Nick Saban – eine Würdigung (II): Alabama

Im ersten Teil des ausgiebigen Nachrufs auf Nick Sabans Karriere habe ich den Weg vom Assistant Coach in College und NFL zum Head Coach in College und NFL nachgezeichnet, mit einem Augenmerk auf seine schematischen Innovationen, seine Grundprinzipien und natürlich seine ersten großen Erfolge. Im zweiten Teil soll es nun nur um Saban in Tuscaloosa, Alabama gehen: Wie gelang es ihm, eine solche Dynastie aufzubauen – und vor allem über eine nie dagewesene Länge aufrechtzuerhalten? Dafür werfen wir zunächst einen Blick auf die Anfänge, auf die grundlegenden Erfolgsrezepte und beschäftigen uns anschließend mit den Adaptionen, die nötig waren, damit Alabama in einer sich rasch verändernden College Football-Landschaft den Konkurrenten meist einen Schritt voraus blieb.

Der Aufbau

Wer nun aus heutiger Sicht glaubt, dass Sabans Verpflichtung eine direkte Wirkung hatte, der täuscht sich. Anders als der andere erfolgreiche Head Coach dieser Zeit, Urban Meyer, hatte Saban nicht überall sofortigen Erfolg, sondern brauchte (meist) eine Saison zum Aufbau des Teams und zur Implementierung seiner Vorstellungen und Arbeitsweisen. Seine Debütsaison 2007 unterschied sich auf den ersten Blick nicht wesentlich von der letzten Saison unter seinem Vorgänger Mike Shula: Beide beendeten die reguläre Saison mit einer mäßigen 6-6 Bilanz. Die Crimson Tide stellte sofort eine recht solide Defense, allerdings brachte die Offense trotz meist gutem Raumgewinn zu wenig Punkte auf die Anzeigetafel. Die Hoffnungen der Fans stiegen anfangs dank eines 6-2 Starts, doch vier Niederlagen in Folge sorgten für Ernüchterung. Diese hätten allerdings nicht unterschiedlicher sein können: Zunächst unterlag man Sabans Ex-Team, dem späteren National Champion LSU, nach Führung im 4th quarter in einem Shootout noch knapp mit 34-41. Zwei Wochen später – in der üblichen Cupcake-Week vor dem Rivalry-Game gegen Auburn – wurde Alabama von Sun Belt-Team Louisiana-Monroe düpiert. Parallelen zur ersten Saison Sabans bei LSU waren offensichtlich: Seinerzeit verlor er als HC des größten Teams Louisianas gegen ein kleines College aus Alabama (UAB), nun als HC des größten Teams Alabamas gegen ein kleines College aus Louisiana. Beinahe poetisch. Sabans Halsschlagader dürfte das aber wohl anders wahrgenommen haben. Ähnlich wenig erfreut wird er über die knappe Niederlage im Iron Bowl gewesen sein, bereits die sechste in Folge, was den längsten Winning Streak für Auburn in der Geschichte dieser heißen Rivalität bedeutete. Doch eines machte zumindest leichte Hoffnung: Alle sechs Niederlagen waren one-score Games. Es fehlte also nicht so viel, um zumindest in den erweiterten Kreis der SEC-Contender aufzusteigen.

Für mich ganz persönlich hatte sich in der Zeit, in der Saban in der NFL bei den Dolphins weilte, einiges in Bezug auf den College Football verändert. Viel hing mit dem neuen Kanal NASN zusammen, der – so glaube ich – 2003 zum ersten Mal die College Football-Saison begleitete. Ab 2005 besaß ich einen von einem talentierten Kumpel gecrackten Decoder, so dass ich fortan nicht mehr auf die kleine Anzahl wenig zuverlässig laufender Streams angewiesen war, sondern auf ein – für damalige Verhältnisse – reichhaltiges Angebot an College Football zurückgreifen konnte. Mitte der 2000er Jahre nahm zwar meine Nebraska-Liebe sukzessive ab (ein Thema für einen anderen Beitrag), aber man bekam schlicht viel mehr vom Sport allgemein mit – und vor allem vom Drumherum. Es ist eben etwas grundsätzlich anderes, ob man von etwas liest (und es meinetwegen viel später auf irgendwelchen Highlight-Clips oder bestellten DVDs nachschaut) oder ob man es live vor dem Bildschirm verfolgen kann. 2005 wurde ich noch einmal massiv vom College Football-Virus angesteckt, was in den folgenden Jahren dazu führte, dass sich das Verhältnis von NFL und CFB komplett umkehrte. In dieser Zeit ließ ich erstmals die eine oder andere Party am Samstagabend sausen, weil ich mich einfach nicht vom Bildschirm und den oftmals dramatischen Spielen lösen konnte. Oder ich kam halt erst mitten in der Nacht an und musste zwischen all den Schnapsleichen versuchen, mit Druckbetankung möglichst schnell auf ihr Level zu kommen. Doch egal: Letztlich hätte ich mir keine bessere Zeit aussuchen können, denn diese Ära – insbesondere zwischen 2005 und 2008 – sollte Highlights bieten, über die wir noch heute reden. Das größte Gesamthighlight stellte sicherlich die komplett verrückte 2007er Saison dar, die mittlerweile auch bei Youtube eine Würdigung erhalten hat. Die Veränderung dieser Jahre war spürbar, insbesondere durch die stetig populärer werdenden Spread Offenses, die die College Football-Landschaft in den kommenden Jahren noch einmal stärker durcheinanderbringen sollten. Sabans Alabama spielte in all diesem Chaos mit ständig wechselnden Rankings und Favoriten allerdings noch eine untergeordnete Rolle.

Das sollte sich bereits 2008 ändern; übrigens eine Saison, die wegen dem gehypten Vorjahr zu Unrecht untergeht, denn hier gab es ebenfalls eine ganze Menge Dramatik zu erleben. Dies galt allerdings weniger für Alabama, denn Nick Sabans Team dominierte in seinem zweiten Jahr zunächst die Konkurrenz. Hier sah man bereits alles, was für den ersten Teil der Dynastie entscheidend sein würde: Eine konservative Offense mit einem Ballverteiler-QB John Parker Wilson (den ich irgendwie mochte und für einen NFL Sleeper hielt, keine Ahnung mehr, warum eigentlich), ein starkes RB-Duo mit Glen Coffee und Mark Ingram (Coffee sollte ja nach einem Jahr NFL bei den 49ers seine Karriere überraschend beenden) und den einen Big Play go-to WR, seinerzeit ein gewisser Julio Jones. Diese Offense erzielte mehr Yards per Lauf als per Pass und verließ sich auf eine hervorragende Defense. Saban gelang es gleich im zweiten Jahr, eine Top 10-Unit zu formen, die den Lauf komplett abwürgte (ein wesentlicher Bestandteil des ersten Teils der Dynastie) und auch gegen den Pass wenig zuließ.

Die 2008er Saison begann mit einem klaren 34-10 Sieg gegen Top 10-Team Clemson, womit Saban einen Beitrag dazu leistete, dass Clemson nach sechs Spielen und enttäuschender 3-3 Bilanz seinen Head Coach Tommy Bowden entließ. Nachfolger wurde ein zuvor komplett unbekannter WR Coach namens Dabo Swinney, aus Alabama stammend, bei Alabama gespielt und erste Coaching-Erfahrungen gesammelt. Anyway, dazu später noch viel, viel mehr. Alabama cruiste durch die Saison und wurde nach Woche 10 erstmals an #1 gerankt, als die bisherige #1 Texas ein legendäres Spiel gegen Mike Leachs Texas Tech verlor – der Michael Crabtree-Catch dürfte selbst neueren College Football-Fans ein Begriff sein. Als frisch gebackene #1 ging es für die Crimson Tide in der kommenden Woche ausgerechnet nach Louisiana zu Titelverteidiger LSU. Der Empfang für Saban war eher frostig, und die Stimmung in Baton Rouge sollte sich nicht wesentlich verbessern. Diese Partie gab einen weiteren Vorgeschmack auf ein wiederkehrendes Narrativ der frühen Alabama-Dynastie: Das Kicker-Problem, das ich seinerzeit als Sabans Kryptonit bezeichnete. In einem harten Battle mit einigen defensiven Highlights hatte Alabama bei 21-21 mit auslaufender Uhr die Chance auf den Sieg, doch der 29 Yarder von K Leigh Tiffin wurde geblockt. Dieses Mal sollte es sich nicht rächen, da in der Overtime der überragende S Rashad Johnson seinen dritten Pick des Tages fing (zuvor hatte er bereits einen zum Pick-Six zurückgetragen). Saban ging kein Risiko ein und versuchte an der Goal Line anstatt eines Chip Shot-FGs lieber zweimal den Touchdown, der via Sneak von QB Wilson dann auch gelang. Ein großer Sieg, mit dem man sich fürs SEC Championship qualifizierte, doch das war natürlich nur ein Teilziel: Alabama gewann die nächsten beiden Partien locker, beendete die Misere gegen Auburn mit einem 36-0 und machte sich als #1 Hoffnungen auf das BCS Championship Game.

Doch zuerst wartete im SEC-Finale das an #2 gerankte Florida mit Urban Meyer, Tim Tebow und Co. Ein echtes Monster-Matchup! Alabama führte nach drei Vierteln mit 20-17, doch dann zogen die Gators mit zwei TDs davon. Gegen Meyers lauforientierte Spread war Alabama noch nicht ganz bereit, nicht vergessen werden sollte aber darüber hinaus Floridas dominante und ultra-opportunistische Defense. Die machte dann auch den Unterschied im BCS Championship Game, als die Gators Oklahomas explosive, mit Air Raid-Elementen versehene Spread Offense um Heisman-Sieger QB Sam Bradford kaltstellten. Ein fast vergessenes Meisterstück: Oklahoma 2008 ist eine der besten Offenses, die ich je erlebt habe. Bis zum Finale, in dem ihr lediglich 14 Punkte gelangen.

Alabama blieb derweil nur der Trostpreis Sugar Bowl, wo man auf eines der absoluten Überraschungsteams, den ungeschlagenen Mountain West-Champion Utah unter dem bis heute dort tätigen HC Kyle Whittingham traf. Die Crimson Tide war natürlich klar favorisiert, ließ sich aber von einem Blitzstart der Utes überraschen und lag nach einem Viertel mit 0-21 zurück. Utes QB Brian Johnson hatte einen exzellenten Tag erwischt, zudem setzte die Defense mit ständigen Blitzes der O-Line der Tide und QB Wilson über das gesamte Spiel zu. Utah gewann 31-17 und beendete die Saison auf einem beachtlichen Platz #2 in den AP Polls. Ich hatte vorher in irgendeinem Gewinnspiel auf Alabama gesetzt und war mir spätestens nach dieser Saison sicher (in der ich eine Menge Bowl Games falsch tippte), dass Wetten niemals mein Ding sein wird. Alabama beendete die Saison nach 12-0 Start nur mit 12-2, doch der Grundstein war gelegt und die Erwartungen für 2009 schnellten in riesige Höhen.

Wie startet man eine Dynastie?

Alabama begann die 2009er Saison extrem fokussiert: Nach einem umkämpften Auftaktsieg gegen ein sehr gutes Virginia Tech (mit QB Tyrod Taylor) kam die Crimson Tide richtig ins Rollen. Die Offense war gegenüber der Vorsaison noch ein wenig gefährlicher: Das lag zum einen an QB Greg McElroy, dem ultimativen Verwalter-QB (und das meine ich hier überhaupt nicht negativ): ziemlich akkurat, setzt seine Playmaker in Szene und machte vor allem kaum Fehler. In den seinen beiden Saisons als Starter 2009 und 2010 warf er insgesamt nur 9 Interceptions, ein extrem niedriger Wert für jene Zeit. McElroy war das, was sich Saban seinerzeit als Chef für seine Offense erträumte. Den Hauptteil sollten eh die dominante Bully O-Line sowie dahinter die beiden kräftigen Runner Mark Ingram und Trent Richardson übernehmen, gewürzt mit dem gelegentlichen Big Play von Julio Jones. Die Defense verbesserte sich nochmals von einem eh schon hohen Niveau und gehörte zu den allerbesten des Landes: Weiterhin extrem dominant gegen den Lauf, nun ähnlich dominant gegen den Pass – und noch einmal Big Play-affiner (u.a. 24 INTs). Die Unit hatte noch nicht die komplette Star-Power späterer Jahre, aber eben doch ein paar herausragende Playmaker: der damals bekannteste wohl LB Rolando McClain, dazu DT Marcell Dareus, der heute noch aktive (und umstrittene) CB Kareem Jackson, DB/RS Javier Arenas und S Mark Barron. Ein kleines Phänomen war darüber hinaus der monströse 360 Pound NT Terrence Cody, passenderweise Mount Cody genannt. Ihm war es zu verdanken, dass die Crimson Tide nach einem 7-0 Start nicht ihre erste Niederlage hinnehmen mussten. In einem defensiv geprägten Spiel bei Tennessee und deren neuen jungen HC Lane Kiffin (der später ja noch eine ganz andere Rolle spielen sollte), führte Alabama spät im vierten Viertel 12-3, doch ein TD zum 12-10 sowie ein geglückter Onside Kick ließen die Tide zittern. Bei auslaufender Uhr bot sich Tennessee die Chance auf die Überraschung – wäre da nicht Mount Cody gewesen, der bereits zuvor im Spiel ein FG geblockt hatte.

