kleine Regression sicherlich zu erwarten ist, wird diese Truppe den meisten Offenses der Big Ten das Leben zur Hölle machen.

Die Special Teams gehören zu den allerbesten des gesamten Landes. Drew Stevens war in seinem Freshman-Jahr ein bombensicherer Kicker, und Tory Taylor gehörte zu den besten – und leider auch am meisten beschäftigten – Punter des Landes. Die Returns von KR Kaleb Johnson und PR Cooper DeJean waren sehr gefährlich, fraglich ist nur, ob man diese beiden wichtigen Starter weiterhin mit diesen Aufgaben behelligt. In engen Spielen können diese Units der Hawkeyes den Unterschied machen.

Fazit:

Ein voraussichtlich deutlich verbessertes Passspiel, eine womöglich konsolidierte O-Line und eine erneut mörderisch gut besetzte Defense plus top Special Teams: Man kann über Iowas Stil die Nase rümpfen, aber sie beschreiten diesen Weg sehr konsequent und lassen sich nicht von Störgeräuschen irritieren. In einer wie so oft total offenen Big Ten West könnte das zum Titel reichen, zumal Ohio State und Michigan dieses Jahr nicht auf dem Spielplan stehen. Ich würde nicht gegen die Hawkeyes wetten.

Wisconsin Badgers

Bilanz 2022: 7-6 (4-5 Big Ten), 5th Big Ten West

Sieg im Guaranteed Rate Bowl vs. Oklahoma State (24-17)

SP+ 2022: #38 (Offense #79 // Defense #14) (ST #62)

Nach Punkten 2022: Offense #77 // Defense #17

Bedeutende Abgänge:
Abgänge Offense: C Joe Tippmann (2nd round pick Jets), OG Tyler Beach (UDFA Texans) // QB Graham Mertz (Transfer Florida).
Abgänge Defense: NT Keeanu Benton (2nd round pick Steelers), OLB Nick Herbig (4th round pick Steelers), CB Jay Shaw, S John Torchio.

Schedule 2023: vs. Buffalo, @ Washington State, vs. Georgia Southern, @ Purdue, vs. Rutgers, vs. Iowa, @ Illinois, vs. Ohio State, @ Indiana, vs. Northwestern, vs. Nebraska, @ Minnesota

Recruiting 2023: #58 (ein 4-star Recruit: S Braedyn Moore)

Ein Erdbeben hat Wisconsin heimgesucht. Anders kann man die Entwicklungen des vergangenen Jahres und den Ausblick in die nähere Zukunft kaum beschreiben.

Den ersten Paukenschlag gab es nach dem fünfen Spieltag: Aufgrund einer enttäuschenden 2-3 Bilanz zum Saisonstart inklusive einer Klatsche gegen Illinois entschied sich AD Chris McIntosh, den langjährigen Erfolgscoach Paul Chryst zu entlassen. Ungewöhnlich genug für die Badgers, die wie kaum ein anderes Team für Kontinuität auf allen Ebenen stehen. Interims-HC wurde DC Jim Leonhard, der schon länger als ‚natürlicher‘ Nachfolger von Chryst betrachtet wurde, der allerdings auch bei anderen Programmen hoch im Kurs stand. Kaum jemand zweifelte daran, dass Leonhard nach dieser Saison zum dauerhaften HC ernannt werden würde.

Aber wie das so ist: Interims-Zeiten haben nicht immer einen positiven Effekt. Viel besser lief es unter Leonhard nicht, und der eingeplante Divisionstitel wurde deutlich verfehlt. Dennoch: Es war ja nicht Leonhards Team, und eine Übernahme von so viel Mehr-Verantwortung durch einen jungen Coach mitten in der Saison hätte gut als Ausrede bzw. Erklärung fungieren können. Doch McIntosh schockte die College Football-Welt, indem er Cincinnatis HC Luke Fickell nach Madison lotste. Fickell coachte auch gleich das Bowl Game, einen Sieg gegen Oklahoma State. Er war sich der Brisanz der Situation durchaus bewusst und bot Leonhard sogleich einen Job in seiner Defense an, den der nach kurzer Bedenkzeit allerdings ablehnte.

Wer diesen Blog kennt, kennt meine riesige Wertschätzung für Fickell seit vielen Jahren. Ich hätte ihn gerne in der Big Ten gesehen (u.a. bei meinen Huskers), aber in Wisconsin fühlt sich das einfach weird an. Seit dem legendären HC (und später AD) Barry Alvarez in den 1990er Jahren hat Wisconsin nun mal eine glasklare DNA in Offense und Defense. Recruits werden dafür zielgerichtet gesucht und aufgebaut, die regionale Verbundenheit ist Kern des Programms. Und nun wird alles ganz, ganz anders aussehen.

Ich schaue darauf ein wenig wehmütig: So sehr mich eine Hassliebe mit den Badgers verband, aber sie standen für etwas. Fickells Koordinatoren verraten schon, dass gewaltige Umbrüche anstehen. Für die Offense wählte er UNC OC Phil Longo, einen Spread-Vertreter, der allerdings oftmals aus dem vorhandenen Talent nicht das Maximum herausholte (siehe Ole Miss der späten 2010er Jahre). Die Defense fällt traditionell unter Fickells Zuständigkeitsbereich, hier nahm er seinen DC Mike Tressel aus Cincinnati mit, der den Abgang des vorigen DC Marcus Freeman zu Notre Dame einigermaßen aufzufangen wusste.

Schauen wir uns mal genauer an, wie groß der Umbruch sein wird. Und wie schnell kann Fickell in der traditionell ausgeglichenen Big Ten West damit Erfolg haben? Vorteil: Der Umbruch im Roster fällt für einen solchen Coaching-Wechsel vergleichsweise gering aus, gerade in der Defense gab es kaum Abgänge durchs Transfer Portal. Fickells Ruf als Defense-Genie eilt ihm hier wohl voraus.

Badgers Offense

Eine mächtige Power O-Line mit viel Gap Blocking. Spektakuläre, meist kräftige Running Backs. TEs mit starkem Blocking. Ball Control. Keine Fehler. Passing Game nur als Ergänzung, Abwechslung oder bei langen 3rd downs. Den Gegner überpowern und ermüden. So sah die Badgers Offense über drei Jahrzehnte ziemlich unverändert aus.

OC Longo steht dagegen für eine passlastige Spread, in der vor allem die one-on-one-Duelle außen gewonnen werden müssen. Schon die Wahl der Quarterbacks zeigt, wohin die Reise gehen wird. Der – gemessen an den Erwartungen – enttäuschende Graham Mertz ist weg, dafür holte man sich gleich drei neue Passer, einen fürs Hier und Jetzt, zwei für die Zukunft. Allein der Transfer von Ex-Oklahoma und SMU QB Tanner Mordecai ist ein deutliches Indiz für die neue Ausrichtung der Offense. Mordecai ist extrem erfahren (nun im sechsten Jahr, war zu Beginn seiner Karriere der Backup von Kyler Murray!), und begeisterte die letzten beiden Saisons als Gunslinger in der vertikal ausgerichteten Spread von SMU. Verfügt nicht über den krassesten Arm, aber gewinnt mit Timing und Ball Placement. 7000 Pass Yards in zwei Saisons bei den Mustangs sprechen eine deutliche Sprache. Diese Offense wird wirklich komplett anders aussehen. Hinter ihm halten sich zwei junge QBs bereit: Nick Evers ist ein ehemaliger 4-star Recruit von Oklahoma, Braedyn Locke ein urprünglicher Recruit für Mike Leachs ultra-passlastige Air Raid bei Mississippi State. Wie gesagt, die Tendenzen sind eindeutig.

Dennoch bleibt abzuwarten, wie radikal der Wechsel ausfallen wird. Schließlich haben die Badgers weiterhin Superstar-RB Braelon Allen (1242 Rush Yards, 5.4er Schnitt, 11 TDs, Receiving 13-104-0) in ihren Reihen. Allen war letzte Saison etwas gehandicapt aufgrund kleinerer Verletzungen, ist im Vollbesitz seiner Kräfte einer der besten Runner des Landes. Linebacker-Maße mit 6‘2, 235, aber nicht nur ein brachialer Power Back, sondern ein erstaunlich variabler Runner, der auch outside und über die Edges zum Erfolg kommen kann und mit seinem starken Speed nicht leicht einzuholen ist. Zeigt schon im Backfield seine Quickness und sidestepping Skills, verfügt über eine gute Patience und Vision, kann seine Füße wirklich gut bewegen. Läuft zwar etwas aufrecht und kassiert dadurch viele Body Shots, absorbiert diese aber teilweise mühelos.

Sein Backup Chez Mellusi (473 Rush Yards, 4.2er Schnitt, 2 TD) ist ziemlich underrated. Ein quirliger Wühler-Runner mit schnellen Richtungswechseln und dabei alles andere als ein Leichtgewicht, das schnell zu Boden geht. Ungewöhnlicher, aber sehr leckerer 1-2-Punch. Doch wie groß wird ihr Anteil am Gameplan Woche für Woche sein?

Das hängt sicherlich auch von der Entwicklung der O-Line ab, die sich nun nicht mehr nur auf ihre Mauler-Fähigkeiten und physische Dominanz verlassen kann, sondern im (dauernden) Passblock gefragt ist. Obwohl das eine ziemliche Umstellung sein wird, bin ich hier einigermaßen optimistisch. Allerdings gab es vergangene Saison da ein paar Wackler. Nun sind C Tippmann und OG Beach Geschichte, doch kehren die anderen drei Starter und vielverprechende Backups zurück. Die linke Seite ist mit dem hünenhaften LT Jack Nelson (gilt als spannender Draft Prospect, mal ein Auge drauf haben) und OG Tanor Bortolini exzellent besetzt. Bortolini begeisterte viele Experten in der vergangenen Saison mit seiner schnellen und explosiven Blockaufnahme, könnte auch ein Draftkandidat sein. RG Michael Furtney und die beiden Kandidaten für den RT-Spot, Trey Wedig und der junge vielversprechende Riley Mahlman, sollten mindestens überdurchschnittlich sein. Zudem brachte Fickell C Jake Renfro aus Cincinnati mit, um Tippman zu ersetzen. Insgesamt eine exzellente Line – allerdings mit der kleinen Unwägbarkeit eines passlastigeren Ansatzes.

Wenn es eine Positionsgruppe gibt, die nun viel mehr im Rampenlicht stehen wird, dann sicherlich die Receiver. Hier gab es wenig überraschend einige Zugänge aus dem Portal, wenngleich die ganz großen Namen ausblieben. Der für mich beste Receiver ist aber ein alteingesessener mit Chimere Dike (47-689-6), den ich für ziemlich underrated halte. Typ längerer eleganter Receiver mit inside/outside Variabilität (mag ihn außen allerdings mehr) und (vertikalen) Sideline-Skills, hat sich zudem in punkto YAC und Catches in traffic verbessert.

Seine neuen Kollegen sind zum einen USC-Transfer C.J. Williams, ein hoher 4-star Recruit aus 2022, ein großer Receiver mit sehr viel Potenzial im Route Running, der schnell eine prominente Rolle einnehmen sollte, sowie OK State Transfer Bryson Green, ein physischer YAC-Spieler. Dazu brachte Fickell den dürren Slot Will Pauling aus Cincinnati mit, der dort hinter Tre Tucker spielte. Mit Skyler Bell (30-444-5) gibt es eine talentierte Alternative aus dem vorherigen Roster der Badgers, der zudem viel bei Jet Sweeps etc. den Ball in die Hand bekam. Das ist sicherlich noch keine herausragende Unit, aber eine mit Upside.