Das Play ging als Rocky Block in die College Football-Historie ein. Kann mich noch genau erinnern, wie ich live vorm Fernseher saß und hoffte, dass der Kick reinging. Aber nicht so schlimm, es gab ja noch genügend andere Hürden für Alabama…

Nun, die wurden allesamt aus dem Weg geräumt: Ein 4th quarter Comeback mit langem Julio Jones-TD besiegte LSU, und am Ende der regulären Saison wartete der Iron Bowl. Auburn führte spät im vierten Viertel mit 21-20, doch dann inszenierten McElroy und Jones das, was später als Alabama-Version von „The Drive“ Eingang in die Geschichtsbücher fand: 15 Plays, 79 Yards, über 7 Minuten und am Ende der game-winning TD von Backup-RB Roy Upchurch.

Die Frage der Zwischenüberschrift blieb bislang aber unberührt: Wie startet man denn nun eine Dynastie? Ganz einfach: Oftmals damit, dass man eine bestehende Dynastie beendet. Genau das war hier der Fall. In einem Rematch des Vorjahres traf Alabama im SEC Championship Game erneut auf das ebenfalls ungeschlagene Florida, den aktuellen Titelverteidiger. Dieses Mal waren die Gators auf #1 gerankt, die Tide auf #2. Florida hoffte auf eine dritte National Championship innerhalb von vier Jahren, was die Truppe von Urban Meyer ins Pantheon der größten Teams aller Zeiten befördert hätte. Doch nix wars: Alabamas Run Game dominierte mit Ingram, Richardson und Upchurch. Die Defense schlug in der zweiten Halbzeit die Tür für Tim Tebow und Co. zu und erlaubte keinen Punkt mehr. Ein Spiel, dessen Bedeutung für den College Football meiner Ansicht nach enorm unterschätzt ist:

Saban erreichte also sein erstes BCS Championship Game mit Alabama und traf dort auf das an #2 gerankte Texas, das sich in einem defensiv geprägten Big 12 Championship Game durch ein FG in letzter Sekunde (nachdem ursprünglich die Uhr schon abgelaufen war) mit 13-12 gegen den deutlichen Außenseiter Nebraska durchgesetzt hatte. Für alle, die dieses Spiel damals gesehen haben, ist es schlicht das Ndamukong Suh Game. Auch das ist ein Thema für einen anderen Beitrag, aber kennt ihr das? Wenn man glasklarer Underdog ist und vom Spiel wenig erwartet, tut eine so bittere Niederlage nicht ganz so doll weh wie normal? Irgendwie spielte da Stolz aufs Team mit rein. Anyway.

Also, Finale gegen Texas – und dessen Geschichte ist kurz erzählt: Nach einem komplett unverständlichen Punt Fake im ersten Drive der Tide (eigene Hälfte, 4th and 23) verletzte sich Texas Star-QB Colt McCoy im ersten Drive der Longhorns. Der komplett unerfahrene Freshman-Backup QB Garrett Gilbert war wie erwartet überfordert gegen die Tide-Defense, wenngleich Alabama etwas sorglos agierte und nach zwei TD-Pässen von Gilbert Mitte des 4th quarters plötzlich nur noch 24-21 vorn lag. Am Ende war es dennoch ein 37-21 Sieg, die erste National Championship der Tide seit 1992 und die zweite von Saban. Die Stats lesen sich typisch für jene Zeit: Ingram und Richardson erzielten jeweils über 100 Yards Rushing, McElroy komplettierte nur sechs Pässe (davon auch noch vier auf die beiden RBs). Bama Bully Ball!

Für mich war das Spiel ein absoluter worst case: Alabama vs. Texas, für wen sollte ich da bitte rooten? Im Gedächtnis geblieben ist mir neben dem bedauernswerten Gilbert (dem ich danach und v.a. nach seiner nächsten Saison, als er von Longhorns Fans wiederholt ausgebuht wurde, aus Mitleid wohlwollend gegenüberstand – später transferierte er zu SMU und hatte sogar eine kurze NFL-Karriere) vor allem die unmögliche Reaktion von McCoy auf seine Verletzung. Der versuchte danach nicht mal, seinen Backup so gut es geht zu unterstützen, sondern stand einsam an der Seitenline und faselte im Halbzeitinterview irgendwas von Gottes Wille. Sowas kann ich ja leiden. Klar, dass man enttäuscht ist, aber als Quarterback und unumstrittener Leader des Teams hat man halt eine Verantwortung.

Etwas anderes hatte mich ein paar Wochen zuvor noch weit mehr aufgeregt, und hiermit komme ich wieder auf Alabama zurück: Die Heisman-Wahl. In der knappsten Entscheidung aller Zeiten gewann Alabamas RB Mark Ingram vor Stanfords RB Toby Gerhart und Texas QB Colt McCoy. Der vierte Finalist war Ndamukong Suh, und ich werde es mit in mein Grab nehmen, dass er dieses Jahr der beste College Football-Spieler war. Sogar deutlich. Dass das nicht nur meine Huskers-Brille ist, haben verschiedene Spieler und Coaches später mit ihren Statements belegt. Auch dazu gibt es hier irgendwann mal mehr zu lesen. Festzuhalten bleibt für diesen Beitrag: Ingram wurde der erste Heisman-Sieger in der glorreichen Geschichte Alabamas – schon eine kleine Anomalie. Er sollte unter der Saban’schen Ägide nicht der letzte bleiben: Es folgten Derrick Henry, DeVonta Smith und Bryce Young.

Exkurs: Die Grundlagen einer College Football-Dynastie

Eine National Championship ist großartig, begründet aber natürlich noch keine Dynastie. Hier ist ein kleiner Exkurs notwendig, um nachzuvollziehen, wie es Saban gelang, den Erfolg mit Alabama zu konservieren und in regelmäßigen Abständen zu wiederholen. Seine Grundprinzipien hatte ich bereits im ersten Teil der großen Würdigung angesprochen: Harte Arbeit, unerbittliche (Selbst-)Disziplin, eindeutige Ziele unter Ausschaltung von Nebengeräuschen sowie exzellentes Recruiting. Während man die ersten Credos schlecht von außen überprüfen, geschweige denn messen kann, verhält sich das mit den Erfolgen im Recruting anders. Wenn wir hier einen Blick auf die Rankings ab der Saison 2008, also Sabans erstem vollen Recruiting Cycle, werfen, ergibt sich ein klares Bild. Ich orientiere mich hier an den Composite Rankings, die eine Kombination der drei traditionellen großen Recruiting-Services 247, rivals und ESPN bilden:

2008: #3
2009: #3
2010: #4
2011: #1
2012: #1
2013: #1
2014: #1
2015: #1
2016: #1
2017: #1
2018: #5
2019: #1
2020: #2
2021: #1
2022: #2
2023: #1

So etwas hatte es schlicht noch nie gegeben und wird es auch so schnell nicht mehr. Unter den – je nach Jahrgang – 120 bis 133 Teams in der FBS belegte Alabama unter Saban in den letzten 16 Jahren nur zweimal keinen Top 3-Rang und nur viermal keinen Top 2-Rang. Besonders gespenstisch ist die Serie von sieben aufeinanderfolgenden besten Recruiting-Klassen von 2011 bis 2017. Nun wird natürlich nicht jedes Talent aus der Highschool korrekt evaluiert und die Rankings haben noch mehr Lücken und Auslassungen als die Rankings zur NFL Draft, aber je mehr Supertalente man sich ins Team holt, desto größer ist halt die Wahrscheinlichkeit auf Impact Players.

Doch gute Anlagen alleine reichen ja nicht, man muss die Spieler auch entsprechend entwickeln. Darin brillierten Saban und sein (wohlgemerkt sehr unterschiedlicher) Staff fast noch mehr. Im Gegensatz zu beispielsweise Texas der 2010er Jahre und Texas A&M der späten 2010er und frühen 2020er Jahre gelang es, das Talent zu optimieren. Das schlägt sich vorrangig natürlich in den Erfolgen der Tide nieder, doch auch die NFL Draft lässt sich als (wenngleich nicht ganz sauberes) Indiz heranziehen: Unter Saban hatte Alabama bislang 123 Draftpicks, davon absurde 44 1st round Picks. Zuvor gab es von 2000 bis 2007 keinen einzigen 1st rounder, man kann also nicht behaupten, dass sich Saban da in ein gemachtes Nest gesetzt hätte. Alabama war zwar eine große Adresse, aber schon länger eher ein strauchelnder Gigant. Von 2009 bis 2023 wurde dann jedes Jahr mindestens ein Spieler der Tide in der ersten Runde der Draft gewählt – ein neuer Rekord. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Serie sich in der kommenden Draft 2024 fortsetzt.

In kurz: Saban hat wie ein Berserker rekrutiert und Alabama damit zu der NFL-Schmiede geformt – womit das Programm für vielversprechende Highschool-Spieler noch attraktiver wurde. Irgendwann konnte er sich seine Recruits quasi aussuchen. In der legendären 2017er Recruiting Class sicherte er sich sieben der insgesamt 32 5-star Recruits des Landes, also mehr als ein Fünftel (u.a. Tua Tagovailoa, Najee Harris, Henry Ruggs, DeVonta Smith, Alex Leatherwood und Dylan Moses), und die 4-stars dahinter waren auch nicht so schlecht (u.a. Jerry Jeudy, Xavier McKinney, Jedrick Wills). 2021 gelang ihm das Kunststück von 7 5-star Recruits erneut. Doch wie gesagt, das hatte Einschneidungen in anderen Bereichen seines Lebens (insbesondere für seine Familie und Kinder) zur Folge. Von nichts kommt nichts.

Eine weitere Strategie Sabans erwies sich als dahingehend gewinnbringend, dass das enorme Talent sein Potenzial voll ausschöpfen konnte. Im Gegensatz zu eigentlich allen anderen Head Coaches gestattete er eine „open door policy“ für NFL Scouts, und zwar für das komplette Training. Sprich: Scouts konnten jederzeit einfach mal reinschneien und sich einen tieferen Eindruck von den Spielern der Tide machen. Für Saban ein weiterer Faktor, um die Spannung in jedem Training, in jedem Drill hochzuhalten, denn wer will schon gegenüber den potenziellen künftigen Arbeitgebern nicht voll fokussiert erscheinen. Wenn man so will: tagtägliche Job-Bewerbungen. Einige Spieler berichteten später, wie sehr ihnen das geholfen hat, sowohl für die Spiele am College als auch für ihre spätere Pro-Karriere.

Die klassische Alabama DNA und der Sargnagel für die BCS

Kommen wir aber mal zurück zur Chronologie: 2010 war für Sabans Verhältnisse ein down year. Noch war die Crimson Tide nicht das alles verschlingende Monster, sondern musste sich nach der National Championship erst einmal neu ausrichten. Die Offense war sogar verbessert mit einem überragenden Julio Jones, die Defense leicht verschlechtert, wenngleich immer noch auf hohem Niveau. Problem war eher die fehlende Konstanz und die plötzlichen Lapses, die früh eine mögliche Titelverteidigung verhinderten: Eine unerklärliche 21-35 Niederlage gegen South Carolina sowie eine weitere Niederlage gegen LSU ließen alle Träume platzen. Zu unguter Letzt kam dann noch die bittere Niederlage im Iron Bowl gegen das ungeschlagene Auburn obendrauf, die als „Camback“ in die Geschichte eingegangen ist. Alabama führte bereits 24-0, doch Cam Newton brachte die Tigers mirakulös zurück und siegte 28-27. Dies war übrigens der Anlass für einen Hardcore Alabama-Fan namens Harvey Updyke, die uralten Eichenbäume an der Toomer’s Corner in Auburn, an denen sich die Tigers-Fans traditionell nach Siegen versammeln, mit einem Pestizid zu vergiften. Dafür landete er sogar eine Zeitlang im Gefängnis. Ein paar Wochen später feierte Auburn übrigens die National Championship durch einen Finalsieg gegen Oregon. Worst case für alle Tide-Fans.

Ich war seit jeher ein kleiner Auburn-Sympathisant (vor allem aufgrund ihrer Backs wie Rudi Johnson, Ben Tate, der bereits gewürdigten Brown-Williams-Kombi oder Kenny Irons) und freute mich sehr über diese kleine Abwechslung in der SEC West. Allerdings kristallisierte sich so langsam die SEC-Dominanz heraus, die vor Mitte der 2000er Jahre schlicht noch nicht existierte. Doch nun hatten Florida, LSU, Florida, Alabama und Auburn die letzten fünf National Championships gewonnen. Ein Ende sollte nicht in Sicht sein – erst recht nicht in der kontroversen Saison 2011.

War 2010 gemessen an den Erwartungen eine kleine Enttäuschung, begann 2011 für Alabama atemberaubend. In den ersten acht Spielen vernichtete Sabans Team seine Gegner förmlich. Das ‚knappste‘ Spiel war ein 27-11 gegen ein geranktes Penn State (das seinen einzigen TD kurz vor Schluss erzielte), alle anderen Spiele wurden mit mindestens 24 (!) Punkten Differenz gewonnen.

Die Offense blieb mit dem neuen QB A.J. McCarron auf dem gewohnten Niveau. Das Laufspiel wurde nun von den beiden Bruisern Trent Richardson und Eddie Lacy getragen, die so dominant waren, dass es nicht einmal groß auffiel, dass die Tide keinen Top-WR vom Format eines Julio Jones mehr hatte (bei dem ich btw immer noch ein wenig stolz bin, dass ich ihn im Gegensatz zu ungefähr allen anderen Scouts nicht stark hinter Georgias A.J. Green gerankt hatte – und daher den massiven Uptrade der Atlanta Falcons prinzipiell nachvollziehen konnte). Die Defense machte noch einmal einen Sprung, von einer überragenden Top 3-Defense zu einer legendären All-Time Defense, die schwer in Worte zu fassen ist. Dazu gleich mehr.

In Woche 8 kam es dann zu einem lange erwarteten Showdown, denn LSU war bislang ähnlich dominant aufgetreten wie Alabama. Die Tigers hatten ebenfalls alle Spiele souverän gewonnen, das knappste war ein 13 Punkte-Sieg gegen den letztjährigen BCS-Finalisten, das an #3 gerankte Oregon. Zwei ultradominante Teams in der mit Abstand besten Conference des Landes: Viele riefen vorab ein neues Game of the Century aus. Das letzte Game of the Century zwischen #1 Ohio State und #2 Michigan war zwar erst fünf Jahre her, aber was solls? Damals schlug Ohio State Michigan in einem spektakulären Shootout knapp mit 42-39, was viele Journalisten dazu veranlasste, ein Rematch im BCS Championship Game zu fordern. Das geschah glücklicherweise nicht, dadurch konnte Florida gegen ein überfordertes Ohio State klar gewinnen. Die Big Ten schien in dieser Zeit overrated.

Das neue Spiel des Jahrhunderts war ebenfalls knapp, ging sogar in die Overtime, jedoch auf der entgegengesetzten Seite des Spektrums. LSU gewann in einer legendären Defensivschlacht 9-6. Wer sich das jetzt unglaublich langweilig vorstellt, irrt. Hier trafen zwei der besten Defenses der letzten Jahrzehnte aufeinander und erstickten zwei solide, wenngleich nicht überragende Offenses komplett. LSU hatte ein gefährliches Receiving Corps um Odell Beckham, Rueben Randle und Russell Shephard, Alabama seine O-Line plus eben das Backfield mit McCarron, Richardson & Lacy. Alabama war insgesamt das etwas bessere Team, den Unterschied machte aber – mal wieder – das Kicking Game: LSUs Drew Alleman versenkte alle drei Field Goals. Alabama wechselte wild zwischen seinen beiden Kickern Cade Foster und Jeremy Shelley hin und her, beide gemeinsam verwandelten insgesamt nur zwei ihrer sechs Versuche. Lohnt sich mal reinzuschauen, ein all-time classic:

Damit waren Alabamas Chancen auf das BCS Championship Game quasi dahin. LSU feierte danach vier Kantersiege, inklusive der SEC Championship gegen Georgia. Wen würden die BCS-Computer nun als Gegner der Tigers ausspucken? Der logische Pick wäre Oklahoma State (12-1) gewesen, die mit ihrer Air Raid-Offense um QB Brandon Weeden (später einer der vielen wasted 1st rounder der Browns) und WR Justin Blackmon die CFB-Welt verzauberten. Die Cowboys leisteten sich eine überraschende Double-Overtime-Niederlage gegen Iowa State, kamen danach aber wieder in die Spur und killten Oklahoma in einem der seltenen Bedlam-Siege 44-10. Der andere Kandidat? Richtig, Alabama, das nach der LSU-Niederlage ebenfalls alle restlichen Partien gewann. Die Computer hatten am Ende in der knappsten Entscheidung zwischen #2 und #3 Alabama vorn – es gab also im Finale ein Rematch!

So sehr das rein von der sportlichen Qualität verdient gewesen sein mag, läutete diese Entscheidung das Ende der BCS-Ära ein. Es gab – trotz des Realignments in diesem Jahr – ja immer noch sechs große Conferences; und zwei Teams derselben Conference, die bereits gegeneinander gespielt hatten, sollten nun das Finale bestreiten? Trotz der beiden großen Namen LSU und Alabama machte sich vielerorts Langeweile breit. Auch ich war ziemlich desillusioniert, schließlich wurde das Duell bereits auf dem Spielfeld entschieden. Die Erwartung in den USA fiel noch geringer aus, weil es zudem nur eine Region des großen Landes direkt betraf. Der Ruf nach Playoffs wurde unüberhörbar lauter – und sollte ja bereits drei Jahre später umgesetzt werden. Diese Entscheidung war der letzte Sargnagel für die BCS.

Das Finale? Ein Schnarcher. Wer nochmal mit einer legendären engen Defensivschlacht gerechnet hatte, wurde enttäuscht. Die Offense von LSU konnte den Ball schlicht überhaupt nicht bewegen und erzielte keine 100 Yards. Alabama brannte kein Feuerwerk ab, aber konnte sich dieses Mal – zumindest halbwegs – auf seinen Kicker Shelley verlassen, der in den ersten drei Vierteln fünf von sieben FG-Versuchen zur 15-0 Führung verwandelte. Den ersten TD gab es erst fünf Minuten vor Schluss, Alabama gewann 21-0. Die zweite National Championship unter Saban!

Ich muss noch einmal kurz über die 2011er Tide-Defense reden, die für mich bis heute der Goldstandard im College Football ist. Ja, spätere Saban-Verteidigungen hatten mehr Star-Power und noch mehr 1st round picks zu bieten, aber was diese Truppe leistete, ist schlicht unübertroffen: In der Ära der Spread-Offenses ließ man durchschnittlich keine 200 Yards Offense zu: 72 gegen den Lauf bei 2.4 Yards pro Rush sowie lächerliche 112 (!) gegen den Pass bei 49.1% komplettierten Pässen. Alabama gab 8.2 Punkte pro Spiel ab, dabei überhaupt nur dreimal über 11 Punkte: 14 gegen Arkansas, 21 gegen FCS-Team Georgia Southern in einer unkonzentrierten Leistung (allerdings inklusive Kickreturn TD) und 14 gegen Auburn (ebenfalls inklusive Kickreturn TD). Wir reden wohlgemerkt von 2011, nicht von 1970. Das LB-Corps in der damals meist noch weniger hybriden 3-4 Defense mit Courtney Upshaw, Dont’a Hightower, C.J. Mosley und Nico Johnson sowie eine überragende Secondary um die beiden späteren 1st round CBs Dre Kirkpatrick und Dee Milliner sowie S Mark Barron: Ich habe in meinen knapp 30 Jahren CFB keine bessere Unit gesehen. Übrigens: Die von LSU rangiert nur knapp dahinter – mit einem der besten Defensive Backfields meiner Zeit (Tyrann Mathieu, Morris Claiborne, Eric Reid, Brandon Taylor).

Höhepunkt und Umschwung

Die Saisons 2011 und 2012 sind der Kern des ersten Teils der Dynastie. Alabama war ohne Zweifel das stärkste Team des Landes und Saban dessen absoluter Meister-Coach, der mit seinen oldschool Herangehensweisen und Prinzipien sich der wachsenden Zahl an aufregenden Spread-, Zone Read- und Air Raid-Offenses erwehren konnte. Offensichtlich galt zu dieser Zeit noch „Defense wins Championships“ – und Sabans Defense war eindeutig das Beste, was der College Football diesbezüglich zu bieten hatte.

Und so verlief auch die 2012er Saison. Viel verändert hatte sich nicht: McCarron war weiterhin der Quarterback und in diesem Jahr mehr als ein Game Manager, sondern ein echter Difference Maker (und zweiter der Heisman-Wahl!). Das RB-Duo hieß nun Eddie Lacy und T.J. Yeldon, und letzteren habe ich wegen seines eleganten Running Styles für einen Big Back echt geliebt (erinnere mich noch sehr gut an sein Debüt gegen Michigan und Brent Musburgers Kommentar bereits im zweiten Viertel: „Oh my… OOOH MY!“). Nach einem Jahr Abstinenz gab es auch wieder einen echten #1 WR mit Amari Cooper. In der Defense wurden die Abgänge hervorragend aufgefangen (insb. der von Barron durch HaHa Clinton-Dix, der eine Breakout-Saison haben sollte).

Alabama deklassierte seine Gegner in den ersten acht Wochen, selbst das in den Top 10 gerankte Michigan hatte überhaupt keine Chance. In der neunten Woche kam es zum heiß erwarteten Klassiker gegen LSU, die sich für die Championship-Niederlage rächen wollten. Und das hätte fast geklappt: Die Tigers waren das bessere Team, führten aber kurz vor Schluss nur mit 17-14, unter anderem da sie zwei FGs verkickten und zwei Turnover on Downs hatten. Alabama bekam 90 Sekunden vor Schluss eine letzte Chance – und nutzte diese. Der Screen auf Yeldon ist ein bis heute zelebriertes Play:

Nun war der Weg frei, oder? Nein, eine Woche später gab es ein Spiel, das für die Entwicklung des College Footballs und insbesondere von Alabama überragende Bedeutung haben sollte. Texas A&M reiste mit seinem redshirt Freshman QB Johnny Manziel (der später in dieser Saison die Heisman-Trophy gewinnen sollte) nach Tuscaloosa und entzauberte die Crimson Tide dank eines überragenden ersten Quarters mit 29-24. Ein legendäres Spiel:

Für die Saison selber sollte die Niederlage keine größeren Auswirkungen haben. Alabama blieb auf #1 gerankt, und Saban ließ in seiner typischen Manier den Frust über eine Niederlage an den nächsten Gegnern aus. FCS-Team Western Carolina und Rivale Auburn wurden jeweils mit 49-0 abgeschossen. Es folgte ein all-time classic SEC Championship Game gegen das vielleicht beste Georgia-Team unter HC Mark Richt: In einem wilden Spiel ging es hin und her, Bulldogs QB Aaron Murray und Star-RB Todd Gurley hatten Alabama am Rande der Niederlage. Die Tide gingen durch einen langen Amari Cooper-TD kurz vor Schluss mit 32-28 in Führung und profitierten beim letzten Bulldogs-Drive von einem kapitalen Patzer: Chris Conley (in den Divisional Playoffs ja gerade mit einem wichtigen Catch für die 49ers gegen die Packers) fing den tipped Ball von Murray, dadurch lief die Uhr aus.

Damit qualifizierte sich Alabama für das zweite BCS Championship Game in Folge, dieses Mal gegen das ungeschlagene Notre Dame, das allerdings nicht den härtesten Spielplan absolvieren musste (und vor dem Finale mit dem Wirbel um Star-LB Manti Te’o zu tun hatte). Die Crimson Tide war klar favorisiert und wurde dem vollauf gerecht. Das Endergebnis von 42-14 spiegelt nicht einmal wider, wie überlegen Alabama insbesondere in der Front war: Lacy und Yeldon liefen jeweils für 100 Yards, Cooper legte über 100 Yards Receiving drauf und man konnte nach 35-0 im dritten Viertel die Zügel ein wenig schleifen lassen. Sabans dritte Meisterschaft mit Alabama, seine vierte insgesamt. Nun war er endgültig bei den größten Coaches aller Zeiten angekommen.

Doch die Niederlage gegen Texas A&M sollte Spuren hinterlassen. Saban machte seinen Unmut gegenüber diesen neuen hurry-up Spread Offenses deutlich, im Gegensatz zu gängigen Meinungen allerdings nicht erst nach diesem Spiel, sondern bereits nach dem Sieg gegen Ole Miss, die unter HC Hugh Freeze ebenfalls eine dieser neuen fancy Offenses spielen ließen. Er formulierte seinerzeit:

The team gets in the same formation group, you can’t substitute defensive players, you go on a 14-, 16-, 18-play drive and they’re snapping the ball as fast as you can go and you look out there and all your players are walking around and can’t even get lined up. That’s when guys have a much greater chance of getting hurt when they’re not ready to play.

I think that’s something that can be looked at. It’s obviously created a tremendous advantage for the offense when teams are scoring 70 points and we’re averaging 49.5 points a game. With people that do those kinds of things. More and more people are going to do it.

I just think there’s got to be some sense of fairness in terms of asking is this what we want football to be?

Is this what we want football to be wurde eine Phrase, die im Nachgang noch öfter zitiert wurde. Denn obwohl Saban dieser neue Offense-lastige Football widerstrebte, sah er sich alsbald gezwungen, sich selbst zu verändern, da er allein die Entwicklung nicht aufzuhalten vermochte. Das Spiel von Johnny Football war da wohl der eine hauptsächliche Anstoß.