Bei den vormals so wichtigen TEs müssen einige Abgänge verkraftet werden, und kürzlich beendete der beste verbliebene Spieler der Unit, Clay Cundiff, wegen anhaltender Verletzungsprobleme seine Karriere. Erste Kandidaten sind nun der unerfahrene Jack Pugh und der Blocking-Spezlaist Hayden Rucci. Ich gehe allerdings von geringeren Snapzahlen für die TEs aus (insbesondere deutlich weniger 12-Personnel).

Die Offense wird sicherlich einen Moment brauchen, um sich einzuspielen. Wenn Longo zunächst etwas mehr aufs Run Game setzt, um den Übergang geschmeidiger zu gestalten, sollten die Badgers keine ganz schlechte Unit stellen. Und Mordecai steht für ein gewisses Spektakel.

Badgers Defense

Eine 3-4 Defense mit mächtiger, NFL-Style D-Line und viel two-gapping. Aktive, sehr physische Linebacker, mit denen auch inside gerne geblitzt wird. Eine eher vorsichtige, aber sehr disziplinierte Off Zone-Secondary, die Big Plays verhindern soll. Offenses müssen sich ihren Weg übers Feld erarbeiten. Das waren die Grundprinzipien der Badgers Defense in den vergangenen Jahren.

Und nun: Fickells 3-3-5 Defense mit einigem Freelancing vorne. Overhang Player auf beiden Seiten, die das RPO Game (und hier besonders die Slants/Ins) erschweren sollen. Aggressive Press Coverage mit vielen Man-Anteilen außen.

Auf den ersten Blick scheint der schematische Wandel in der Defense ähnlich groß wie in der Offense. Allerdings halte ich es für unwahrscheinlich, dass Fickell sein Erfolgsrezept aus Cincinnati umstandslos auf die Big Ten applizieren wird. Schließlich war Fickell über lange Jahre ein Verfechter der traditionelleren 4-3 Ohio State Defense mit Press Man- und Press Quarters -Elementen in der Secondary. Die Adaption bei den Bearcats war den extremen Spread-Offenses in der AAC (wie Memphis oder UCF) geschuldet. Ich habe mir ein paar Ausschnitte aus dem Spring Game angeschaut, dort implementierten Fickell und Tressel verschiedene Formationen: die Badgers 3-4 ebenso wie eine 2-4-5 Nickel und 3-3-5 Looks. Fickell ist einer der besten Defensive Minds im Football insgesamt, daher vermute ich, dass wir einen bunten Mix aus traditionellen Badgers-Formationen, Ohio States 4-3 und Cincinnati 3-3-5 sehen werden. Was sich allerdings ändern dürfte, ist das aggressivere Spiel der Cornerbacks.

Anyway, Fickells Defense gibt seiner Front einige Freiheiten, um Pressure zu generieren – sicherlich ein Grund, warum viele der Spieler erstmal bei den Badgers geblieben sind, um diese spannende Defense für sich zu testen. In der Line muss NT Keeanu Benton ersetzt werden, das könnten entweder Isaiah Mullens (etwas undersized für die Mitte-Position, aber so hat Fickell öfter spielen lassen) oder der klassische NT Gio Paetz übernehmen. Ein 3-4 DE/DT-Posten sollte für den starken Run Defender Rodas Johnson (6 TFL) reserviert sein, der sich kaum bewegen lässt. Auf der anderen Seite hat man sich einen extrem spannenden und ziemlich unterschätzten Transfer mit Temples Darian Varner geholt. Ein undersized DT/kräftiger DE-Hybrid mit netter Disruption, guten Händen und top Effort, der auf den ersten Blick perfekt in Fickells System passt. Watch out.

Ein Problem der Badgers-Defense wird sein, ohne Nick Herbig konstanten outside Passrush zu kreieren. Der andere starting OLB C.J. Goetz (61 T, 8 TFL, 2 Sacks) ist ein exzellenter Run Defender, extrem guter Tackler und Edge Setter, aber leider kein Passrush-Monster. Hoffnungen ruhen hier wohl vor allem auf dem kompakt gebauten Darryl Peterson oder Michigan State-Transfer Jeff Pietrowski, der sich als ehemaliger undersized 4-3 DE erstmal an die neue Position gewöhnen muss.

Sollte die Pressure durch die OLBs zu gering ausfallen, dürften wohl wieder die ILBs auf einige Blitzes geschickt werden. So oder so sind sie eindeutig das Herzstück der Defense. Ich bin ein riesengroßer Fan von Maema Njongmeta (95 T, 11.5 TFL, 3.5 Sacks, INT) , der im vergangenen Jahr die Abgänge von Jack Sanborn und Leo Chenal schnell vergessen machte. Extrem physischer Spielstil, allerdings kein reiner Thumper, sondern mit gewisser Quickness und lateral Range ausgestattet, herausragender Run Defender und harter Tackler. Wenn er dich trifft, geht es zurück. Sein Nebenmann Jordan Turner (68 T, 5 TFL, 2 Sacks, INT) ist nicht ganz so spektakulär, aber ebenfalls ein starker Run Defender und ähnlich gefährlicher inside Blitzer. Erneut stellen die ILBs das Prunkstück in der Mitte dar, wie bei den Badgers eigentlich auch nicht anders zu erwarten.

Die größten Fragezeichen bestehen in der Secondary: nicht nur wegen dem neuen System, sondern weil vier der fünf Starter ersetzt werden müssen. Nur SS Kamo’i Latu (55 T, 3 TFL, 2 Sacks, 2 INT) ist geblieben, er dürfte vor allem den Enforcer und Hole Player/Robber geben. FS/Centerfielder wird wohl von Backup Hunter Wohler übernommen, mir wäre aber wohler, wenn sich hier weitere Alternativen herausschälen würden. Mich hat es etwas gewundert, dass Fickell im Defensive Backfield nicht mehr Konkurrenz via Transfer Portal geholt hat – vielleicht ein Indiz, dass man selbst die Coverage gar nicht so radikal umkrempeln will? Außen werden die beiden letztjährigen Backups CB Ricardo Hallman (hatte ein paar gute Szenen 2022, beweglicher fluider Cover-Guy) und der 6th year Senior CB Alexander Smith, der bisher geduldig im Schatten anderer Spieler gewartet hat. Eine Seltenheit heutzutage. Backups der beiden sind gleich vier (!) true Freshman aus der diesjährigen Recruiting-Klasse. Da darf wirklich nichts schiefgehen. Einziger Transfer in der Secondary ist der erfahrene Jason Maitre, der in den letzten vier Jahren als Nickel-DB und S bei Boston College startete und nun wohl für die Slot-Position vorgesehen ist. Unterschätzter Fang. Falls es Probleme bei den tiefen Safeties gibt, wäre er sicherlich ein Kandidat, um nach hinten zu rücken. Dennoch: So ganz überzeugt bin ich von dieser Unit nicht.

Eine Einschätzung der Defense fällt unglaublich schwer, weil ich schlicht keine Ahnung habe, was Fickell mit ihr vorhat. Mein Vertrauen in ihn ist allerdings extrem hoch – und gerade in der Front 6/7 gibt es schlicht zu viele Playmaker.

Die Special Teams der Badgers waren okay, allerdings müssen nun beide Kicker ersetzt werden. Ohio Transfer K Nathanial Vakos ist allerdings (leider) ein sehr guter Fang. WR Dike bewies sein Talent als Kick Returner und könnte nun auch die 2022 brachliegenden Punt Returns übernehmen.

Fazit:

Umbrüche dauern mitunter, dennoch gilt Wisconsin erneut als einer der heißesten Kandidaten auf die Big Ten West-Krone. Viele sehen eine klare Favoritenstellung, doch da bin ich noch etwas vorsichtig. Die Offense sollte nach kurzer Eingewöhnungszeit auch im Passspiel ordentlich produzieren. Die Defense ist in der Front hervorragend besetzt. Wenn Fickell durch Scheme und Blitzes etwas Passrush aus der zweiten Reihe generieren kann und seine Magie bei einer etwas suspekten Secondary funktioniert, könnte es durchaus schon jetzt reichen. So oder so: Die Zukunft über diese Saison hinaus sieht verdammt rosig aus.

Illinois Fighting Illini

Bilanz 2022: 8-5 (5-4 Big Ten), 2nd Big Ten West

Niederlage im ReliaQuest Bowl vs. Mississippi State (10-19)

SP+ 2022: #21 (#99 // #2)

Nach Punkten 2022: Offense #95 // Defense #1

Bedeutende Abgänge:
Offense: RB Chase Brown (5th round pick Bengals), OT Alex Palczewski (UDFA Broncos), C Alex Pihlstrom (UDFA Saints), QB Tommy DeVito // WR Brian Hightower (Transfer Cal).
Defense: CB Devon Witherspoon (1st round pick Seahawks), S Quan Martin (2nd round pick Commanders), S Sydney Brown (3rd round pick Eagles), S Kendall Smith (UDFA Commanders), LB Isaac Darkangelo (UDFA Lions).

Schedule 2023: vs. Toledo, @ Kansas, vs. Penn State, vs. FAU, @ Purdue, vs. Nebraska, @ Maryland, vs. Wisconsin, @ Minnesota, vs. Indiana, @ Iowa, vs. Northwestern

Recruiting 2023: #38 (ein 4-star: WR Malik Elzy)

Was für eine Saison von Illinois! Von vielen auf den vorletzten oder letzten Platz der Division getippt, fand man sich nach acht Spieltagen mit einer 7-1 Bilanz auf #14 gerankt an der Spitze der Big Ten West wieder. Danach ging den Illini ein wenig die Luft aus: Drei Niederlagen in den letzten vier Spielen der regulären Saison verhinderten letztlich einen Auftritt im Conference Championship Game. Allerdings bleibt anzufügen, dass die drei Niederlagen jeweils mit einem Score Unterschied zustande kamen und man bei Michigan einen 4th down Stop vom Sieg entfernt war.

Dieser Turnaround von HC Bret Bielema und Co. ist umso eindrucksvoller, wenn man bedenkt, dass er größtenteils nicht einmal mit den eigenen Spielern zustande kam, sondern mit den Hinterlassenschaften von Vorgänger Lovie Smith. Leider bleiben solche Leistungen selten verborgen, und so krallte sich Purdue nach dem Verlust ihres HC Jeff Brohm den aufstrebenden DC Ryan Walters, der mit seiner Defense die College-Welt verzauberte und der drei seiner Defensive Backs zu hohen Draftpicks entwickelte. Bielema machte das meiner Ansicht nach einzig richtige: Er suchte keinen neuen externen DC, sondern beförderte den aus seiner Sicht geeignetsten Position Coach, um größtmögliche Kontinuität zu bewahren. Walters nahm LB Coach Kevin Kane mit, Bielemas Wahl fiel folgerichtig auf DB Coach Aaron Henry, der fortan die Geschicke der Defense leiten wird. Henry hat gleich die schwere Aufgabe, vier der fünf Starter im Defensive Backfield zu ersetzen. Und auch in der Offense stehen ein paar Veränderungen an.

Hat Illinois dennoch das Potenzial, erneut im Rennen um die Divisionskrone einzugreifen?