Der nächste Anstoß kam früh in der folgenden Saison 2013, und zwar wieder durch denselben Protagonisten. Gleich am zweiten Spieltag traf man auf Texas A&M, und obwohl Alabama einen spektakulären Shootout 49-42 gewinnen konnte, blieb das Gefühl, das Änderungen anstanden. Manziel passte für 464 Yards und lief für weitere 98 Yards. Exzellent funktionierende Offenses konnten nicht mehr dauerhaft von noch so guten Defenses aufgehalten werden.

Danach kam Alabama aber wieder ins Rollen und gewann bis zum letzten Spieltag alle Spiele problemlos. McCarron war weiterhin der Quarterback, das RB-Duo hieß nun Yeldon und Kenyan Drake (mit seiner Quickness ein ungewöhnlicher Typ für Tide-Verhältnisse zwischen all den Power Backs), Cooper weiterhin der go-to-guy im Receiving. Der Style Alabamas blieb vorerst – warum auch nicht?

Am letzten Spieltag wartete Rivale Auburn im Iron Bowl. Die Tigers spielten unter ihrem neuen HC Gus Malzahn mit seiner ungewöhnlichen Spread-Adaption der alten Delaware Wing-T Offense eine überraschend gute Saison und gingen an #4 gerankt mit nur einer Niederlage (gegen LSU) in das große Duell. Auburn hatte bereits mehrere mirakulöse Finishes hingelegt, keiner größer als das Miracle at Jordan-Hare gegen Georgia eine Woche vor dem Iron Bowl, als WR Ricardo Louis einen tipped Ball-Prayer von QB Nick Marshall bei 4th and 18 fing, den zwei Bulldogs Defender einfach nur hätten zu Boden schlagen müssen. Alabama ging als klarer Favorit in das Duell, führte zeitweilig 21-7, konnte sich aber nicht entscheidend absetzen. Das lag auch daran, dass K Cade Foster drei FGs versemmelte. Kurz vor Schluss glich Auburn zum 28-28 aus. Alabama bekam noch eine halbe Minute, und Yeldon gelang ein langer Lauf, bei dem er mit auslaufender Spielzeit ins Aus geht. Saban besteht auf der einen Sekunde, die Refs reviewen das Play eh – und siehe da, eine Sekunde bleibt Alabama an der 39 Yard Line der Tigers. Hail Mary? Oder langes FG? Saban entscheidet sich für einen 56 Yarder, dieses Mal von Backup K Adam Griffith. Ihr wisst, was jetzt kommt – es muss dennoch sein.

Ich finde es übrigens großartig, dass Verne Lundquist und Gary Danielson nach diesem Play einfach mal die Klappe halten und die unglaublichen Reaktionen auf beiden Seiten über eine Minute lang ganz dem Publikum überlassen. Sollte es viel öfter geben. (Und die ersten Worte nach der Pause: „Might be worth another look“. Joa, Zustimmung.)

Ich weiß nicht, ob bei irgendeinem Team in irgendeinem Sport ein möglicher Three-Peat bitterer und dramatischer geendet ist als bei Alabama 2013 mit dem Kick-Six. Ich saß minutenlang sprachlos, fast paralysiert und mit Ganzkörpergänsehaut vorm Bildschirm. Einer der ikonischsten Momente im College Football – und einer, den man einfach live gesehen haben muss für die volle Schlag-in-die-Magengrube-Wirkung.

Alabamas Saison endete mit einer hässlichen 31-45 Niederlage gegen Oklahoma im Sugar Bowl (damals übrigens noch mit QB Trevor Knight – Baker Mayfield sollte erst in der kommenden Saison in Norman spielen). Dieses Spiel dürfte Saban weiterhin in seiner Meinung bestärkt haben, dass ein paar Anpassungen vonnöten sind. Auburns wundersame Saison setzte sich dagegen noch fort, endete dann aber bitter durch ein Comeback in letzter Sekunde von Florida State, Jameis Winston und Kelvin Benjamin im BCS Championship Game. Wohlgemerkt: Im allerletzten BCS Championship Game. Längst war beschlossen, dass ab der kommenden Saison Vierer-Playoffs Einzug in den College Football halten sollten. Ich bin übrigens nach wie vor der Meinung, dass Alabama das beste Team diese Saison war und das Finale gegen FSU gewonnen hätte. Unfroh war ich natürlich nicht darüber, dass es anders kam (wenngleich ich gerne Auburn als Sieger gesehen hätte).

Kontinuität und Adaption

An dieser Stelle ist es vielleicht geraten, mal einen Schritt zurückzutreten, um sich nicht in unergiebigen, wenngleich oftmals dramatischen Saison-Recaps zu verlieren. Am Ende der BCS-Ära lässt sich ein Fazit über den ersten Teil der Dynastie ziehen. Einige Ingredienzen habe ich in diesem und dem vorigen Beitrag bereits genannt, von seinen Prinzipien über sein Recruiting bis zu dem präferierten old school-Spielstil. Ein Moment, das oftmals untergeht, ist die bemerkenswerte Kontinuität bei den Coordinators und teilweise auch Position Coaches. In der Defense ist es ganz einfach: Saban nahm seinen jungen Safety-Coach Kirby Smart von den Dolphins mit zu Alabama und beförderte ihn 2008 nach einem Jahr als DB Coach zum Defensive Coordinator, der er bis 2015 blieb. Saban hatte auf ‚seiner‘ Seite des Balls also einen Vertrauten, mit dem über Jahre seine two-gapping 3-4 Cover-3 Pattern Match Defense aufbauen und immer weiter verfeinern konnte. So entwickelte sich die Front immer mehr zu einem hybriden Modell, das mit seiner Variabilität ein paar Vorteile gerade gegen die Spread-Passgewalt bieten sollte. In der Offense kam es ebenfalls zu wenigen Veränderungen: In der ersten Saison 2007 war es noch der junge OC Major Applewhite (der dann zu seiner Alma Mater Texas ging und aktuell der neue HC von South Alabama ist, nachdem sein Vorgänger Kane Wommack nun als DC von Alabama die schwere Last übernommen hat, die Geschichte an dominanten Defenses fortzusetzen). 2008 verpflichtete Saban Jim McElwain als neuen OC, der ihm seine Power Pro Style-Offense wie gewünscht umsetzte, und das vier Saisons lang, in denen man zweimal den nationalen Titel holte. McElwain nahm 2012 den HC-Posten von Colorado State an, sein Nachfolger wurde Doug Nussmeier, mit dem der Pro Style im Prinzip trotz leichter Modifikationen fortgesetzt wurde.

Aus heutiger Sicht ist es schwer nachvollziehbar, dass Sabans Assistenten so lange bei ihm blieben und nicht von durchaus größeren Programmen als HC abgeworben wurden. Nun ließe sich einwenden, dass Smart noch jung war und sein Verdienst an den Defenseleistungen neben der überlebensgroßen Figur Saban ungewiss erschien, doch allein das erklärt es nach so vielen Jahren nicht. Auch McElwain hätte nach mehreren erfolgreichen Jahren mit seiner Power-Offense ein paar mehr – und hochkarätigere – Angebote erhalten sollen. Auf der anderen Seite scheint Saban bei all seiner Verbissenheit eine Atmosphäre geschaffen zu haben, in der seine Assistenten gerne gearbeitet haben, so dass sie nicht beim erstbesten Angebot das Weite gesucht haben. Saban schien sich bereits in diesen Jahren von seinem Image als Kontrollfreak ein wenig distanzieren zu können und seinen Untergebenen zumindest etwas mehr Verantwortung übertragen zu haben, als das auf den ersten Blick offensichtlich war. Ein aus meiner Sicht unterschätzter Faktor für die Aufrechterhaltung der Dynastie.

Doch bei aller Präferenz für größtmögliche Kontinuität (die zudem ja auch im Recruiting Vorteile bietet) sah sich Saban zu einer großen Änderung gezwungen. Die neuen Offenses bereiteten ihm Kopfzerbrechen. Noch war die Qualität seiner Defense gut genug, um an den allermeisten Tagen die Challenges der diversen Spreads und Air Raids abzuwehren. Allerdings sah er die Entwicklung im College Football voraus, die sich insbesondere mit der exzessiven Verwendung von Run-Pass-Option-Plays noch einmal beschleunigen sollte. Der große Vorteil von RPOs im College gegenüber der NFL lag schlicht darin, dass am College O-Liner bei einem Pass Play bis 3 Yards über die Line of Scrimmage gehen dürfen (in der NFL: 1 Yard), so dass Offenses wirklich lange ein Run Play spielen (und blocken!) konnten, bis sich die Defenses und die entscheidenden Read Player für eine der Optionen entscheiden.  Die Ausnutzung dieser Regel insbesondere ab Mitte der 2010er Jahre sollte die eh schon Offense-lastige Epoche noch punktereicher machen.

Saban gefiel diese Entwicklung wie gesagt nicht, er erkannte nun allerdings, dass er selbst eine schnelle und explosive Offense entwickeln musste, um potenzielle Shootouts mitgehen zu können, wenn seine Defense gegen die besten Angriffsreihen nicht mithalten konnte. Daher entschied er sich zu einem drastischen Schritt: Er ersetzte OC Nussmeier (der zu Michigan abgewandert war) 2014 mit dem enfant terrible des College Footballs, Lane Kiffin. Kiffin galt als junger, wilder, innovativer Head Coach, hatte aber bei seinen vorigen Stationen als HC (Oakland Raiders, Tennessee, USC) für viel Unruhe und einige verbrannte Erde gesorgt. Ich weiß nicht, ob es zwei gegensätzlichere Charaktere als Saban und Kiffin gibt, von daher gingen viele – wie auch ich – von einer Vernunftehe aus. Ganz ohne Spannungen sollte diese Beziehung nicht auskommen: Saban ließ seine berüchtigten Tiraden an der Seitenlinie gerne mal gen Kiffin los: 2016 lag man im Spiel gegen Mid-Major Western Kentucky kurz vor Schluss bequem mit 38-3 in Führung, Kiffin callte einen Reverse, der zu einem Fumble und wenig später zum TD für die Hilltoppers führte. Egal, möchte man sagen? Nicht für Saban, der Kiffin für alle sichtbar ordentlich eintupperte. Warum rennt man in einer solch belanglosen Situation nicht einfach den Ball durch die Mitte, wie Sabans Teams es immer getan hatten? Dennoch: Kiffin gab der Offense wertvolle Impulse und durch seine extrovertierte Art auch etwas Swag. Berühmt wurden gleich in der ersten Saison als Tide-OC sein mehrfach zelebrierter früher Jubel an der Seitenlinie, wenn der Playcall zu einem TD führen sollte.

Dennoch sollte man sich Kiffins Job nicht zu autonom und gemütlich vorstellen, wie es oftmals bei OCs unter defensiv geprägten Head Coaches der Fall ist. Saban blieb in vielerlei Hinsicht der Boss und war auch in die offensiven Gameplans minutiös eingebunden – etwas, was Kiffin bei ähnlichen Konstellationen in der Form zuvor nicht kannte. Saban überließ also selbst auf der für ihn ‚fremden‘ Seite des Balles nichts dem Zufall – oder nur seinen Assistenten.

So wichtig diese Adaptionen in der Offense für eine Kontinuität der Dynastie Alabamas waren, gilt es hier dennoch verkürzten Narrativen entgegenzutreten: Es ist eben mitnichten so, dass die Tide Defense von den Spread-Offenses überrascht wurde und plötzlich große Probleme bekam, so dass man eine explosivere Offense herbeiholen musste. Nein, die Defense hat in einer Zeit voller Spread Offenses den College Football dominiert. Unfassbar gute Spread Offenses gab es bereits in den 2000er Jahren, ob die lauforientierten Versionen wie von Rich Rodriguez und Urban Meyer oder die Aid Raid-basierten Attacken wie von Oklahoma unter Bob Stoops. Die oben erwähnte 2008er Sooners Offense ist für mich wohl immer noch die beste, die ich im College Football erlebt habe (LSU 2019 hin oder her). Die großen SEC-Defenses wie erst Florida, später eben Alabama oder LSU waren dem durchaus ebenbürtig und meist sogar überlegen. Vielmehr ist es Sabans seherische Gabe gewesen, dass sich durch schematische Anpassungen, Regeländerungen und ‚Loopholes‘ (wie die erwähnte Regelung im Downfield Blocking für die RPOs) das Verhältnis weiter Richtung Offense verschieben würde, so dass er prophylaktisch ein Adjustment vornahm. Er blieb also stets seiner Zeit voraus. Viele Jahre später nahm er zu dieser Entwicklung Stellung:

Es ist übrigens auch nicht so, dass Kiffin sofort eine offensive Revolution anzettelte. Die Unterschiede waren eher gradueller Natur. Alabamas Angriff 2014 war gegenüber der Vorsaison insgesamt nur leicht verbessert, allerdings eine Ecke passlastiger mit 277 Yards pro Spiel – so viel wie noch nie unter Saban. Das Passspiel war nicht mehr eine Ergänzung zum Power Run Game (nun mit Yeldon und Derrick Henry), sondern dem mindestens gleichgestellt. Amari Cooper spielte eine überragende Saison mit über 1700 Receiving Yards und gewann als erster Alabama-Receiver überhaupt den Biletnikoff Award für den besten Receiver des Landes. Spoiler: In den kommenden Jahren sollten zwei weitere hinzustoßen (Jerry Jeudy, DeVonta Smith). Die vielleicht größte Abkehr vom bisherigen Stil lag in der Person des Quarterbacks: Blake Sims war nach all den Pocket-Passern der erste ansatzweise dual-threat-Typ. Sims blieb eindeutig pass-first, aber Kiffin konnte immer mal wieder auf ein zusätzliches Element der Offense zurückgreifen (etwas, was er heutzutage bei Ole Miss sogar mit weniger profilierten dual-threats als Sims macht).