Fighting Illini Offense

Im ersten Jahr vom neuen OC Barry Lunney waren zwar Verbesserungen in der Offense zu verzeichnen, allerdings blieb der Angriff im unteren Bereich der Big Ten (sowie der gesamten FBS) gerankt. Allerdings sind diese Zahlen etwas irreführend: Illinois kontrollierte mit seinem lauforientierten Ansatz die Uhr, vermied Fehler weitestgehend (nur fünf Interceptions), was die Menge an Big Plays natürlich unterminierte. Immerhin zeigte der Trend im Passspiel nach oben, und das war ja einer der Hauptgründe für die Verpflichtung von Lunney.

Nun muss er allerdings erst einmal einen Nachfolger für Tommy DeVito. Das ist halt der Nachteil an Grad Transfers. Dafür holte man sich erneut zwei Transfers: Klarer Favorit auf den Starterposten ist Ex-Ole Miss QB Luke Altmyer, ein solider Pocket Passer mit etwas Mobilität. Bei den Rebels kam er an Matt Corral und Jaxson Dart nicht vorbei, nun versucht er also im Norden sein Glück. Sollte er die Erwartungen nicht erfüllen können, stünde Ball State Transfer John Paddock bereit. Paddock wartete lange auf seine Chance bei den Cardinals, konnte die in seiner ersten Saison als Starter 2022 nur bedingt nutzen. Er ist nochmal mehr ein reiner Pocket-QB.

Noch schwerer wiegt der Abgang von Star-RB Chase Brown, der wie gemacht für das Zone Running der Illini war. Seine beiden Nachfolger könnten unterschiedlicher kaum sein: RB Reggie Love ist ein kleiner flinker Runner mit nur 190 Pounds, Josh McCray (letztes Jahr viel verletzt) ein echter Bully mit 240 Pounds. Thunder & Lightning galore! Beide haben aber nicht die Qualität von Brown, insbesondere in diesem System.

Hinzu kommt, dass die starke O-Line zwei ihrer Schlüsselspieler (OT Palczewski, C Pihlstrom) verloren hat. Nun muss mehr über die linke Seite gehen mit LT Julian Pearl und OG Isaiah Adams. Neuer C wird übrigens Josh Kreutz, Sohn vom legendären Olin Kreutz, der ja lange in Chicago gespielt hat und seinen Sohn in Illinois aufgezogen hat. Gerade bei Zone-Teams ist es überragend wichtig, dass die Line als Einheit agiert. Könnte einen Moment dauern, aber solange Bielema niemanden unter den Bus wirft (wie 2021), sollte sich das einigermaßen schnell einpendeln.

Die Receiver sind erneut etwas dünn besetzt. Immerhin sind drei der vier Top-Passcatcher zurück: Casey Washington (31-306-0) und Pat Bryant (34-453-2) sind große Outside Guys, haben jedoch nicht die krassesten YAC-Skills. Washington besticht immerhin mit sehr sicheren Händen und hat auch mal einen Highlight Catch im Angebot. Bester Receiver ist eindeutig Slot Isaiah Williams (82-715-5), der ehemalige Quarterback, der mittlerweile in sein fünftes Jahr geht. Kleiner Spieler mit netten Routes, herausragender Quickness und sensationellen Moves, mit denen er Gegner auf einem Bierdeckel austanzen lassen kann.

Leider wurde er immer ineffektiver nur noch bei ganz kurzen „Routes“ eingesetzt, hier wäre etwas Variabilität gefragt. Hinter den dreien ist kaum Erfahrung vorhanden. Womöglich eine Chance für den hochgelobten 4-star Recruit Malik Elzy, schnell Snaps zu sehen? Auch ein weiterer true Freshman, Kenari Wilcher, ist bereits als erster Backup gelistet.

Der große kräftige TE Tip Reiman ist ein guter Blocker und solider Receiver auf den kurzen Routen. Dürfte gerne noch etwas mehr ins Passspiel eingebunden werden.

Die Entwicklung der Offense hängt fundamental mit QB Altmyer zusammen. Das Laufspiel wird einen kleinen Rückschritt machen, die Frage ist, ob das Passspiel das auffangen kann. Ich bin noch ein wenig skeptisch, lasse mich aber gern überraschen.

Fighting Illini Defense

Was für eine unglaubliche Vorstellung war das bitte? Ich lehne mich aus dem Fenster: Ryan Walters und seine Kollegen haben einen der besten Jobs im letzten Jahrzehnt gemacht: Die beste Defense des Landes nach abgegebenen Punkten (12.8), die #2 nach SP+, die #3 nach zugelassenen Yards (274) – und dazu die #1 nach Turnovers. Das muss man sich noch einmal auf der Zunge zergehen lassen, denn normalerweise gehen Turnover-affine Defenses eher ins Risiko. Aber in jedem Bereich top zu sein, das verdient noch einmal besondere Erwähnung.

Der neue DC Aaron Henry, erst 34 Jahre alt, wird voraussichtlich nichts Wesentliches verändern. Die Defense basierte auf Bielemas alter 3-4 aus Wisconsin-Zeiten mit schweren Linern, modifizierte die Secondary allerdings erheblich, in dem statt Off Zone konsequent Man Coverage (meist aus Off) gespielt wurde. Dadurch konnten die DBs auf Bälle breaken, ohne in Zone-Verantwortlichkeit zu sein, und hatten meist single-high-Hilfe over the top. Walters ließ überragend viel Man spielen, das wird sich wahrscheinlich so nicht aufrechterhalten lassen.

Der größte Trumpf der 2023er Defense ist die 3er Front, und hier insbesondere die beiden 3-4/5-tech DEs, die glücklicherweise viel one-gappen dürfen: Jer’Zhan „Johnny“ Newton (62 T, 14 TFL, 5.5 Sacks) ist mittlerweile zu einem echten Difference Maker herangereift. Für einen 295 Pounder mit überragender Quickness off the Snap ausgestattet, ist als Gap Shooter und mit lateral Moves gleichermaßen effektiv, dauernder Penetrator, macht enorm viele (und v.a. unglaublich schnelle) Plays im Backfield, hat sogar einen gewissen closing Burst, ist mit seiner natürlichen Leverage aber ebenso stark als Edgesetter und kann sich auch mit Power durchsetzen. Schlicht nicht zu blocken. Mittlerweile gilt er als kommender hoher Draftpick.

Der andere 5-tech DE Keith Randolph (53 T, 13 TFL, 4.5 Sacks, INT) ist ebenfalls nicht verkehrt. Etwas größer und schwerer als Newton, nicht ganz so quick, aber ebenfalls ein ständiger Disruptor. Nicht leicht von der Line zu bewegen, kann sich Blocks teils mühelos entledigen mit seinen kräftigen Pranken. Zwei 3-4 DEs, die zusammen 115 Tackles machen? Her damit! Ich bin schon lange Fan der beiden, insbesondere von Newton. Letzte Preview schrieb ich:

In der 3er Line stehen zwei talentierte junge 5-tech DEs, die in der vergangenen Spielzeit als Freshmen zeigten, dass sie nicht überfordert sind: Keith Randolph (5.5 TFL, 4 Sacks) und insbesondere Jer’Zhan Newton (3.5 Sacks). Randolph war der etwas produktivere Passrusher und hat die prototypische Länge, Newton ließ sich schwer bewegen und zeigte in einigen Plays überraschende athletische Attribute: nette lateral Quickness, interior penetration, ziemlich guter closing Burst und Effort. Für 3-4 DEs waren sie an einer signifikanten Menge Plays im Backfield beteiligt und hielten ihren Ground gegen den Lauf. Für beide sollte es nun noch besser laufen, ich erwarte schon einiges, auch wenn es noch nicht die großen Namen sind.

Wie gesagt: Unbedingt drauf achten. Es lohnt sich.

Die Linebacker sind trotz des Abgangs von Isaac Darkangelo ebenfalls hervorragend besetzt: MLB Tarique Barnes (8.5 TFL) ist eine Präsenz gegen den Lauf und sollte nun an noch mehr Plays beteiligt sein. Backup Kenenna Odeluga wurde verstärkt als Blitzer eingesetzt und sollte nun ein paar mehr Snaps als zweiter ILB sehen, wenn die Illini in einer 3-4 und nicht 3-3-5 Nickel spielen. Außen stehen zwei interessante OLBs/Passrusher: rJr. Seth Coleman (5 TFL, 4.5 Sacks) ist ein langer outside Passrusher mit closing Speed und großem Impact Radius. So. OLB Gabe Jacas (5 TFL, 4 Sacks) ist ein athletischer Freak, der als true Freshman erstaunlich viele Plays besorgte. Kann mit Flexibilität über außen und mit Bullrush oder Hand Wrestling durch den Gegner zum Erfolg kommen. Beide weisen hervorragende Pressure Rates auf. Newton, Randolph, Coleman und Jacas sind ein einziger Albtraum für gegnerische Quarterbacks. Das ist eine enorm physische Front.

Was ist nun aber zu erwarten von dem Defensive Backfield? Der eine verbliebene Starter ist CB Tahveon Nicholson (6 PBU, INT): kein großer, dafür ein sehr energetischer und aggressiver Corner mit Fluidität und Burst aus der Transition, der gegenüber den Stars um Devon Witherspoon nicht wesentlich abfiel (allerdings nicht deren Ball Production hatte). Um den zweiten CB-Posten duellieren sich die letztjährigen Backups Tyler Strain und Xavier Scott, die beide im Bowl Game starten durften. Strain bewies schon einmal seine Ball Skills mit zwei Interceptions in limitierter Spielzeit. Bei den Safeties gab es Zuwachs durchs Portal: Der große FIU SS Demetrius Harris ist als guter Tackler bekannt und könnte die Rolle von Sydney Brown übernehmen. Dürfte genau ins Profil von Bielema passen, der Tackling besonders wichtig einschätzt. Der junge Matthew Bailey könnte als tiefer Centerfielder auflaufen, muss sich allerdings gegen Louisville Transfer Nicario Harper durchsetzen. Als Nachfolger von Quan Martin im Slot scheint JUCO Transfer Kaleb Patterson die besten Karten zu haben. Ihr seht, das ist alles noch etwas im Fluss. Ein paar spannende Bausteine haben Bielema und Henry dennoch zur Verfügung.

Die Defense wird wahrscheinlich nicht ganz die Performance von 2022 wiederholen können, sollte aber erneut eine der besten der Big Ten sein – nur dass dieses Mal die Front das Backfield tragen muss…

Die Special Teams der Illini waren zufriedenstellend, insbesondere in den Coverage Units. Bei den Kickern setzt sich das Duell zwischen Caleb Griffin und Fabrizio Pinton fort. P Hugh Robertson hatte keinen guten Schnitt, und die Return Teams könnten etwas Auffrischung gebrauchen. Isaiah Williams war überraschend ineffektiv als Punt Returner.

Fazit:

Illinois gehört zu den besseren Teams der Big Ten West und hat den klaren Vorteil, nicht gegen Ohio State oder Michigan antreten zu müssen. Wenn die Offense ein kleines bisschen explosiver wird und die neue Secondary einigermaßen überzeugt, könnten die Illini erneut überraschen. Ein Bowl Game sollte so oder so drin sein.