Während die Offense sich modernisierte, machte die Defense nach mehreren ultra-dominanten Jahren einen merklichen Schritt zurück. Nicht falsch verstehen, immer noch eine sehr gute Defense, aber längst nicht mehr so unantastbar. Zu Beginn der Saison handelte man sich eine Niederlage gegen Ole Miss ein – also genau die Offense, die Saban ein Jahr zuvor zu seinem „Is that what you want?“ inspirierte. Der mobile Rebels QB Bo Wallace sorgte für ein 4th quarter Comeback und eine faustdicke Überraschung. Auch sonst musste Alabama mehr als üblich kämpfen (u.a. gegen Arkansas, Overtime vs. LSU), und im Iron Bowl brauchte es nach riesigen Problemen der Verteidigung die neue Offense umso dringender, die mit vier Touchdowns in Serie den 55-44 Sieg gegen Auburn sicherte. Alabama gewann so die SEC West, schlug Missouri im SEC-Finale deutlich und qualifizierte sich an #1 gerankt für die ersten College Football Playoffs. Dort war überraschend Schluss gegen Urban Meyers Ohio State, das in Person von RB Zeke Elliott ganz Alabama-mäßig über die Tide rüberwalzte und mit 3rd string QB Cardale Jones genug Plays durch die Luft besorgte. Alabama ging zwar 21-6 in Führung, gab danach aber vier Touchdowns in Folge ab und verlor letztlich 35-42. Ich war froh über Neuerung (wenngleich ich schon damals wenig mit Meyer anfangen konnte) und noch froher, dass Ohio State meine andere Nemesis dieser Zeit, das flashy Oregon, im Finale erledigte.

Weitere Umstellungen und ein neuer Rivale

Zwei Jahre hintereinander ohne National Championship, das war für Saban und Alabama vollkommen inakzeptabel. Was also tun? Die Offense hatte bereits neue Impulse bekommen. Ich weiß, dass das in vielen Berichten untergeht, doch aus meiner damaligen wie heutigen Sicht haben Saban und Smart ein paar grundsätzliche Adjustments in der Defense vorgenommen. Die größte Veränderung war meiner Ansicht nach die vollständige Implementierung der STAR-Position in das Scheme. Die Tide Defense hatte natürlich schon vorher mit Slot-Corners und -Safeties gespielt. Ab 2015 erhält diese Position allerdings eine variablere Rolle innerhalb der Rip/Liz Defense als einer der Apex-Players (und ebenso für post Snap Coverage Rolls) – und ist für die aufkommenden Passattacken logischerweise wesentlich mehr eine Schlüsselfigur als einer der Linebackers, aber durch die hohe Verantwortung als Run Defender und gelegentlicher Player an der Edge eben auch mehr als ein klassischer Nickelback. Für diese Vorstellungen benötigt einen besonderen Spielertypen, und den fanden Saban und Smart in Freshman DB Minkah Fitzpatrick. Der wurde vom ersten Spiel an ins kalte Wasser der Tide-Defense geworfen und lernte sehr schnell schwimmen. Ich kann mich noch gut dran erinnern, wie früh ich dazu geneigt war, ihm mit meinen Augen bei jedem Snap zu folgen – wohlgemerkt ohne dass er gleich besondere Highlights produzierte. Sein Command, seine Spielintelligenz, seine Instinkte, bei ihm ahnte man schnell, dass er mehr als nur ein großes Talent war. Nach dem doppelten Pick-Six-Spiel gegen Texas A&M sah es dann spätestens die ganze College Football-Welt. Ich mag da übertreiben, doch für mich ist Fitzpatrick einer der wichtigsten Spieler der Saban-Ära, nicht nur wegen seiner Leistungen, sondern weil er mit seiner Positionsinterpretation der Treiber für die Defense des zweiten Teils der Dynastie war, die sich im Verlauf der nächsten Jahre wieder deutlich verbessern sollte.

Eine weitere Auffälligkeit dieser Zeit war die Änderung positionsspezifischer Präferenzen in der Defense. Am deutlichsten lässt sich dies wohl bei den Inside Linebackern belegen. Dominierten zu Beginn kräftig gebaute Thumper-Typen mit Downhill-Qualitäten, waren es später leichtere athletischere Typen mit gewissen Skills in Coverage. Man kann das an den Protagonisten recht gut verdeutlichen: zunächst Brocken wie Rolando McClain, Dont’a Hightower oder Trey Depriest, dann ein gradueller Wechsel zu Spielern mit mehr Variabilität und mehr Range wie Reggie Ragland oder Reuben Foster, später dann wendigere, meist leichtere Typen mit zusätzlichen Coverage-Skills wie Dylan Moses oder Mack Wilson. Auch hie erfolgte kein radikaler Schnitt, sondern eine sukzessive Anpassung an die Erfordernisse in Reaktion auf die offensive Revolution. Kaum einer verstand das besser als Saban.

Nun ist Saban zwar ein verdammt guter Coach, aber kein Magier. Und es war ausgerechnet erneut Hugh Freeze mit seiner hurry-up Spread, der Alabama gleich zu Saisonbeginn 2015 die Grenzen aufzeigte. Gleich das erste SEC-Spiel am dritten Spieltag ging gegen Ole Miss in einem Shootout 37-43 verloren. Der streitbare Rebels QB Chad „Swag“ Kelly passte für 341 Yards und 3 TDs in einer Big Play Pass-Offense, und das Spiel war über weite Strecken eindeutiger, als das Endergebnis – nach einem späten Comeback-Versuch der Tide – suggeriert. Doch danach groovte sich die Defense ein und ließ in der restlichen regulären Saison nur noch einmal über 16 Punkte zu (23 beim klaren Sieg gegen Texas A&M). Von einem 4th quarter Comeback gegen Tennessee abgesehen wurden alle Spiele deutlich gewonnen.

Auch für die Saison 2015 muss vor falschen Narrativen gewarnt werden: Die Offense machte vorerst wieder einen Schritt zurück in Richtung klassischer Alabama-Style, was vor allem mit dem Personal zu tun hatte: Als Quarterback setzte sich FSU-Transfer Jake Coker durch, der eindeutig dem Typus Pocket-QB und Game Manager zuzuordnen war. Zudem war RB Derrick Henry in einer so überragenden Form, dass es schlichtweg unverantwortlich gewesen wäre, ihm nicht den Ball zu geben. Für ihn standen am Ende 2219 Rush Yards und 28 TDs sowie die Heisman-Trophy zu Buche. Nach dem Abgang von Amari Cooper in die NFL fand Alabama erneut schnell einen Nachfolger als den go-to-guy im Pass Game mit Freshman WR Calvin Ridley.

Doch wie gesagt: Die Defense machte den größeren Sprung. War die 2011er Version die statistisch beste Verteidigung unter Saban, machte mir die 2015er Version vielleicht am meisten Spaß. Zumindest hatte sie die schillerndsten Namen, auch aus späterer NFL-Sicht. Nur um mal einen Eindruck zu verschaffen: Eine D-Line aus Jonathan Allen, Jarran Reed und A’Shawn Robinson (mit den Key Backups Dalvin Tomlinson und Da’Shawn Hand), Ryan Anderson und Speedrush-Phänomen Tim Williams als OLBs/Passrusher, die beinharten Reuben Foster und Reggie Ragland als ILBs (mit Backup Shaun Dion Hamilton) sowie eine Secondary mit Marlon Humphrey, Cyrus Jones, Minkah Fitzpatrick und Eddie Jackson (plus u.a. Ronnie Harrison als Backup-S). Schlicht eine komplette NFL-Defense. (Btw, wie muss sich Geno Smith fühlen, starting Safety und drittbester Tackler des Teams, der es als einziger Starter nicht in die NFL schaffte?)

Im SEC Championship Game 2015 traf Saban auf seinen alten OC Jim McElwain, der nach einem erfolgreichen Job bei Colorado State die Florida Gators übernommen hatte und dort gleich im ersten Jahr die SEC East gewann. Doch im Finale gabs – wie so oft für Sabans ehemalige Assistenten – überhaupt nichts zu holen. Der 29-15 Sieg verrät nicht ansatzweise die Dominanz Alabamas: Die Gators erzielten nur 180 Yards Offense, davon 81 beim (quasi) Garbage Time Touchdown-Drive. Alabama hielt den Ball fast 45 Minuten in den eigenen Reihen, Derrick Henry lief schlappe 44 Mal.

Damit qualifizierte sich die Tide erneut für die CFB Playoffs. Im Halbfinale wurde es gegen einen völlig überforderten Big Ten-Champion Michigan State noch deutlicher mit einem 38-0 Shutout. Im Finale wartete ein aufstrebendes Programm, das nicht zu den klassischen Blaublütern des College Footballs gehört: Clemson. Ihr erinnert euch? Alabamas Kantersieg zum Saisonauftakt 2008 war an der Entlassung von Clemsons HC Tommy Bowden beteiligt, und der unbekannte WR Coach Dabo Swinney wurde befördert. Eben jener Swinney baute in den kommenden Jahren langsam, aber sicher eine konkurrenzfähige Mannschaft auf: 2011 gewannen die Tigers erstmals seit 1991 die ACC, 2013 gabs einen Orange Bowl-Sieg, und 2014 betrat ein junger Quarterback die Bühne, über den wir heute leider ganz anders reden müssen: Deshaun Watson. Bei ihm sah man wirklich ab dem ersten Spiel, was für ein unglaubliches dual-threat Talent er war. 2014 übernahm er als true Freshman nach einem 1-2 Start, 2015 verzauberte er die College Football-Welt mit Leistungen, die man zuvor nur selten erlebt hatte: über 4000 Yards Passing, über 1000 Yards Rushing, und trotz ein paar enger Spiele eine ungeschlagene Saison.

Im Finale war Alabamas superbe Defense darauf nicht vorbereitet. Watson war schlicht eine one-man Show für Clemson mit 405 Pass Yards und 73 Rush Yards – und doch behielt Alabama trotz geringerer Anzahl Yards und deutlich weniger 1st downs dank einer ungewohnten Horde an Big Plays die Oberhand. Nach ausgeglichenen drei Vierteln ging die Tide im vierten Viertel durch einen Kickreturn-TD von Kenyan Drake erstmals mit zwei Scores in Führung und konnte diese in einem wilden Shootout ins Ziel retten. Unerwarteter Held: TE O.J. Howard mit 205 Receiving Yards und seinen einzigen beiden Touchdowns der Saison.

Instant classic, wenngleich mir etwas zu Offensiv-lastig:

Saban konnte also seine fünfte National Championship (und die vierte mit Alabama) feiern. Was er seinerzeit noch nicht wusste: Dies war erst der Auftakt für eine sportliche Dauerrivalität mit Clemson, die beiden Teams alles abverlangen sollte.

Nach der Saison brach eine der Säulen des Erfolgs weg. Nach vielen überragenden Saisons und der erfolgreichen Modifizierung der Defense wurde DC Kirby Smart endlich abgeworben. Georgia verpflichtete ihn als neuen HC – und es sollte nicht allzu lange dauern, bis er sich zu einem veritablen Rivalen entwickeln sollte. Sein Nachfolger als Sabans Verbündeter in der Hexenküche der Tide-Defense wurde Jeremy Pruitt, der bis 2012 als DB Coach zu Sabans Staff gehörte und über DC-Posten bei FSU und – ausgerechnet – Georgia wieder bei Saban landete. Unter ihm sollte es mit der Tide Defense sogar noch weiter bergauf gehen.