Minnesota Golden Gophers

Bilanz 2022: 9-4 (5-4 Big Ten), 4th Big Ten West

Sieg im Pinstripe Bowl vs. Syracuse (28-20)

SP+ 2022: #16 (Offense #84 // Defense #5) (ST #24)

Nach Punkten 2022: Offense #66 // Defense #4

Bedeutende Abgänge:
Offense: C John Michael Schmitz (2nd round pick Giants), RB Mo Ibrahim (UDFA Lions), QB Tanner Morgan (UDFA Steelers), OG Chuck Filiaga (UDFA Packers) // RB Trey Potts (Transfer Penn State).
Defense: S Jordan Howden (5th round pick Saints), CB Terell Smith (5th round pick Bears), EDGE Thomas Rush (UDFA Titans), LB Mariano Sori-Marin (UDFA 49ers) // DT Trill Carter (Transfer Texas), NB Beanie Bishop (Transfer WVU).

Schedule 2023: vs. Nebraska, vs. Eastern Michigan, @ UNC, @ Northwestern, vs. Louisiana, vs. Michigan, @ Iowa, vs. Michigan State, vs. Illinois, @ Purdue, @ Ohio State, vs. Wisconsin

Recruiting 2023: #45 (zwei 4-star Recruits: WR Kenric Lanier, OT Greg Johnson)

HC P.J. Fleck hat das lange Zeit erfolglose Minnesota im oberen Drittel der Big Ten und des College Footballs ingesamt etabliert: Vier Bowlsiege seit 2018, vom Corona-Jahr 2020 abgesehen drei beeindruckende Saisons mit 11, 9 und 9 Siegen – das war man bei den Gophers viele Jahre und sogar Jahrzehnte nicht unbedingt gewohnt. Hinzu kommen nun auch noch zwei Siege in Folge gegen den Erzrivalen Wisconsin im Spiel um Paul Bunyan’s Axe. Das letzte Mal zuvor geschah das 1983/1984. Diese guten Leistungen haben allerdings noch nicht zu einer Divisionsmeisterschaft der Big Ten West geführt: 2019 verlor man das entscheidende Spiel gegen Wisconsin, 2021 ließ man die günstige Gelegenheit durch zwei späte Niederlagen gegen den späteren Division Champ Iowa sowie ein im Aufbau befindliches Illinois verstreichen. Und letzte Saison waren es vor allem die unnötigen Niederlagen gegen Purdue und ein offensiv extrem limitiertes Iowa, die den Ausschlag gaben.

Minnesota ist kein Iowa, aber dennoch hat sich in den letzten beiden Jahren die Schere zwischen einer mäßigen Offense und einer beeindruckenden Defense ziemlich erhöht. Vielleicht kommt daher eine Neuorientierung ganz recht: OC Kirk Ciarrocca wechselte zu Rutgers, und Fleck berief neben dem etablierten Co-OC Matt Simon seinen TE Coach Greg Harbaugh zum Co-OC. Harbaugh ist übrigens nicht verwandt mit Jim und John – und wird auch anders ausgesprochen (Har-BO). Kann dieser Impuls die zunehmend fußlahme Offense wieder in Schwung bringen?

Golden Gophers Offense

Minnesota mag kein Iowa sein, doch in der Offense ähnelten die Gophers zumindest immer mehr dem Rivalen Wisconsin. P.J. Fleck war immer ein Freund einer lauforientierten Offense, doch in 2021 und 2022 nahm das ein wenig Überhand: Durchschnittlich pro Spiel 20 Passversuche bei 46 Läufen (2021) bzw. 22 Passversuche bei 45 Läufen deutet auf eine gewisse Unausgewogenheit hin. Zwar konnte Minnesota damit die Uhr kontrollieren und den Gegner ermüden. Machbare 3rd downs bedeuteten eine Top 10-Quote in 3rd down Conversions (51.0%) und eine Top 5-Quote in Time of Possession (34:07 Minuten). Allerdings fehlte es an Explosivität und Big Plays, wenn diese benötigt wurden. Ich plädiere keineswegs dafür, dass Fleck sein System radikal umstellt. Aber die starke Offense der Saison 2019 beruhte eben darauf, neben dem dominanten Laufspiel ein gefährliches RPO Game (auch mit tieferen in-breaking Routes) aufziehen zu können. Vielleicht gelingt das ja besser mit neuem Personal?

Auf Quarterback ist der ewige Tanner Morgan nun Geschichte, und das ist womöglich gar nicht so nachteilig, da das Passspiel über die letzten Jahre doch ein wenig stagnierte. Der neue Mann ist Athan Kaliakmanis (54.1%, 946 Pass Yards, 8.5 Y/A, 3 TD, 4 INT), der sich wegen Morgans Verletzung letzte Saison schon einspielen konnte. Kaliakmanis ist groß, hat einen guten Arm und ist mobiler als Morgan, insofern bietet er der Offense mehr Variabilität. Allerdings sollte er die Streuung der Pässe etwas reduzieren. Backup Cole Kramer ist schon ewig im Programm, doch das ist bis auf Weiteres Kaliakmanis‘ Offense.

Extrem schwer wiegt der Verlust von Star-RB Mo Ibrahim, einem meiner absoluten Favoriten in den letzten Jahren. Da sein Backup Trey Potts transferiert ist, holte sich Fleck Ersatz beim Ausverkauf seines ehemaligen Teams Western Michigan nach deren Coaching-Wechsel: RB Sean Tyler mag undersized sein, ist aber ein brandgefährlicher one-cut-and-go Speedster mit top plant Foot und Burst (und nebenbei ein exzellenter Kick Returner). Ich bin gespannt, ob die Gophers mit ihm etwas mehr Zone laufen oder bei ihrem variablen Ansatz bleiben. RB Bryce Williams kriegt nach langem Warten als Backup nach seiner guten Freshman-Saison 2018 (!) nun vielleicht ein paar mehr Carries. Oder darf rFr. Zach Evans nach einem Jahr lernen eine größere Rolle übernehmen?

Wie dem auch sei, die Runner konnten sich die letzten Jahre stets auf eine ausgezeichnete O-Line verlassen. Doch der fehlt nun das Herzstück mit dem fantastischen Center John Michael Schmitz und beiden Mauler-OGs. Die erfahrenen Backups werden nun übernehmen, und RT Quinn Carroll scheint wohl auf seine angestammte OG-Position zu wechseln. LT Aireontae Ersery gilt als Talent, und viele Augen werden auf Schmitz-Nachfolger Nathan Boe gerichtet sein. Die Truppe bringt – von Boe abgesehen – wieder ordentlich Masse auf die Waage. Richtig große Sorgen mache ich mir hier nicht, wenngleich ein gewisser Leistungsabfall zu erwarten ist.

Die Passempfänger sind richtig gut und tief besetzt. WR Chris Autman-Bell kommt nach seinem frühen Saisonaus für eine siebte (!) Saison nach Minnesota zurück. Wenn fit, ein echter Gewinn aufgrund seiner Physis, seiner guten Hände und seiner YAC-Skills. Daniel Jackson (37-557-5) ist ein dynamischer Route Runner mit extrem sicheren Händen und kann ebenfalls für Extrayards sorgen, der mehr Aufmerksamkeit verdient hätte. Hinzu kommt per Transfer WR Corey Crooms von – richtig – Western Michigan. Der zweite Playmaker der Broncos neben RB Tyler war ein kleiner Geheimtipp von mir, der in die Fußstapfen von Dee Eskridge und Skyy Moore treten könnte. Ähnlich wie Jackson ein dynamischer Typ mit sicheren Händen, in WMUs Offense gerade bei RPO Slants, Posts und anderen in-breaking Routes sehr gefährlich. Auch vertikal zu gebrauchen dank seiner guten Ball Skills und Ball Tracking. Passt auf den ersten Blick gut in diese Offense, obwohl ich ihn natürlich gern weiter in der MAC gesehen hätte. Zudem haben die Gophers mit Le‘Meke Brockington und dem spannenden Charlotte Transfer Elijah Spencer noch einigen Speed in der Hinterhand. Da müsste einiges gehen. Aber diese ganzen Talente müssen eben auch eingesetzt werden.

Der beste Pro Prospect der Offense könnte TE Brevyn Spann-Ford (42-497-2) sein, ein absoluter Hüne mit 6‘7, 270, der mit einer enormen Fluidität und Beweglichkeit ausgestattet ist, einen monströsen Catch Radius aufweist und zudem im Runblock eine große Hilfe darstellt. Eine Matchup-Waffe, die man nicht oft im Arsenal hat.

Wegen ihm sind Fleck und Co. von ihrem Credo weggegangen, TE primär als Blocker zu verwenden. Backup-TE Nick Kallerup ist allerdings ein solcher häufig eingesetzter Extra-Blocker.

Dieser Offense wäre sehr geholfen, wenn sie wieder etwas passlastiger ausgerichtet ist, ohne das Run Game als Fundament zu vernachlässigen. QB Kaliakmanis hat aufgrund des talentierten und tiefen Receiving Corps eigentlich sehr gute Voraussetzungen – nun muss er sie nutzen.

Golden Gophers Defense

Ich hatte es im letzten Preview schon geschrieben: DC Joe Rossi ist eine der größeren Überraschungen unter den Coaches in der Big Ten. 2018 wurde er eher als Verlegenheitslösung zum DC befördert, schuf nun aber die vergangenen beiden Jahre richtiggehend überragende Defenses. Letzte Saison der vorläufige Höhepunkt: #5 Defense nach SP+, #4 nach abgegebenen Punkten, #7 nach 3rd down Conversions, #8 nach Yards – egal, welche Statistik man heranzieht, diese Truppe hat richtig abgeliefert. Das gelang erstaunlicherweise ohne einen gefährlichen Passrush (nur ein Spieler erzielte mehr als zwei Sacks, und zwar 3.5). Disziplin, Execution, Fundamentals, Tackling und keine groben Fehler sind das Erfolgsgeheimnis.

Rossi lässt eine Base 4-2-5 Nickel spielen, die mit ihrer Line eher die O-Line kontrolliert und die Run Defense fokussiert (daher auch die vergleichsweise niedrigen Sack-Zahlen), aber mit einigen Blitzes und Overloads agiert. Die Coverage ist extrem Zone-lastig, allerdings mit vielen Press-Alignments durchaus aggressiv ausgelegt, nur eben meist mit Hilfe der Safeties tief geschützt.

Der kräftige DE Jah Joyner und Rush End Danny Striggow (der mit den 3.5 Sacks) erledigen ihren Job zuverlässig. Gerade von Joyner erwarte ich diese Saison aber noch ein paar mehr Splash Plays, der hat sein Potenzial immer mal wieder aufblitzen lassen. Innen schmerzt der Transfer von Trill Carter, doch DT Kyler Baugh (36 T) ist sehr aktiv gegen den Lauf und an einigen Plays beteiligt. Wenn einer der Backup-DTs Carter ansatzweise ersetzen kann (evtl. Deven Eastern?), würde ich die Line als solide bewerten.

Die Linebacker sollten trotz des Abgangs von Mariano Sori-Marin in guten Händen sein. OLB Cody Lindenberg (71 T, 4 TFL) kehrt zurück, ein zuverlässiger Run Defender mit guten Instinkten. Neuer MLB wird ein Transfer von – tadaa – Western Michigan: Ryan Selig war dort zwei Jahre solider Starter als MLB und OLB mit ein paar zusätzlichen Blitzing-Skills, die DC Rossi sicher gern ausprobieren wird.