In der darauffolgenden 2016er Saison wurde die Wende in der Offense endgültig vollzogen. Ich habe dazu bereits vor etwa einem Jahr in der ungewöhnlichen Super Bowl-Vorschau ein paar Zeilen verloren. Saban und Kiffin mussten sich nach dem Abgang von Coker für einen neuen Quarterback unter drei unerfahrenen Optionen entscheiden. Es begann redshirt Freshman Blake Barnett, doch dessen Karriere als Starter sollte nur zwei Drives dauern, bis ein true Freshman übernahm: Jalen Hurts. Unter ihm als dezidiertem dual-threat Quarterback mit (zunächst) run-first Tendenzen sah der Angriff auf einmal ganz anders aus als in den frühen Saban-Jahren. Mit dem Power Runner Hurts und einem Arsenal an kräftigen RBs wie Damien Harris, Bo Scarbrough und Josh Jacobs wurde eine Zone Read- und Option-lastige Offense mit einigen RPO-Plays geschaffen. Hurts war (noch) nicht das Talent als Passer, vermochte es aber den Ball solide in die Hände seiner Playmaker zu bewegen. Zum ersten Mal seit längerem gab es nicht mehr den einen klaren go-to-Receiver, sondern eine ausgewogenere Mischung zwischen Calvin Ridley, ArDarius Stewart und TE O.J. Howard. Diese neuformierte Offense dominierte im Run Game wie nie zuvor (fast 250 Yards pro Spiel), das Passspiel war oftmals gar nicht so nötig. Grund dafür war auch eine überragende Defense, die sich gegenüber der Vorjahresversion noch einmal steigern konnte. Die Saisons 2015-2017 waren vielleicht der bisherige Höhepunkt der offensiven Explosion im College Football, und Saban stellte hier mit Smart und ab 2016 Pruitt ein paar absolute all-time Defenses entgegen, die der Punkteflut einigermaßen – wenngleich mit Ausnahmen – Einhalt gebieten konnten. Über das krasse Talent von 2015 hatte ich bereits geschrieben, und 2016 sollte dem nicht besonders nachstehen. Schaut mal:

All diese Spieler waren später übrigens NFL Draftpicks. Die Truppe ließ durchschnittlich nur 13 Punkte (Platz #1 landesweit) und 260 Yards zu. Die Schwankungen waren allerdings etwas größer: Erneut gab es die meisten Probleme mit Ole Miss und der Offense von Hugh Freeze, wenngleich Alabama dieses Mal den Shootout mit 48-43 für sich entscheiden konnte, auch gegen Arkansas wirkte die Verteidigung nicht ganz sattelfest bei einem allerdings ungefährdeten Sieg (49-30). Der Rest der Gegner erzielte höchstens 14 Punkte.

Und: Zum ersten Mal seit der ersten National Championship 2009 gab es keinen Ausrutscher in der regulären Saison. Alle Spiele wurden gewonnen, Alabama war vom ersten bis zum letzten Spieltag an #1 gerankt. Im SEC-Finale traf man erneut auf Florida und den alten Assistenten McElwain, und wieder gab es für die Gators nichts zu melden bei einer 54-16 Klatsche. Also: Drittes Jahr Playoffs, und zum dritten Mal war Alabama dabei. Jedes Mal übrigens mit einem anderen Quarterback.

Ganz ohne Drama wäre es aber auch langweilig. Nach dem Gewinn der SEC-Krone gab Kiffin bekannt, nächste Saison HC von Florida Atlantic zu werden, allerdings erst nach den anstehenden Playoffs. Er rekapitulierte die Zeit unter Saban humorvoll und gab an, sich vor allem an die „ass chewings“, also die deftigen Standpauken, zu erinnern, denen er sich des Öfteren ausgesetzt sah. Es wirkte ein wenig so, als ob die drei Saisons andauernde Vernunftehe zwischen Saban und Kiffin ab hier deutlichere Risse erhielt.

Im Halbfinale (aka Peach Bowl) traf Alabama auf das Überraschungsteam Washington unter Erfolgscoach Chris Petersen. Die Tide gewann letztlich problemlos 24-7, aber überzeugend fiel die Leistung insbesondere von der Offense nicht aus. Hurts fehlte weiter die Konstanz im Passing, und Alabama erkannte erst in der zweiten Halbzeit, wie gut RB Bo Scarbrough in Form war, der mit seinen 235 Pounds einfach über die Huskies Defense drüberrollte. 19 Carries, 180 Yards, 2 TDs, die totale Dominanz. Doch Saban war offenbar unzufrieden über den zu Hurts-lastigen Gameplan zu Beginn (was angesichts von insgesamt nur 14 Passversuchen ein wenig absurd erscheint; vielleicht meinte er auch die 19 Läufe vom Quarterback?).

Im Finale wartete erneut Clemson mit Deshaun Watson. Die Tigers waren dieses Mal aufgrund einer sensationellen Shootout-Niederlage gegen Pitt zwar nicht ungeschlagen durch die Saison gegangen, hatten aber souverän die ACC gewonnen und im anderen Halbfinale Big Ten-Champion Ohio State gnadenlos mit 31-0 abgebügelt. Ob Saban einem potenziellen erneuten Shootout gegen ein in Topform befindliches Clemson unsicher entgegenblickte, wissen wir nicht. Jedenfalls entschloss er sich zu einer radikalen Maßnahme und feuerte Kiffin noch vor dem Finale. Neuer OC für ein Spiel wurde Ex-Washington und USC-HC Steve Sarkisian, der nach seiner unschönen Entlassung inklusive kolportierter Alkoholprobleme bei den Trojans die Saison in Sabans Staff als offensiver Analyst verbracht hatte. Alles in allem eine Unruhe, die sicherlich vermeidbar gewesen wäre.

Alabama-Clemson II war mindestens ebenso ein Klassiker wie das erste Finale. Die Tide startete insbesondere mit den Scarbrough-Runs besser ins Spiel, die Tigers blieben mit einem unglaublichen Watson in Schlagdistanz. Bei Alabama sorgte erneut TE Howard für die Big Plays (btw, für mich weiterhin komplett unverständlich, warum er das nicht in der NFL zeigen konnte, wirkte damals nach so einem ‚sicheren‘ Draft Prospect). Clemson konterte mit „Mr. Championship Game“ WR Hunter Renfrow.

Im späten vierten Viertel ging Clemson erstmals in Führung, und die gerade für ein methodisches Pass Game limitierte Alabama-Offense wirkte ein wenig angeschlagen. Doch man hatte immer noch das Playmaking von Hurts im Laufspiel:

Hurts verließ das Feld also 2 Minuten vor Schluss mit einer 31-28 Führung, aber Watson hatte noch einen Pfeil im Köcher. Er führte die Tigers an die Tide Endzone und fand Renfrow im vielleicht berühmtesten Pick Play aller Zeiten eine Sekunde vor Schluss zum siegbringenden Touchdown.

Die zweite Auflage endete also noch dramatischer, noch legendärer als die erste, doch für Saban und Alabama war die Enttäuschung groß. Zum ersten Mal verlor er ein National Championship Game.

Zu dieser Zeit bemerkte ich an mir etwas Ungewöhnliches: Galt über Jahre das Credo „Alles außer Alabama“, konnte ich mich über den Sieg Clemsons nicht so recht freuen. Zum einen bekam die Tide für mich vor allem durch Hurts ein menschliches Antlitz, zum anderen war Dabo Swinney für mich keineswegs ein sympathiemäßiges Upgrade zu Saban – eher im Gegenteil, da er seinen reaktionären Rotz ungefilterter in den Äther blies. Mit Hurts und Minkah Fitzpatrick begann ich mich langsam von meiner zu starren Meinung über Alabama zu lösen, die ich ja vor allem an Saban und seinem früheren Verhalten festmachte. Vielleicht irre ich mich, aber schon hier begann ich leichte Veränderungen bei ihm wahrzunehmen, die sich in den jüngeren Jahren verstärken sollten. Er wirkte nicht mehr ganz so tyrannisch, auch wenn er gelegentlich an der Seitenlinie immer noch seine gefürchteten Tiraden samt hochrotem Kopf und angespannter Halsschlagader losließ. Die Zeiten von „Nicky Satan“ (wie ihn der damalige Vanderbilt und heutige Penn State HC James Franklin einmal berühmterweise nannte, sich aber prompt für diesen „Joke“ entschuldigen musste) schienen langsam vorbei zu sein…

Ich muss eh gestehen, dass mir Alabamas oldschool Approach insgeheim sehr gut gefiel. Power Run Game (bei Sims oder Hurts sogar mit einem mobilen QB), beinharte physische Defense, so muss Football aussehen, gerade in einer Zeit voller high-flying Passattacken. Darüber hinaus gehören für mich die Alabama-Uniformen zu den besten im College Football: Dieses dunkle crimson-rot und weiß, kein Schnickschnack, die dicken Nummern auf den Jerseys, die Helme nur mit den weißen Nummern an den Seiten – absolut ikonisch. Anyway, über Geschmack lässt sich wie immer trefflich streiten, andere mögen ernsthaft den Oregon-Style (brrr).

Alabama und ich, sollte das etwa noch was werden?

Hurts-Tua / Tua-Hurts

2017 stellte Saban das Programm und seinen Coaching Staff auf breitere Füße. Da Sarkisian den OC-Posten bei den Atlanta Falcons annahm, bediente er sich mal wieder bei seinem alten Kumpel Bill Belichick (lange nicht mehr gehört, wa?) und verpflichtete dessen TE Coach Brian Daboll als neuen OC. Zur Seite stellte er ihm mit Co-OC Mike Locksley einen weiteren erfahrenen Mann. In der Defense blieb DC Jeremy Pruitt der Hauptverantwortliche neben Saban, doch auch hier führte eine Beförderung, die von Assistant und Top-Recruiter Tosh Lupoi als Co-DC, zu mehr Köchen für den Brei. Und a propos Recruiting: Hier kommt nun die bereits erwähnte legendäre 2017er Recruiting-Klasse ins Spiel, die insbesondere die Offense der nächsten Jahre prägen sollte. In Reihenfolge der Rankings: RB Najee Harris, QB Tua Tagovailoa, WR Henry Ruggs, WR DeVonta Smith, WR Jerry Jeudy (dazu übrigens noch die beiden OTs Alex Leatherwood und Jedrick Wills). Vor allem um Tagovailoa entbrannte schnell ein Hype, doch noch musste er sich hinter Hurts anstellen.

Die Saison verlief ähnlich wie die vorige, nur dass die Defense noch dominanter war: Durchschnittlich zugelassene 11.9 Punkte und 165 Pass Yards klingen wie aus einer anderen Epoche. Für einige Analysten ist die 2017er Defense der Crimson Tide die beste aller Zeiten. In der Offense blieb das Laufspiel um Hurts und ein nun vierköpfiges RB-Monster (Bo Scarbrough, Damien Harris, Josh Jacobs und Najee Harris) dominant. Daboll brachte ein paar mehr RPO-Konzepte ins Passspiel ein und reduzierte die Fehler von Hurts deutlich (nur eine Interception in der gesamten Saison), dennoch blieb das Passspiel ein kleineres Fragezeichen – zumindest bis Tagovailoa im vierten Viertel diverser Spiele randurfte und bei eigentlich jedem Auftritt sein enormes Talent bewies. Einen wirklichen Grund zu wechseln bot Hurts allein aufgrund seiner überragenden läuferischen Klasse aber nicht. Nach elf meist klaren Siegen (bei einem 4th quarter Comeback gegen ein unangenehmes Mississippi State) traf man als #1 im Iron Bowl auf ein an #6 geranktes Auburn. Der Sieger würde sich fürs SEC Championship Game gegen Georgia qualifizieren. In einem der physischsten Spiele, an das ich mich erinnern kann, siegte Auburn dank eines überragend toughen RB Kerryon Johnson mit 26-14. Doch dieses Spiel forderte seinen Tribut eine Woche später: Obwohl Auburn in der regulären Saison klar gegen Georgia gewonnen hatte, gelang den Bulldogs gegen ein komplett ausgelaugtes Tigers-Team im SEC-Finale die Revanche. Und wer rückte dadurch als #4 gerade noch so in die Playoffs nach? Richtig, Alabama!

Das bedeutete aber auch, dass die Tide dieses Jahr schon im Halbfinale (aka Sugar Bowl) auf das an #1 gerankte Clemson treffen würden. Alabama-Clemson III sollte allerdings nicht an die ersten beiden Ausgaben heranreichen. Die Tigers hatten mit ihrem neuen QB Kelly Bryant schlicht keine Chance gegen eine überragende Defense der Crimson Tide, die nur sechs Punkte zuließ und einen Pick-Six durch LB Mack Wilson beisteuerte. Der dritte Finaleinzug in Folge, das war selbst Saban noch nicht gelungen. Der Gegner? Georgia unter dem ehemaligen Assistenten Kirby Smart, das in einem dramatischen Rose Bowl nach klarem Rückstand Oklahoma mit 54-48 in doppelter Overtime niedergerungen hatte.

Dass das National Championship Game legendär werden würde, war lange nicht abzusehen. Georgia dominierte die erste Hälfte und lag zur Pause 13-0 vorne. Alabamas Offense wirkte zahnlos, insbesondere das Passspiel von Hurts lag total brach und reihte sich in die leicht wackligen Auftritte als Passer in den Wochen zuvor ein. In der Pause setzte ich meinen besten Seher-Tweet ab:

Saban scherte sich nicht um vermeintlich krasse Entscheidungen, sondern ließ Tua zur zweiten Halbzeit ran. Der Rest ist History, wie man so schön sagt. Tua brachte Alabama mit TD-Pässen auf Ruggs und Ridley zurück, doch sein berühmtester Pass wäre eigentlich gar nicht zustande gekommen. Beim Stand von 20-20 führte er die Tide in lockere FG Range. Doch dann schlug Sabans Kryptonit erneut zu: K Andy Pappanastos versägte den Kick aus 36 Yards bei auslaufender Uhr deutlich. Also doch Overtime. Und die dürfte den meisten bekannt sein. Georgias langes Field Goal. Der unnötige Sack an Tua. Und dann 2nd and 26.