Die Secondary war absolut überragend und gab kaum Yards ab, was angesichts des fehlenden Passrushs umso bemerkenswerter ist. Leider müssen drei Schlüsselspieler ersetzt werden, neben den Draftpicks Terell Smith und Jordan Howden (told you so!) auch NB Beanie Bishop, der trotz guter Leistungen nach einem Jahr zu WVU weiterzog. Geblieben ist CB Justin Walley (3 INT), von dem ich immer noch einen kleinen Breakout erwarte (nicht, dass er bisher schlecht gespielt hätte). Aggressiver Corner mit viel Handarbeit am Gegner, sehr enge Coverage, einige forcierte Incompletions und nette Ball Skills. Müsste sich allerdings noch in punkto Physis und Tackling verbessern, aber ich sehe eine NFL-Zukunft. Daneben braucht es neue Starter, unter den heißesten Kandidaten sind zwei FCS-Transfers: CB Tre’Von Jones und der große Nickel-DB Jack Henderson, zu denen ich jedoch nicht viel beisteuern kann.

Das sieht ganz anders aus bei S Tyler Nubin (55 T, 4 INT), dem ich extrem gern zusehe und den ich für einen vielversprechenden Draft Prospect halte. Spielt meist den tieferen Centerfielder-Safety (wobei Rossi da variabel bleibt), kann hier seine Instinkte und Ball Skills am besten ausspielen. Lässt extrem wenig zu, Quarterbacks müssen bei Pässen über die Mitte stets aufpassen, dass er nicht die Route jumpt.

Als Ersatz für Howden kommen die letztjährigen Backups Darius Green und Coleman Bryson in Frage. Also einige neue Spieler, aber ein relativ klares System. Wir werden sehr viel Cover-3 und Quarters mit einigen Press-Aufstellungen sehen.

Eine Wiederholung der Leistung von 2021 und 2022 scheint aufgrund der Abgänge in der Secondary schwierig, dennoch sollte diese Truppe erneut zu den besseren der Big Ten gehören.

Die Special Teams der Gophers sind solide. P Mark Crawford könnte ein paar Yards drauflegen, und K Dragan Kesich muss den starken Matt Trickett ersetzen. Der Mini-WR Quentin Redding war als KR gefährlich, als PR eher durchschnittlich.

Fazit:

Minnesota könnte in der Offense dank der vielen explosiven Playmaker im Receiving Corps überraschen – wenn das Scheme denn etwas balancierter ausgerichtet wird. Die Defense sollte erneut schwer zu bezwingen sein, wenngleich eine leichte Regression zu erwarten ist. Ich halte die Gophers für unterschätzt und ‚eigentlich‘ für eines der besten drei Teams der West-Division. Aber ob es für ganz oben reicht, bleibt abzuwarten. Der Schedule mit Ohio State und Michigan als Interdivision-Duelle tut in einem voraussichtlich engen Rennen leider keinen Gefallen.

Nebraska Cornhuskers

Bilanz 2022: 4-8 (3-6 Big Ten), 6th Big Ten West

SP+ 2022: #72 (Offense #71 // Defense #61)

Nach Punkten 2022: Offense #102 // Defense #77

Bedeutende Abgänge:
Offense: WR Trey Palmer (6th round pick Bucs), TE Travis Vokolek (UDFA Ravens) // QB Casey Thompson (Transfer FAU), RB Ajay Allen (Transfer Miami).
Defense: DE Ochaun Mathis (6th round pick Rams), DE Garrett Nelson (UDFA Dolphins), LB Caleb Tannor (UDFA Jets) // LB Ernest Hausmann (Transfer Michigan), S Myles Farmer (suspended, Transfer Syracuse).

Schedule 2023: @ Minnesota, @ Colorado, vs. Northern Illinois, vs. Louisiana Tech, vs. Michigan, @ Illinois, vs. Northwestern, vs. Purdue, @ Michigan State, vs. Maryland, @ Wisconsin, vs. Iowa

Recruiting 2023: #25 (ein Top 100-Recruit: WR Malachi Coleman)

Eine weitere Horrorsaison liegt hinter den Cornhuskers. War 2021 ein dauernder Heartbreak mit massig knappen, dramatischen und unglücklichen Niederlagen, kam 2022 einem Totalcrash gleich. Schon nach drei Spielen, darunter einer Niederlage gegen Northwestern (nebenbei deren einziger Sieg 2022) und einem peinlichen Shootout Loss gegen Georgia Southern, zog AD Trev Alberts die Reißleine und feuerte HC Scott Frost, dem er ja noch ein Jahr auf Probe eingeräumt hatte. Frost verabschiedete sich mit einer desaströsen Bilanz von 16-31. Für mich und viele andere Huskers-Fans, die so hohe Hoffnungen in den heimgekehrten Sohn gesetzt hatten, sind die letzten Jahre ziemlich unerklärlich. Ich bin sehr vorsichtig, was Gerüchte angeht, aber es traten in den letzten Monaten durch viele Insider und Vertraute des Programms Infos zutage, dass Frost nicht mit dem allerletzten Engagement bei der Sache war (was ihn ja noch bei UCF so ausgezeichnet hatte), sondern das Leben als König von Nebraska mit all seinen alten Buddys vielleicht etwas zu sehr genoss. Wie dem auch sei: Eine der traurigsten Abschnitte in der glorreichen Historie der Huskers.

Mickey Joseph war für mich persönlich ein Traum- und Wunschkandidat, dem ich überallhin gefolgt wäre. Er belebte das Programm sichtlich, ohne dass das Produkt auf dem Feld nun dramatisch besser ausfiel. Dennoch schien er der richtige Mann zur richtigen Zeit zu sein, um das Programm mit Loyalität, Verantwortung und Solidarität gegenüber den Spielern wieder auf Kurs zu setzen. Ich hätte nichts dagegen gehabt, es weiter mit Joseph zu versuchen…

… doch AD Alberts entschied sich nach einer sehr langen Suche anders und verpflichtete Matt Rhule. Dazu gleich mehr. Nun sind Huskers-Fans eine seltsame Spezies. Viele interessierte am neuen Coach zuerst, ob er Joseph im Staff behalten würde. Erste Zeichen waren positiv – bis Joseph wegen häuslicher Gewalt festgenommen wurde. Man muss es immer wieder betonen: You never know. Wir kennen diese Athleten und Coaches aus dem Fernsehen, finden bestimmte Typen oder Aussagen sympathisch, doch wir wissen es schlicht nicht und werden das auch nie. Ich gebe gerne zu, dass mir diese Geschichte einen ziemlichen Schlag versetzt hat. Ich hoffe sehr, dass es Priscilla Joseph auch von den psychischen Nachwirkungen her halbwegs okay geht. Die Anklage wurde mittlerweile fallengelassen, aber ihr wisst ja, wie das läuft.

Nun zu Rhule: Er weiß halt wirklich, wie er Menschen fängt. Seine ersten Statements und seine Antritts-PK waren genau das, was sich die meisten Huskers-Fans gewünscht haben. Ein Verweis auf die Traditionen. Der Wunsch, nicht nur wieder sportlich relevant zu sein, sondern das auf dem Huskers Way zu schaffen. Physische Offense. Blackshirt Defense. Er versprach sogar die Rückkehr des Fullbacks. Rhule ist ein Program Builder und in der Hinsicht prädestiniert für einen derart schweren Problemfall wie die aktuellen Huskers, doch komme ich nicht umhin, an seine verunglückte Kommunikation zu denken, als es bei den Carolina Panthers nicht lief (und nein, das hat erst einmal wenig mit NFL vs. College zu tun). Immerhin bewies Rhule sofort seine Überzeugungskräfte und bastelte sich innerhalb kürzester Zeit eine Recruiting-Klasse zusammen, die Rang #25 belegt. Ziemlich beeindruckend.

Noch ein paar Worte zu den Koordinatoren: Rhule entschied sich in der Offense für seinen alten Weggefährten Marcus Satterfield, der zuletzt der OC von South Carolina war. Deren Offense strugglete lange, bis am Ende der Saison mit einem entfesselten Spencer Rattler der Knoten platzte. Satterfield hat in seiner Karriere verschiedene Systeme gecallt, so ganz überzeugt bin ich von der Wahl noch nicht. Das verhält sich komplett anders bei DC Tony White, den ich für eine enorm spannende Wahl halte. Im Abschnitt zur Defense werde ich auf sein 3-3-5 Scheme ein wenig genauer eingehen.

Schauen wir also mit leichtem Optimismus nach vorne.

Huskers Offense

Rhule nannte gleich zu Beginn seine Prinzipien, die denen der allermeisten Huskers-Fans sehr entgegenkommen: Physis, dominante O-Line und Laufspiel – und daraus dann ein Pass Game aufziehen. Wie genau die Offense aussehen wird, ist aber noch niemandem so recht klar.

Die erste Entscheidung betraf den Quarterback. Casey Thompson, der sich letzte Saison bewundernswerterweise trotz wenig Hilfe und einer desaströsen O-Line den Arsch aufgerissen hatte, entsprach wohl nicht ganz den Vorstellungen und transferierte mittlerweile zu FAU. Alles Gute! Der Nachfolger ist ein echter Kracher: Georgia Tech QB Jeff Sims entschied sich für die Huskers. Ein idealer Quarterback, wie ihn die alten Tom Osborne-Teams geschätzt hätten: 6‘4, 220, starker Arm und vor allem ein spektakulärer Runner. Genau so jemanden will man in Lincoln sehen. Gerne mit einigen traditionellen Option-Plays im Gepäck.

Hinter Sims sieht es finster aus: Chubba Purdy war letzte Saison komplett überfordert, Heinrich Haarberg hat null Erfahrung. Dennoch: Es wäre angeraten, Sims im Running nicht zu schonen.

Das Kampf um den Starterposten auf RB ist eng: Der letztjährige Starter Anthony Grant (915 Rush Yards, 4.2er Schnitt, 6 TDs, Receiving 18-104-0) ist ein dynamischer Runner mit unterschätzter Toughness, dem im Verlauf der Saison aber ein wenig der Sprit ausging. Der vielversprechende Freshman Ajay Allen transferierte zu Miami, so dass ansonsten vor allem die beiden Backups Gabe Ervin und Rahmir Johnson in Frage kommen. Ervin startete als Freshman 2021 ein paar Spiele und hat nun ordentlich Pfunde draufgepackt. Johnson ist ein kleinerer, wendiger Typ mit ganz guten Receiving Skills. Könnte auch auf ein Komitee hinauslaufen.

Und da Rhule es gesondert erwähnte: Mittlerweile gibt es fünf Fullbacks im Roster. Barret Liebentritt hat den besten Namen, Favorit ist momentan aber wohl Janiran Bonner.

Die größte Aufgabe steht Rhule und Satterfield bei der O-Line bevor, die seit Jahren beständig unterirdisch spielt und die Gesundheit mehrerer Quarterbacks nachhaltig gefährdet hat. Früher als Pipeline die Basis für die großen Erfolge der Offense, heute nur noch eine Drehtür. Rhule entschied sich überraschend dafür, OL Coach Donovan Raiola zu behalten, nahm sich insbesondere für OL und DL auch selbst in die Verantwortung. Nun denn. Hoffnungen ruhen auf dem Arizona State Transfer C Ben Scott und auf dem genesenen LT Teddy Prochazka. Der deutsche OG Nouredin Nouili kehrt nach einjähriger Suspendierung zurück. Da das Personal sich nur unwesentlich verändert hat, werden wir sehen, wie hoch der Faktor Coaching in diesem Fall ausfällt.

Das Receiving Corps ist dünn und ziemlich unerfahren. Wie gern hätte ich Trey Palmer ein weiteres Jahr in scarlet&cream gesehen! Vor wenigen Tagen kündigte dann auch noch Rückkehrer Zavier Betts an, das Team verlassen zu wollen, weil er nicht wirklich mit vollem Herzen dabei ist. Eine bittere, aber sicherlich konsequente und richtige Entscheidung. Der solide WR Marcus Washington (31-271-1) wird einen der beiden outside WR-Posten übernehmen. Der kleine quicke und enorm erfahrene Virginia Transfer Billy Kemp wertet den Slot erheblich auf. Erwarte jede Menge Targets & designed Touches in seine Richtung.

Und vielleicht sehen wir ja schon gleich etwas von Top-Recruit Malachi Coleman, ein Nebraska Highschool-Star, den ich auch abseits des Platzes sehr zu schätzen gelernt habe. Enorm leckeres Skillset: 6‘4 Größe mit Speed und erstaunlicher short-area Beweglichkeit. Ansonsten bliebe für außen noch der letztjährige Transfer Isaiah Garcia-Castaneda – oder einer der vielen weiteren true Freshman-WR, die die Zukunft des Programms sein sollen.

Auf TE gelang ein ziemlicher Coup, denn Rhule gelang es, den ehemaligen 5-star Arik Gilbert (Ex-LSU und Georgia) von den Huskers zu überzeugen. Leider ist er immer noch nicht freigegeben für diese Saison. Gilbert wäre mit seiner Größe und Range eine ideale Matchup-Waffe über die Mitte. Eine andere spannende Option ist Thomas Fidone, ebenfalls ein hoch gerankter Recruit, der allerdings die letzten Jahre mit vielen teils üblen Verletzungen zu kämpfen hatte. Die langweilige Option wäre Ex-Walk-on Nate Boerkircher.

Ich sags ganz ehrlich: Abseits von spektakulären Plays von Jeff Sims habe ich vorerst keine großen Erwartungen.

Huskers Defense

Ich bin extrem gespannt, ob die Defense von DC White in der Big Ten funktionieren kann. White kommt aus dem Coaching Tree des von mir sehr geschätzten Ex-San Diego State HC Rocky Long und lässt eine sehr spezielle 3-3-5 spielen, die sich deutlich von anderen 3er Front Nickel-Defenses abhebt. Während viele 3-3-5 Defenses gegen Spread Offenses konzipiert sind und daher mit leichten Boxes spielen, ist Whites Defense eher dafür ausgelegt, mit leichten Spielern, aber vollen Boxes zu spielen. In der Regel sind die drei Linebacker hinter den drei D-Linern gestackt. Der zusätzliche Nickel-DB steht hier nicht im Slot, sondern ist meist zwischen den beiden Safeties positioniert, kommt bei Run Plays in die Box runter und wird bei Pass Plays von den regulären Safeties geschützt bzw. unterstützt. Dieser Spieler hat ein besonderes Aufgabenprofil, wird wie ein chess piece hin- und herbewegt und ist vom Typ her eher ein S/LB Hybrid als – wie oftmals üblich – ein undersized Corner. In der Box ist diese Defense nur pro forma eine 3-3 und kann pre- und post-Snap problemlos zu einer 4-2 oder sogar 5-2 mutieren (bei letzterem kommt der Rover-Safety nach vorn). Dabei nutzt White die Spieler hinter der Line of Scrimmage für exotische Blitzes, auch Stunts sind fester Teil des Schemes. Vorne unvorhersehbares Geballer, hinten mit meist zwei tiefen Safeties und Zone-lastiger Coverage etwas mehr Vorsicht – das gefällt mir auf den ersten Blick.

Nun muss man White ein wenig Zeit zugestehen, diese recht einzigartige Defense zu installieren. Aber mal ehrlich, letztes Jahr hatte einfach gar nichts funktioniert, von daher nehme ich die Wartezeit gerne in Kauf.

Die beiden 2022er DE-Starter Garrett Nelson und Ochaun Mathis sind in der NFL, also muss hier eh neu besetzt werden. In der neuen 3er D-Line könnte es dazu kommen, dass zwei true Freshmen gleich Starter werden oder zumindest in die Rotation rücken: 4-star Princewill Umanmielen (Bruder von Floridas Princely Umanmielen – die Vornamen sind der Burner!) und 3-star Cameron Lenhardt. Beide sind keine üblichen massigen 5-tech DEs – wie gesagt, die Front ist leichter, dafür aggressiver konzipiert. Underrated DT Ty Robinson (4 TFL, 2 Sacks) ist eine gute Wahl für die Nose.

Als Linebacker sind MLB Luke Reimer (86 T, 3.5 TFL, 5 PBU, INT) und OLB Nick Henrich (nach Verletzung) zurück. Beide sind keine schlechten Spieler, aber inkonstantes Tackling und maues Gap Assignment haben mich gerade bei Henrich in den Wahnsinn getrieben. Vielleicht hilft ein neues System? Dennoch hätte ich so gerne Ernest Hausmann nach dessen eindrucksvoller true Freshman-Saison in diesem System gesehen, doch der folgte ja leider dem Lockruf von Michigan. Für den OLB-Passrush konnte man sich den ehemaligen Top 100 4-star MJ Sherman von Georgia sichern, der dort an ein paar veritablen Draft Prospects nicht vorbeikam, aber einiges zu bieten hat. Bekommt Nebraska endlich einmal wieder einen richtigen QB-Jäger?

Die neuralgische Rover-Position (also der dritte Safety) wird entweder von Isaac Gifford (70 T, 5 TFL, 3 OBU) oder vom größeren Javin Wright übernommen. Da wird es sicherlich Anpassungsprobleme geben.

Die Cornerbacks sollten eine Stärke der Defense sein. Quinton Newsome (10 PBU) ist ein langer Corner mit aggressivem Mindset, das auch im Run Support und bei Blitzes zur Geltung kommt. Am catch point schwer zu bezwingen. Gegenüber Malcolm Hartzog (3 INT) ist noch roh und unerfahren, deutete aber als true Freshman seine Playmaker-Qualitäten an. Wurde ins kalte Wasser geworfen und lernte schnell zu schwimmen. Ex-WR Tommi Hill bietet interessante Depth.

Eigentlich waren auch die Safety-Positionen gut besetzt, bis letzte Woche überraschenderweise Myles Farmer suspendiert wurde (und seitdem zu Syracuse, Whites alter Wirkungsstätte) transferiert ist. Marques Buford (59 T, 2 INT) sollte aufgrund seines Run Supports und seiner Tackling-Skills eine gute Rolle in der Defense einnehmen, die andere Position wird wohl nun entweder vom 2022er FCS-Transfer Omar Brown oder dem aktuellen Florida Transfer Corey Collier eingenommen.

Dieses spannende Defense-Scheme muss sich nun in der Big Ten beweisen. Ich freue mich auf die ersten Auftritte, auch wenn ich mit Enttäuschungen rechne.

Die Special Teams der Huskers waren weiterhin mau, allerdings kein Vergleich zu den fürchterlichen Units von 2022. P Brian Buschini war eine ziemliche Offenbarung, K Timmy Bleekrode hat noch Luft nach oben. Vom Return Game erwarte ich wenig, womit ich leben kann, wenn sich die Coverage Units weiter verbessern.

Fazit:

Jahr 1 unter Matt Rhule ist zum Akklimatisieren vorgesehen. Ich hoffe auf ein paar Wins, bin aber nicht so vermessen, ausgerechnet jetzt auf den ersten Bowl seit 2016 zu hoffen. Ein Jahr brauchen wir noch. Der Grundstein sollte gelegt werden.

Purdue Boilermakers

Bilanz 2022: 8-6 (6-3 Big Ten), Sieger der Big Ten West

Niederlage im Big Ten Championship Game vs. Michigan (22-43)

Niederlage im Citrus Bowl vs. LSU (7-63)

SP+ 2022: #56 (Offense #50 // Defense #63)

Nach Punkten 2022: Offense #75 // Defense #74

Bedeutende Abgänge:
Offense: WR Charlie Jones (4th round pick Bengals), QB Aidan O’Connell (4th round pick Raiders), TE Payne Durham (5th round pick Bucs), WR Milton Wright (Supplemental Draft) // OG Spencer Holstege (Transfer UCLA).
Defense: CB Cory Trice (7th round pick Steelers), LB Jalen Graham (7th round pick 49ers), CB Reese Taylor (UDFA Chiefs) // DT Branson Deen (Transfer Miami), DT Jack Sullivan (Transfer USC)

Schedule 2023: vs. Fresno State, @ Virginia Tech, vs. Syracuse, vs. Wisconsin, vs. Illinois, @ Iowa, vs. Ohio State, @ Nebraska, @ Michigan, vs. Minnesota, @ Northwestern, vs. Indiana

Recruiting 2023: #68 (ein 4-star: WR Arhmad Branch)

Irgendwann musste es ja so weit kommen. Nach mehreren vergeblichen Versuchen gelang es Louisville nun doch, HC Jeff Brohm von Purdue abzuwerben. Brohm ist ehemaliger Quarterback bei den Cardinals gewesen, insofern ist das eine runde Sache. Dennoch fragen sich sicherlich einige Boilermakers-Fans: Why now? Schließlich hatte der innovative Coach sein Team gerade zur ersten Big Ten West-Meisterschaft und damit zur ersten Teilnahme am Big Ten Championship Game geführt. Und dort hielt man lange Zeit gut mit dem übermächtigen Michigan mit, bevor es am Ende doch noch deutlich wurde. Über den desaströsen Bowlauftritt unter der Ägide von Brohms Bruder Brian breiten wir mal lieber den Mantel des Schweigens.

Ehrlicherweise sollte man anfügen, dass sämtliche Zahlen Purdues Erfolg nicht ganz erklären können: Offense und Defense waren eher durchschnittlich (außerhalb der Pass Yards), aber man war 5-2 in one-score Games (5-0 nach Woche 3). Dennoch hätte eine solche Saison Kräfte freisetzen können…

Nun denn, hilft ja nichts. Purdue AD Mike Bobinski machte das Beste aus der Situation und verpflichtete einen der aufregendsten Coaches als Brohms Nachfolger: Ryan Walters, der mit der Illinois Defense einen sensationellen Job gemacht hat, darf sich mit seinen 37 Jahren nun erstmals als Hauptverantwortlicher versuchen. Und das vollkommen verdient. Ich schrieb letzte Preview:

Ich bin gespannt, ob DC Walters diese Truppe noch einmal auf ein besseres Niveau heben kann. Gelingt ihm dies, könnte er sich mittelfristig auch für höhere Aufgaben empfehlen, zu beeindruckend war der Turnaround.

Und wie er sie auf ein besseres Niveau heben konnte. Nach SP+ stellten die Illini sogar die zweitbeste Verteidigung des Landes.

Doch hier soll es nun um Purdue gehen. Dort hat Walters natürlich alle Hände voll zu tun, den Roster einigermaßen zusammenzuhalten und einen eigenen Coaching Staff zusammenzustellen. Für die Offense gelang ihm ein ziemlicher Coup mit OC Graham Harrell, letzte Saison bei WVU, bekannt aber vor allem für seine exzellente Arbeit als OC von USC, wo er eine herausragende Passing Offense kreierte. Für die Defense fiel Walters‘ Wahl auf einen seiner Assistenten bei Illinois: Kevin Kane, dort LB Coach (und zuvor u.a. DC bei SMU), übernimmt nun gemeinsam mit Walters die Verantwortung.