Wie er den Safety wegschaut und dann furchtlos diesen Pass rauszimmert: Wenn ich mir einen Spielzug für Sabans Karriere aussuchen könnte, wäre es dieser. Ich hielt mit Georgia, hatte aber Gänsehaut am ganzen Körper. Was für ein Spiel, was für ein Play. Erst tat mir Jalen Hurts unglaublich leid, doch das relativierte sich für mich nach seinem unfassbar erwachsenen Interview nach Spielende. Was für ein Typ!

Übrigens, ein kleiner Einschub, den ich schon lange irgendwo unterbringen wollte: Legendäre Plays bringen nicht nur große Sieger, sondern auch tragische Verlierer hervor. Wer etwas über Georgia CB Malkom Parrish lesen will, der DeVonta Smith bei diesem Play coverte (und in Cover-2 Coverage auf tiefe Safety-Hilfe vertraute), dem empfehle ich diese wunderbaren wie traurigen Artikel auf TheAthletic: In search of Malkom Parrish, and the ghosts of ‘second-and-26’. Der arme Kerl ist nach diesem finalen Play nicht mal mehr beim Georgia Pro Day erschienen. Irgendwie heartbreaking.

Und Saban? Der konnte seine sechste National Championship feiern und zog damit mit dem legendären Alabama-HC Bear Bryant gleich, der allerdings alle seine sechs Triumphe mit der Crimson Tide erzielte. Bei Saban waren es ‚nur‘ fünf. Noch.

Die 2017er Saison war nebenbei die erste, die ich auf diesem Blog behandelte (sowie im Podcast Sofa Quarterbacks College Football). Kurz zuvor hatte ich mich von meinem langjährigen Forum, in dem ich seit 2003 schrieb, verabschiedet und mich auf eigene Füße gestellt. Ab dieser Saison haben also treue Leserinnen und Leser die Geschichte von Saban und Alabama aus meiner Perspektive hautnah miterleben können. Daher werde ich die kommenden Jahre etwas gestraffter abhandeln – mal ganz davon abgesehen, dass viele von euch sie ja noch kennen dürften.

Allerdings mit einer Ausnahme, und das ist die Saison 2018. In all den Jahren unter Sabans Regie hatte sich viel verändert: Assistant Coaches, Offensive Strategien, Defensive Adjustments, und auch Saban als Person war zumindest etwas weicher und weniger unnachgiebig hart und gnadenlos geworden. Eine Konstante blieb allerdings: Die Defense schnitt nach allen gängigen Statistiken besser ab als die Offense (selbst wenn letztere gelegentlich wirklich gut war). Das sollte sich ab und mit dieser Spielzeit ändern.

2018 ging OC Daboll in die NFL zu den Buffalo Bills in gleicher Position, ebenso verließ DC Jeremy Pruitt das Team für den HC-Posten in Tennessee (musste also wesentlich weniger lang waren als sein Vorgänger Smart), doch durch die zuvor breite Aufstellung konnte Saban für Kontinuität sorgen: Mike Locksley stieg zum OC auf und bekam den jungen Josh Gattis (der später als OC von Michigan den Broyles Award für den besten Assistant im CFB gewinnen sollte) als Co-OC an seine Seite. In der Defense gabs ein ähnliches Spiel mit dem ehemaligen Co-DC Tosh Lupoi als DC und dem jungen Pete Golding als neuem Co-DC. Saban und seine beiden Offense-Coaches hatten gleich zu Saisonbeginn natürlich eine wichtige Entscheidung zu treffen: Wer sollte als Quarterback starten? Jalen Hurts, der das Team zu zwei National Championship Games und zu einer 26-1 Bilanz als Starter geführt hatte? Oder Tua Tagovailoa, der das letzte National Championship Game mit seinem Auftritt drehen konnte? So schwer die Entscheidung auf dem Papier aussieht, so klar war sie eigentlich in der Realität: Niemand, der Tua gesehen hatte, ging davon aus, dass er nicht Starter werden würde. Man darf diese Debatte nicht aus heutiger Sicht führen: Hurts war als Passer noch meilenweit weg von einem veritablen NFL-Talent, und bei Tua sah alles einfach spielend leicht aus. Eine echte QB-Kontroverse wirkte anders, wenngleich das Handling der Situation für die Tide-Coaches natürlich pikant war. Einfach absägen konnte man Hurts nach seinen Verdiensten nicht.

Saban und Locksley entschieden sich dann auch für Tua, ließen aber Hurts (der ja eh ein krasser Team Leader war) so viel es geht spielen. Und das war oft und schnell möglich, denn die Offense mit Tua feuerte aus allen Rohren. War neben dem dominanten Laufspiel zuvor meist ein Top-Receiver die hauptsächliche Waffe im Passspiel (Julio, Cooper, Ridley) und in einigen Saisons (2011) nicht mal der vorhanden, bot 2018 einen unfassbaren Talentpool: Auf Receiver explodierten gleichzeitig die Sophomores Jerry Jeudy, Henry Ruggs und DeVonta Smith, die in der ersten Saison – von den wichtigen Catches im Finale abgesehen – nur eine Nebenrolle spielten. Hinzu kamen Freshman-Speedster Jaylen Waddle und TE Irv Smith. Alle diese Spieler verbuchten mindestens 42 Catches und mindestens 6 TDs. Jeudy gewann mit seiner unfassbaren stop-start-Quickness und Big Plays in Serie sogar den Biletnikoff Award als bester Receiver im College Football.

Auch der RB-Room platzte vor Talent: Damien Harris, Josh Jacobs, Najee Harris, Brian Robinson. Alles spätere bzw. heutige NFL Starter. 6th stringer war übrigens ein gewisser Jerome Ford, der später bei Cincinnati seinen Breakout haben sollte und die aktuelle Saison bei den Browns startete. Talent galore.

Die Tua-Offense mit ihren vielen RPOs und ihrem dezidiert passlastigen Ansatz war eine Revolution in Tuscaloosa. Allein die durchschnittliche Punktzahl gibt ein erstes Indiz dafür: Erzielten die frühen Bama-Offenses unter Saban meist 32 bis 35 Punkte und die nächsten zwischen 35 und 39 Punkte, waren es 2018 plötzlich 45.6 Punkte. Das sollte aus heutiger Sicht nicht einmal der beste Wert der späten Saban-Ära sein, aber diese Unit ist eindeutig die von mir favorisierte. Keiner Offense habe ich lieber zugeschaut, und kein Quarterback konnte eine College Offense so im Schlaf umsetzen wie Tua. Dafür hat er bei mir ewig eine Sonderrolle inne.

Alabama ballerte alle Gegner aus dem Stadion, wie man es selbst bei der erfolgsverwöhnten Tide noch nicht erlebt hatte. Der knappste Sieg der regulären Saison war mit 21 Punkten Unterschied (gegen Texas A&M). Das an #4 gerankte LSU wurde mit 29-0 weggefegt. Die Defense war trotz zweier Shutouts nicht immer auf der Höhe und gab gegenüber den drei Vorjahren mehr Yards und Punkte ab, aber wen störte das bei einer solchen Offense schon? Die Offense trug die Defense, das hatte es in Tuscaloosa unter Saban noch nicht gegeben.

Entscheidender als die Spiele gegen überforderte Gegner war da eher die Frage, ob Hurts nach vier Spielen ein Redshirt nehmen würde, um nach einem Transfer noch zwei Jahre bei einem anderen College spielen zu können (die 4-Spiele-Regelung war erst kürzlich in Kraft getreten). Er entschied sich dagegen, ganz im Sinne seiner unglaublichen Leadership. Und das sollte sich auf beinahe magische Weise bezahlt machen. Im SEC Championship Game kam es zum Duell der Giganten und zum Rematch des letzten National Championship Games: 12-0 Alabama gegen 11-1 Georgia. Kirby Smart wollte endlich den Triumph gegen seinen Lehrmeister, und das sah im dritten Viertel bei 28-14 Führung auch ziemlich vielversprechend aus. Bei 28-21 verletzte sich Tua am Knöchel – und herein kam Jalen Hurts. Zu dieser Zeit trauten ihm nicht viele ein solches Comeback zu, die Fortschritte im Passing waren erkennbar, aber wohl doch zu gering für eine starke Defense wie die der Bulldogs? Nope. Hurts führte Alabama zu zwei späten 4th quarter Touchdowns, Smart versuchte den offensichtlichsten Punt Fake ever (mit Backup-QB Justin Fields als Runner) und Alabama gewann doch wieder die SEC und ging als #1 in den Playoffs. Ich war zwar für Georgia, doch bei beiden von Hurts initiierten Touchdowns (einmal Pass, einmal Lauf) konnte ich nicht anders, als mich zu freuen. Wie großartig ist diese Geschichte bitte?

Ich habe diesen Clip schon oft verlinkt, allerdings noch nicht oft genug. Wie der harte Hund Saban beim Reden über Hurts die Tränen kommen und seine Stimme fast erstickt, hat ihn für mich menschlicher gemacht als jemals zuvor.

Für mich vielleicht der Moment der gesamten Saban-Ära. Kitschig? Meinetwegen, aber das habe ich einfach so sehr fühlen können.

Die Playoffs sind schnell erzählt: Ein lockerer Sieg im Halbfinale gegen Oklahoma mit Kyler Murray, der sich weit deutlicher anfühlte als das 45-34 Endergebnis suggerieren mag (u.a. aufgrund einer 28-0 Führung nach 18 Minuten). Und dann wartete im Finale – richtig – erneut Clemson. Im vierten Playoff-Aufeinandertreffen in vier Jahren war Alabama klarer Favorit, auch wenn Clemson den über-gehypten true Freshman QB Trevor Lawrence in seinen Reihen hatte. Doch dann kam alles anders: Ein früher Pick-Six von Tua nach Trap Coverage, fantastische Calls von Clemsons DC Brent Venables, eine sensationelle Leistung der D-Line der Tigers sowie Lawrence, der gemeinsam mit seinen WRs Tee Higgins und Freshman Justyn Ross die Alabama-Defense komplett auseinandernahm. Die dominanteste reguläre Saison der Tide endete in einer kaum glaubhaften 16-44 Klatsche im Finale. Lawrence katapultierte sich mit diesem Spiel in den Olymp der talentiertesten College-Quarterbacks.

Mittlerweile, so ehrlich muss ich sein, war ich in solchen Duellen für Alabama. Doch auch das nützte nichts. Ebenso wie die massigen individuellen Auszeichnungen: Jeudy mit dem Biletnikoff Award, Locksley mit dem Broyles Award für den besten Assistant, Tua zweiter der Heisman-Wahl hinter Kyler Murray (der zweifelsohne die besseren Stats hatte, ich hätte dennoch Tua gewählt) etc. pp.

An dieser Stelle muss ich einen kleinen Einschub tätigen, um noch einmal zu illustrieren, wie ridiculous das offensive Talent Alabamas in diesen Jahren war. Es gab schlicht eine Reihe Spieler, die bei Alabama Backups waren und entweder gar nicht oder nur sporadisch starteten, aber dennoch in der NFL landeten und dort zum Teil mehr Starts verbuchen konnten als am College: etwa WR Robert Foster, TE Hale Hentges, C/OG J.C. Hassenauer (drei Starts bei Bama, sieben in der NFL), WR Cam Sims (kein Start bei Bama, bislang 17 in der NFL). Selbst diejenigen, die nicht transferierten und Role Player blieben, waren eindeutig gut genug für die NFL.

Nach der 2018er Saison reagierte Saban übrigens auf sein eines verbliebenes Kryptonit, den Kicker, mit einer simplen wie effektiven Maßnahme: Er maß der Position endlich einmal mehr Bedeutung bei und verließ sich nicht auf irgendwelche Walk-ons, sondern schnappte sich einfach den bestgerankten Kicker aus der Highschool, Will Reichard. Der sollte von 2019 bis 2023 fünf Jahre (dank der Extra-Corona-Saison möglich) das Kicking übernehmen und beendete seine Karriere als einer der besseren Kicker der vergangenen Zeit. Dafür bekam Saban dann zeitweilig mehr Probleme mit dem Punting (insbesondere nach dem Abschied von J.K. Scott in die NFL). Alles kann halt nicht passen, wäre auch langweilig.

Die letzten Jahre und der letzte Triumph

2019 schien eigentlich alles angerichtet für ein weiteres Alabama-Clemson-Highlight: Tua und Lawrence waren mit großem Abstand die beiden aufregendsten Quarterbacks des Landes in Teams, die auf beiden Seiten des Balles mit riesigem Talent bestückt waren. Diese beiden Teams starteten als klare Favoriten aufs Finale in die Saison. Da machte es auch wenig aus, dass Saban erneut seine Coordinators wechseln musste. Locksley ging als HC nach Maryland und wurde von einem alten Bekannten ersetzt: Steve Sarkisian kehrte zurück und implementierte seine ungemein kreative Spread RPO-Offense. In der Defense wurde DC Lupoi nun komplett von Co-DC Golding ersetzt, der schon während der 2018er Saison das Playcalling übernommen hatte. Saban behielt hier seine eiserne Hand bei; so fähig Lupoi als Recruiter war, so sehr schätzte Saban die DC-Position schnell als (noch) eine Nummer zu groß für ihn ein – gerade was seine so geliebte Arbeit mit der Secondary und ihren Coverages betraf.