Ein Umbruch steht zweifellos bevor. Was ist dieses Jahr zu erwarten?

Boilermakers Offense

OC Harrell steht für eine passlastige Air Raid-Variante mit viel Spread und einigen Receivern auf dem Feld. Nach dem Abgang von Aidan O’Connell in die NFL wird zunächst mal ein Quarterback gesucht. Und den fand man in Texas Transfer Hudson Card, die letzten Jahre Teilzeitstarter neben Casey Thompson und hinter Quinn Ewers. Card kennt die Spread von Steve Sarkisian und sollte im neuen System nicht allzu viele Eingewöhnungsprobleme haben. Insofern eine gute Lösung als Übergangs-Quarterback, der die Offense erst einmal konsolidieren soll. Arizona State Transfer Bennett Meredith und true Freshman Ryan Browne wären Alternativen.

Nach vielen Jahren mit eher mäßigen Runnern haben die Boilermakers in der vergangenen Saison endlich einen richtig talentierten Back gefunden: Devin Mockobee (968 Rush Yards, 5.0er Schnitt, 9 TDs, 32-274-0) hat einen absolut ungewöhnlichen Laufstil mit weit umherschlenkernden Extremitäten und weirden Cuts, die ihm den Spitznamen „Crazy Legs“ eingebracht haben. Kein Power Back, aber Effort im Kontakt, dazu nette Vision und Cutback Ability sowie als Receiver aus dem Backfield zu gebrauchen.

Big Back Dylan Downing und RB/WR-Hybrid Tyrone Tracy runden die Unit ab. Ich hoffe, dass Mockobee auch im neuen System steilgehen kann.

Die O-Line verbesserte sich deutlich und kehrt mit drei Startern zurück. Insbesondere die interior Line mit dem starken C Gus Hartwig und OG Marcus Mbow sollte eine Stütze darstellen.

Im Receiving Corps werden insbesondere WR Charlie Jones und TE Payne Durham schmerzlich vermisst. Immerhin sind zwei erfahrene Starter geblieben, die sich wahrscheinlich Hoffnungen machen, in Harrells spektakulärer Offense zu glänzen: X-WR Mershawn Rice (23-283-1), Typ physischer outside Guy, und Slot T.J. Sheffield (46-480-4), ein eher unspektakulärer underneath WR. Im Gegensatz zu den vergangenen Saisons mit u.a. Rondale Moore, David Bell oder eben Jones ist das Talent sicherlich als schwächer einzuordnen. Gespannt bin ich auf FAU Transfer Jahmal Edrine, der ähnliche Size wie Rice mitbringt (6‘3, 215) und bei den Owls zu den Lichtblicken gehörte. Vielleicht kann auch der kleine schnelle Slot Deion Burks auf sich aufmerksam machen, der aufgrund seiner krassen Kombination aus Speed und Power auf Bruce Feldmans Freak List landete.

Einen zweiten Payne Durham kann Purdue auf TE leider nicht bieten. Immerhin kehrt dessen 2021er Backup Garrett Miller nach verpasster Saison zurück, ebenso wie der 2022er Backup Paul Piferi.

Die Offense muss sich erst einmal eingrooven. Gut möglich, dass OC Harrell zunächst einmal mehr auf das Running von Mockobee hinter der soliden Line setzt, bis das Passspiel richtig sitzt.

Boilermakers Defense

Die letztjährige Defense von Ryan Walters bei Illinois war schlicht einzigartig. Er ging volles Risiko und setzte in der Secondary so konsequent auf Man Coverage, wie ich es wohl noch nie gesehen habe. Man all over the field (wenngleich nicht zwangsläufig Press, sondern auch viel Off), Safety over the top, und vorne gibts ordentlich Pressure. Kann er so etwas Ähnliches bei Purdue kreieren? Sicherlich möglich, aber ich vermute, dass er in seiner ersten Saison etwas vorsichtiger und klassischer agieren wird. Das macht sich allerdings nicht im Namen bemerkbar, den Walters seiner Defense in Anlehnung an Harrells Air Raid Offense gab: Air Strike Defense!

So oder so verloren Walters und Kane keine Zeit und bedienen sich im Portal, um den Wechsel auf eine 3-4/3-3-5 voranzutreiben. Die beiden disruptiven DTs Sullivan und Deen transferierten (wohl auch keine idealen Fits für die neue Defense), dafür wurde nun ordentlich aufgebeeft: Die beiden neuen 3-4 DEs Malik Langham (von Vanderbilt) und Jeffrey M’Ba (von Auburn) bringen über 310 Pounds auf die Waage und sollen die Lanes dichthalten und die Edges kontrollieren. Insbesondere M’Ba ist allerdings noch sehr unerfahren.

Vom neuen System profitieren sollten vor allem die Edgerusher. Kydran Jenkins (8 TFL, 4 Sacks) ist ein kleiner, sehr kräftiger Edge mit unterschätzter Quickness. Der junge Khordae Sydnor (6.5 TFL, 4.5 Sacks, nicht der Sydnor aus The Wire) entwickelte sich 2022 zu einer vielversprechenden Alternative, ein längerer und ebenfalls kräftiger OLB. Im Camp machte darüber hinaus true So. Nic Scourton (vormals Nic Caraway) von sich reden: Er war erst für die Line vorgesehen, verfügt aber bei 280 Pounds über so viel Beweglichkeit, dass er eine Ebene nach hinten beordert wurde. Die Boilermakers werden also so oder so mit extrem schweren OLBs hinter einer schweren Line spielen. Big Ten Football, Baby!

Das gilt übrigens auch für die beiden designierten ILBs O.C. Bothers, den etablierten Mann in der Mitte, und seinen neuen Partner Clyde Washington. Beide sind eher Throwback Box-Linebacker und bringen jeweils über 240 Pounds auf die Waage.

Die größte Frage lautet aber: Wer spielt Cornerback und übernimmt die hohe Verantwortung mit viel (Off) Man? Die verbliebenen Spieler des alten Regimes müssen sich wahrscheinlich stark umstellen, denn die Boilermakers waren ein fast ausschließliches Zone-Team. Anyway, hier attackierten Walters und Kane ebenfalls das Portal und holten sich gleich drei neue Corners: Der erfahrenste ist Penn States Backup Marquis Wilson, während Stanfords Salim Turner-Muhammad wenig und Ole Miss‘ Braxton Myers gar keine Erfahrung haben. Oder kann der letztjährige Teilzeitstarter Jamari Brown (3 INT) einen Posten ergattern, auch wenn er mit seinen 6‘3 wahrscheinlich nicht ideal in diese Defense passt? In wenigen Wochen wissen wir mehr.

Immerhin kehren zwei hochwertige Safeties zurück: Cam Allen (6 PBU, 3 INT) ist ein exzellenter Free Safety, der mit seiner Spielintelligenz, Range und Ball Skills auch im neuen System ein Difference Maker sein sollte. Warum über ihn nicht mehr gesprochen wird, weiß ich nicht. Nach dem bedauerlichen mid-season Retirement seines Nebenmanns Chris Jefferson aufgrund von Depressionen hat Slot Sanoussi Kane (72 T, 4.5 TFL) die zweite tiefe Safety-Rolle übernommen. Kane muss disziplinierter spielen (starke Plays und üble Busts wechselten sich ab), hat aber irgendwie etwas, weil er mit seinem Burst und Effort oft in der Nähe des Plays oder Ballträgers auftaucht. Chaos Kid mit Potenzial!

Ich bin absolut überzeugt, dass wir bald eine spektakuläre Boilermakers Defense bestaunen dürfen. Dieses Jahr würde ich noch unter Eingewöhnung verbuchen – was nicht heißt, dass die Truppe auf die leichte Schulter zu nehmen ist. Bezüglich der enorm massigen und physischen Front 6/7 ist das durchaus wörtlich zu verstehen.

Die Special Teams gehörten zu den schwächeren der Big Ten und viel Verbesserung ist noch nicht zu erwarten. P Jack Ansell ist Durchschnitt, der neue K Ben Freehill unproven – und die Return Units konnten trotz Charlie Jones als PR nicht überzeugen. Finden sich junge, motivierte Spieler für die Returner-Positionen oder müssen altgediente wie T.J. Sheffield ran?

Fazit:

Ich bin grundsätzlich optimistisch: Über Purdue werden wir ins eins, zwei Jahren ganz anders reden. Momentan befindet sich das Team allerdings sowohl offensiv als auch defensiv, sowohl vom Personal als auch vom Scheme in einem ziemlich radikalen Umbruch. 2022 wird es darum gehen, ein Fundament zu setzen, von dem aus ab der kommenden Saison wieder ein Angriff auf die Divisionsspitze möglich ist. Dieses Jahr würde ich noch nicht zu viel erwarten. Wenns günstig läuft, könnte eine Bowlteilnahme herausspringen, allerdings ist der Interdivision-Schedule mit Ohio State und Michigan nicht besonders günstig.

Northwestern Wildcats

Bilanz 2022: 1-11 (1-8 Big Ten), 7th Big Ten West

SP+ 2022: #111 (Offense #109 // Defense #77)

Nach Punkten 2022: Offense #128 // Defense #83

Bedeutende Abgänge:
Offense: OT Peter Skoronski (1st round pick Titans), RB Evan Hull (5th round pick Colts), WR Donny Navarro // WR Malik Washington (Transfer Virginia).
Defense: DE Adetomiwa Adebawore (4th round pick Colts), CB Cameron Mitchell (5th round pick Browns) // CB A.J. Hampton (Transfer Tulane).

Schedule 2023: @ Rutgers, vs. UTEP, @ Duke, vs. Minnesota, vs. Penn State, vs. Howard (FCS), @ Nebraska, vs. Maryland, vs. Iowa, @ Wisconsin, vs. Purdue, @ Illinois.

Recruiting 2023: #47 (zwei 4-star Recruits: OT Jordan Knox, S Nigel Glover)

You never know.

Jahrelang standen Northwestern und sein legendärer HC Pat Fitzgerald dafür, College Football auf dem richtigen Weg zu präsentieren. Die einzige Privatschule in der Big Ten legte großen Wert auf die akademische Ausbildung zu student-athletes, und Fitzgerald formte unter diesen erschwerten Bedingungen Teams mit Charakter, die den großen Programmen immer mal wieder als Einheit beizukommen wussten. Dabei sprangen seit Beginn seiner Ägide 2006 vier Bowl Wins, drei Saisons mit zehn Siegen und zwei Big Ten West-Meisterschaften heraus. Der Northwestern Way galt als etwas uneingeschränkt Positives.

Aber wir schauen eben nur von außen drauf.

Im Juli kam nun ans Tageslicht, dass im Footballprogramm seit vielen Jahren Schikanen, körperliche und sexualisierte Erniedrigungen weit verbreitet sind. Die Universität erfuhr davon schon im November und beauftragte eine unabhängige Untersuchung, die genügend Zeugen und Indizien für ein mehr oder etabliertes Missbrauchsumfeld bis zurück ins Jahr 2014 fand. Die entwürdigenden Praktiken beinhalteten das „dry humping“, gestellte sexuelle Akte an einem einzelnen am Boden fixierten Spieler von mehreren anderen mit Masken in einem abgedunkelten Locker Room, oder forcierte nackte Center-Quarterback-Exchanges. Hinzu kamen verschiedene Bestrafungs- und Initiationsrituale insbesondere für Freshmen. Wen es interessiert: Hier eine Liste der Erniedrigungen. Der Report konnte nicht zweifelsfrei klären, ob Fitzgerald von diesen Vorkommnissen Kenntnis hatte, aber dass genügend Gelegenheiten bestanden, Bescheid wissen zu müssen. Zunächst suspendierte die Universität ihn für zwei Wochen (really?), doch nach der Veröffentlichung des Berichts eines ehemaligen Spielers im Daily Northwestern entschied sich Präsident Michael Schill, Fitzgerald zu feuern. Mittlerweile haben übrigens weitere Berichte den Verdacht verstärkt, dass der Head Coach sehr wohl über zumindest einige der Praktiken informiert war und sie gar goutierte. Der ehemalige Backup-QB Lloyd Yates berichtet unter anderem von mehreren direkt involvierten Assistant Coaches. Fitzgerald selbst weist natürlich alle Vorwürfe von sich und hat sich mittlerweile einen Rechtsbeistand genommen.

In den folgenden Tagen und Wochen wurde offenbar, dass es sich keineswegs um isolierte Vorfälle aus dem Football-Programm handelte. Wenige Tage später wurde Baseball Coach Jim Foster entlassen, da in seinem Team ebenfalls eine Kultur von Einschüchterung und Bestrafung herrschte. Mittlerweile haben Sportlerinnen und Sportler aus weiteren Sportarten an Anwaltskanzleien gewandt und ebenfalls von sexualisierten und auch rassistisch motivierten Verhaltensweisen und Erniedrigungen berichtet. Wie es so oft ist, wenn einmal der Stein ins Rollen kommt. Ich möchte nicht wissen, was noch ans Tageslicht kommt – und was nie ans Tageslicht kommen wird. Erschreckend.

Die Universität gab hierbei übrigens auch keine gute Figur ab. Dass die Spieler auf den üblichen Auftritt bei den wenige Tage später stattfindenden Big Ten Media Days verzichteten, ist natürlich absolut nachvollziehbar. Dass sich aber Athletic Director Derrick Gragg von dem Event fernhielt und stattdessen nur der eilig zum Interims HC ernannte DC David Braun, der erst Anfang des Jahres verpflichtet wurde, sich den Medien stellen musste und damit teilweise überfordert war, ist schlicht unwürdig. Die Uni und ihr Sportprogramm duckten sich weg und hoffen nun wohl, dass schnell Gras über die Sache wächst.

Ich mache mir übrigens keine Illusionen, dass solche Praktiken nicht auch in anderen Locker Rooms im College Football etabliert sind. (Side Note, aber ich konnte ein zynisches Auflachen kaum unterdrücken, als ich las, dass der entlassene Baseball-Coach bis letztes Jahr bei Army tätig war. Ach soooo.) Viel zu lange wurde bei solchen Geschichten weggeschaut oder sie waren sogar als Teambuilding-Maßnahmen akzeptiert. Im Fall von Northwetern hatte es nun eine Systematik angenommen, die schwer zu fassen und zu begreifen ist. Kulturen des Schreckens sind von ihren Opfern kaum einzeln zu überwinden, insbesondere wenn eine solch große Maschine – in diesem Fall auch noch mit einem blütenreinen Image – dahintersteht. Es gilt künftig, für alle Beteiligten und insbesondere für die Verantwortlichen genauer hinzuschauen.

Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber mir fällt es bei solchen Berichten schwer, einfach so nahtlos zum Sportlichem überzugehen. Ich fasse mich daher hier ein wenig kürzer.

Also: Nach einer desaströsen 1-11 Saison (den einzigen Sieg gabs zum Saisonauftakt in Dublin gegen Nebraska) standen die Wildcats sportlich nicht besonders gut dar. Die Offense gehörte zu dem schlechtesten, was die FBS insgesamt zu bieten hatte, und die Defense, viele Jahre lang die Basis der Erfolge der Wildcats, war auch im zweiten Jahr unter DC Jim O’Neil gegen den Lauf löchrig wie ein Schweizer Käse. Er vermocht es nicht, den legendären DC Mike Hankwitz ansatzweise zu ersetzen. Fitzgerald entschied sich daher zu einem Austausch des Koordinators und verpflichtete David Braun, den DC von FCS-Seriensieger North Dakota State. Und eben dieser Braun ist nun als Interims HC verantwortlich, diese Saison in jedweder Hinsicht irgendwie halbwegs hinter sich zu bringen. Viel mehr kann wohl kaum erwartet werden.

Interessanterweise wurden gleich vier Spieler aus diesem 1-11 Team gedraftet (und zwar alle innerhalb der ersten fünf Runden), u.a. Top-Prospect LT Peter Skoronski. Gab es wohl auch eher selten…

Wildcats Offense

OC Mike Bajakian geht nun in seine vierte Saison bei den Wildcats, und es erscheint sehr zweifelhaft, dass er nicht ebenfalls bezüglich einigen der Locker Room-Praktiken im Bilde war. Zumindest kann man ihm eine ziemliche Ignoranz vorhalten, da er bei einer der Trainingssessions nach Offenlegung des Skandals in einem T-Shirt erschien, auf dem „Cats against the world“ zusammen mit Fitzgeralds ehemaliger Spielernummer #51 gedruckt war. Da fühlen sich betroffene Spieler bestimmt sehr ernstgenommen…

Nunja, wie gesagt, kurz zum Sportlichen. Bajakian lässt wie seine Vorgänger eine wenig explosive und eher gemächliche Spread spielen, die auf Ball Control, Laufspiel und kurzen schnellen Pässen aufgebaut ist. Seine Quarterbacks Ryan Hilinski und der junge Brendan Sullivan (beide eher Pocket Passer) haben nicht besonders überzeugt, so dass man sich als Verstärkung QB Ben Bryant aus dem Portal holte, der mittlerweile auf seiner vierten Station ist: Cincinati, Eastern Michigan, nach einem Jahr wieder zurück zu Cincinnati, und angesichts des Coaching-Wechsels also nun Northwestern. Bryant ist ein solider Pocket-QB mit vernünftiger Accuracy, der eine gewisse Verbesserung darstellen sollte.

Im Laufspiel wird Big Play- und Receiving-Back Evan Hull vermisst, aber Big Back Cam Porter hat genügend Power und unterschätzte Foot Quickness und sollte damit einigermaßen produzieren. Hinter ihm ist wenig Erfahrung vorhanden, lediglich Anthony Tyus hat in den letzten beiden Saisons relevante Carries gesehen (und könnte wohl auch eine passable Receiving-Option sein).

Doch diese beiden Backs – und QB Bryant – werden es schwer haben, denn die O-Line verliert neben Skoronski noch drei weitere Starter. Ein kompletter Neuaufbau abseits von RT Caleb Tiernan ist nötig – und der wird sicherlich ein wenig dauern.

Im Receiving sieht es nicht viel besser aus. Der einzige zuverlässige WR Malik Washington ist transferiert. Die beste verbliebene Option ist der unauffällige Bryce Kirtz mit 19 Catches in 2022, der nun Ergänzung durch zwei Transfers bekommt: Cam Johnson (ehemals Vanderbilt und Arizona State) ist ein Possession Guy, und der kleine Ex-Michigan WR/RS A.J. Henning galt mal als großes Slot-Talent, konnte sich bisher aber nicht durchsetzen. Eventuell einer, der in dieser Offense viele designed Touches sehen sollte (auch bei Jet Sweeps, Reverses etc.).

Angesichts der geringen Qualität und Depth auf Receiver könnten die Wildcats mehr in 12-Personnel auflaufen. Die beiden TEs Marshall Lang und Thomas Gordon sind keine Stars, aber vernünftige Receiver über die Mitte und solide Blocker.

Auf dem Papier ist das jedoch weiterhin eine der schlechtesten Offenses der Big Ten.

Wildcats Defense

Es wäre spannend gewesen zu sehen, wie DC Braun die Defense verändert, doch all das erscheint nun irgendwie nebensächlich. Und auch Braun muss sich nun zudem um ganz andere Dinge kümmern und das gesamte Schiff irgendwie auf Kurs halten. Sportliches Hauptziel muss natürlich sein, die Laufverteidigung deutlich zu verbessern, sonst wird das erneut eine ganz lange Saison.

Die Line war – abgesehen von Adetomiwa Adebawore – eine große Enttäuschung: Weder konnte sie die Gaps kontrollieren noch konstanten Druck auf den Quarterback entfachen. Ich sehe nicht wirklich, wie sich das diese Saison ändern soll. Northwestern präferiert traditionell eher schwere Ends und eher leichte Tackles, und da ist 2023 keine Ausnahme. DE Sean McLaughlin ist immerhin solide, und Rotations-DE Aidan Hubbard muss nun mehr Verantwortung übernehmen. Innen sieht es noch mauer aus: Der junge DT Najee Story war – wie seine Positionskollegen – letztes Jahr überfordert, hat aber zumindest ein wenig Potenzial. Ob Transfers wie Fresno States Matt Lawson oder Reginald Pearson (FCS) daran etwas ändern können, erscheint fraglich.

Die Linebacker sind wohl die Stärke der Wildcats. MLB Bryce Gallagher (100 T, 5 TFL, INT) ist ohne Zweifel der beste verbliebene Defender: eine Tackle-Maschine, die als einziger nicht von der grassierenden Schwäche betroffen war, Gegner zuverlässig auf den Boden zu bringen. Smart, tough, physisch, oft am richtigen Ort – ein typischer Wildcats-Linebacker. OLB Xander Mueller (87 T, 10.5 TFL, 2.5 Sacks, 2 INT) war eher für die Splash Plays im Backfield als Gap Filler und Blitzer verantwortlich, muss jedoch deutlich an seiner Tackling-Disziplin arbeiten. In einer 4-3 würde wohl Greyson Metz der zweite OLB sein, aber Braun wird wohl primär auf eine 4-2-5 Nickel setzen. Ob das der Run D zuträglich ist?

In der Secondary dürfte der klare Fokus auf Off- und Zone-Coverage bestehen bleiben. Der Verlust der beiden starken Corner Cameron Mitchell (Draft) und A.J. Hampton (Transfer) ist bitter, nun müssen die letztjährigen Backups Theran Johnson und Garnett Hollis ran, die in geringer Spielzeit zumindest okay wirkten. Der dritte Starter Rod Heard (67 T, 4 TFL, INT) wird wohl auf die Nickel-Position wechseln. Bester Spieler der Secondary ist meiner Ansicht nach eindeutig S Coco Azema, der letzte Saison fast komplett ausfiel. Undersized, aber tough, intelligent, guter Tackler. Neben ihm wird wohl Devin Turner auflaufen, der als true Freshman eine Menge Spielzeit sah und daran wachsen sollte.

Trotz ein paar solider Spieler wirkt auch die Defense der Wildcats nach Work in Progress. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man damit ein paar der besseren Offenses der Big Ten vor Probleme stellen kann. Und dabei rede ich jetzt nicht von Michigan oder Ohio State (die eh nicht auf dem Schedule stehen), sondern von der Big Ten West…

Die Special Teams waren letztes Jahr grotesk mies, vom Kicking einmal abgesehen (und das wurde ja kaum in Anspruch genommen). Vielleicht kann A.J. Henning die desaströse Return-Bilanz etwas aufhübschen?

Fazit:

Das Footballprogramm von Northwestern ist in jeder Hinsicht am Boden. Mehr gibt es dazu vorerst nicht zu sagen.

3 Gedanken zu „Preview: Big Ten West 2023

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