Alabama startete mit Tua und seinen vier Star-Receivern erneut dominant in die Saison, wenngleich die Defense weiter etwas hinter den Erwartungen zurückblieb. Schnell kristallisierte sich aber neben Alabama und Clemson ein weiterer heißer Contender heraus: LSU, das mit Joe Burrow, Ja’Marr Chase und Justin Jefferson alle Gegner kurz und klein passte. Nach 8-0 Start trafen Alabama und LSU aufeinander – es sollte ein Shootout für die Ewigkeit sein. Wahrscheinlich sind selten zwei so talentierte Offenses aufeinandergetroffen. Insgesamt 1100 Yards Offense, die QBs passten gemeinsam für über 800 Yards, und am Ende behielt LSU knapp die Oberhand.

Die Tide konnte sich nun keinen Ausrutscher mehr leisten, doch es passierte etwas Schlimmeres: Im nächsten Spiel gegen Mississippi State fiel Tua unglücklich auf seine Hüfte und zog sich eine schwere und komplizierte Verletzung zu – Saisonaus. Sein Ersatz: Mac Jones, ein wenig beachteter 3-star Recruit aus der legendären 2017er Recruiting Class. Jones hielt die Offense am Leben, aber im Iron Bowl gegen Auburn waren es letztlich auch seine beiden Picks (darunter ein Freak 100 Yard-Pick-Six), die für die 45-48 Niederlage sorgten – neben einem erneuten Meltdown der Defense, versteht sich bei dem Ergebnis. Dadurch verpasste Alabama nicht nur die Playoffs, sondern sogar einen New Year’s Six Bowl (auch, da mit Florida und Georgia zwei weitere SEC-Teams vor der Tide gerankt waren, ob verdient oder nicht).

Und dennoch ist der Auftritt im kleineren Citrus Bowl aus einem Grund bemerkenswert: Im Spiel gegen Michigan liefen – entgegen des jüngsten Trends im College Football – quasi alle Stars auf, selbst die designierten 1st rounder Jerry Jeudy, Henry Ruggs oder S Xavier McKinney. Jeudy legte sogar mal eben 200 Yards Receiving nach. Im unwichtigsten Spiel der Tide seit 2007 (!) nahmen die talentiertesten Spieler des Teams also eine selten gesehene Verantwortung wahr. Alle hätten verstanden, wenn jeder auch nur ansatzweise als Draftpick geltende Spieler auf diese Partie verzichten würde. Ich fand das auf seine ganz eigene Weise großartig – und es unterstrich nochmal, dass der Schein von außen, etwa ein tobender Saban an der Seitenlinie, eben nicht alles verrät. Innerhalb des Teams herrschte offensichtlich eine sehr große Verbundenheit zu Teamkollegen und Programm. Dass das keine einmalige zufällige Geschichte war, zeigte sich 2022 erneut, als beim Sugar Bowl gegen Kansas State u.a. QB Bryce Young, DE Will Anderson, RB Jahmyr Gibbs und S Brian Branch aufliefen – trotz des sicheren Status als Top-Draftpick ein paar Wochen später. Nur Saban und sein alter Weggefährte Smart bei Georgia haben eine Kultur etablieren können, die die Spieler derart eng an das Programm bindet (übrigens auch nach der Karriere). Obwohl ich jeden Spieler absolut verstehen kann, der unwichtigere Bowl Games sausen lässt, liegt hierin eine wahnsinnige Qualität.

Nachtrag zur 2019er Saison: Statt eines potenziellen Alabama-Clemson V kam es im Finale zum Aufeinandertreffen von LSU und Clemson (das zuvor in einem legendären Halbfinale die vierte große Offense des Jahres, Ohio State mit Justin Fields und J.K. Dobbins, knapp geschlagen hatte). Hier ließen Burrow und Co. Clemson in einer einseitigen Partie trotz engerer erster Halbzeit keine Chance.

Die letzten Jahre möchte ich im Schnelldurchlauf abhaken, einfach da sie euch ja noch sehr vertraut sein dürften. Die 2020er Saison stand unter besonderen Vorzeichen: zum einen natürlich durch die globale Corona-Pandemie, die erst zu einer Verschiebung, dann zu einer Realisierung der Saison führte, mit verspäteten und unterschiedlichen Saisonstarts, Ausfällen und reinen Conference-Spielplänen. Zum anderen gesellschaftspolitisch durch die Black Lives Matter-Proteste im Nachgang des Polizeimordes an George Floyd. Ich erwähne das in diesem Kontext vor allem deshalb, weil Saban, der sicherlich der konservativen Fraktion zugehörig ist, im Gegensatz zu einigen anderen Head Coaches (der unvermeidliche Dabo Swinney, aber auch Mike Gundy, Mike Norvell etc.) bei mir ziemlich gewonnen hat. Er war an vorderster Front beim BLM-Marsch in Tuscaloosa dabei und ermunterte seine Spieler bei seiner Rede, diesbezüglich ihre Verantwortung als junge Role Models wahrzunehmen – was ihm im konservativen Alabama durchaus Kritik einhandelte. Ich hatte das Gefühl, dass sich Saban entgegen der üblichen Tendenz, im Alter immer erstarrter und reaktionärer zu werden, eher etwas geöffnet hat. Das kann man durchaus anerkennen, egal wie man ansonsten zu seiner Person steht.

Auch wenn diese Saison aufgrund ihrer besonderen Begleitumstände sportlich sicherlich nicht ganz die Aussagekraft anderer Spielzeiten hat, muss eine kurze Würdigung erfolgen: Viele rechneten damit, dass Mega-Recruit QB Bryce Young gleich übernehmen wird, aber Mac Jones hatte nach seinen Einsätzen Ende der 2019er Saison etwas dagegen. Er blieb die gesamte Saison Starter und erzielte in einer von Sarkisian genial designten Offense den höchsten Schnitt aller Quarterbacks unter Saban mit 48.5 Punkten – und das, obwohl erstens ja nicht die üblichen Cupcake-Gegner auf dem Schedule standen und zweitens ihm nach den Abgängen von Jeudy und Ruggs nur noch DeVonta Smith und Jaylen Waddle (und der wegen Verletzung lediglich die Hälfte der Saison) zur Verfügung standen. Smith nutzte dieses Vakuum übrigens bestmöglich aus und gewann als erster Receiver seit Michigans Demond Howard 1991 die Heisman Trophy. Der Angriff bestand nun wieder aus einem klassischen Triplet mit Jones, Smith und RB Najee Harris, die allesamt in den Top 5 der Heisman-Wahl landeten. Jones brach den Rekord für Completion Percentage der NCAA, Harris brach den Schulrekord für die meisten TDs in einer Saison. Die Tide besiegte mit ihrer neuen Formel (sensationell explosive Offense, ‚nur‘ Top 15-20 Defense) alle Gegner klar, bis man im SEC Championship Game einen Shootout gegen Florida mit Kyle Trask und Kyle Pitts überleben musste. Die Playoffs waren dann eine klare Sache mit deutlichen Siegen gegen Notre Dame und Ohio State (das im Halbfinale das nächste Aufeinandertreffen mit Clemson und die Chance auf eine Revanche gegen Trevor Lawrence vereitelte). Alabama gewann nach 2009 erst das zweite Mal in Sabans Dynastie alle Spiele in einer Saison und konnte sich erneut zum National Champion krönen: Das sechste Mal unter Saban, womit er Bear Bryant Rekord bei Alabama einstellte. Mit insgesamt sieben Meisterschaften übernahm er von Bryant zudem den alleinigen Rekord aller Head Coaches. Es sollte der letzte nationale Titel bleiben.

Seine letzten drei Saisons 2021-2023 lassen sich aber kaum als Enttäuschung begreifen, auch wenn es in seiner Alabama-Karriere zuvor keine Durststrecke von drei Jahren ohne nationalen Titel gegeben hatte. Alabama blieb ja ein dauerhafter Contender: erst recht in der 2021er Saison, als man mit einem überragenden Heisman-Sieger Bryce Young sowie dem neuen Receiving-Duo Jameson Williams und John Metchie trotz weiterhin ‚nur‘ guter Defense (wenngleich mit neuen Topstars wie EDGE Will Anderson und dem jungen EDGE Dallas Turner) die SEC West gewann. Randnotiz: In der Saison verlor Alabama ein Spiel gegen Texas A&M, was den ersten Sieg eines ehemaligen Saban-Assistenten über den großen Meister selbst bedeutete (Aggies HC Jimbo Fisher war Sabans OC bei LSU). In weiteren Spielen hatte man einiges Glück, niemals mehr als in dem 4-Overtime-Thriller gegen Auburn, als Young ein eigentlich mausetotes Team kurz vor Schluss erst in eine kaum noch für möglich erachtete Verlängerung rettete. Alabama war nun oftmals mehr auf das Clutch-Gen als auf die eigene Überlegenheit angewiesen.

Im SEC Championship Game wartete nun mal wieder Georgia mit seiner absoluten Über-Defense. Dort gelang Saban sein vorletzter großer Coup: Alabama schenkte der Verteidigung der Bulldogs, die zuvor höchstens 17 Punkte (und nur viermal überhaupt 10 Punkte) zugelassen hatte, sage und schreibe 41 Punkte mit einem überragenden deep Passing von Young ein und gewann erneut die SEC. Im Halbfinale gegen Cincinnati als ersten Mid-Major, der sich für die Playoffs qualifiziert hatte, schwenkte man mal wieder auf die alte Bama-Philosophie namens physisches Laufspiel zurück und feierte einen ungefährdeten Sieg. Obwohl Sark mittlerweile als HC zu Texas abgewandert war und vom NFL-erfahrenen Belichick-Buddy Bill O’Brien ersetzt wurde, konnte Alabama weiterhin auf ganz unterschiedliche Weise mit seiner Offense gewinnen. Im Finale kam es dann zum Rematch gegen Georgia. Und endlich – endlich! – gelang es Smart nach so vielen vergeblichen wie dramatischen Anläufen, Saban zum ersten Mal zu knacken. Nach einem lange engen und punktearmen Spiel und einer Führung von Alabama im 4th quarter bogen drei späte Touchdowns der Bulldogs das Spiel zu einem 33-18 Sieg um. Der Drache war erlegt! Georgia konnte endlich seine erste National Championship seit 1980 feiern. Aber wer weiß, wie das Spiel gelaufen wäre, hätte sich neben dem sowieso fehlenden Metchie nicht auch der zweite starting WR Jameson Williams nach dominantem Start früh im 2nd quarter das Kreuzband gerissen. Was wäre wenn gibt es natürlich immer…

Ein anderer Moment im Nachgang dieses Spiels ist mir in besonderer Erinnerung geblieben, und zwar Sabans Worte an seine beiden Superstars Bryce Young und Will Anderson, als diese gerade die Pressekonferenz verlassen wollten.

Ich glaube es wird mehr und mehr erkennbar, warum ich längst meinen Frieden mit Saban gefunden habe. Ich werde ihn und seinen Stil nie wirklich mögen, da sind mir andere Typen wesentlich näher, aber er steht auch nicht mehr in einer Kategorie mit Urban Meyer oder Dabo Swinney, in der er lange bei mir eingeordnet war. Saban hat mich partiell überzeugen können. Und das ist nicht leicht, bei sowas bin ich starrköpfig und nachtragend.

2022 verpasste Alabama die Playoffs, wenngleich denkbar knapp. Bryce Young, Will Anderson, Brian Branch und Dallas Turner spielten weiterhin großartig, doch insgesamt fehlte in den Jahren ab 2021 trotz weiterhin top Bilanzen und großer Erfolge diese erdrückende Dominanz, die Alabama lange Zeit ausgestrahlt hatte. Die Spitze im College Football ist gefühlt wieder etwas näher aneinandergerückt. Alabama war weiterhin ein heißer Contender, aber nicht mehr dieser unbezwingbar wirkende Topfavorit. Das lässt sich allein an der gestiegenen Anzahl von one-score Games aufzeigen: 2021 und 2022 waren es jeweils fünf in der regulären Saison. Meiner Ansicht nach spielen hier verschiedene Faktoren eine Rolle. Zum einen war Alabama in den Kerndisziplinen des ersten Parts der Dynastie nicht mehr so dominant: Die Defense war weiterhin sehr gut, jedoch nicht mehr überirdisch, eher in den Top 20 als in den Top 5. Und die road-grading O-Line verriet ein paar mehr Schwächen in den vergangenen Jahren. Zugleich fehlten insbesondere ab 2022 die Top-Receiver, die im späteren Teil der Dynastie wesentlich zu der offensiven Explosion beitrugen.

Das alles bedeutet indes nicht, dass das Talent des Rosters nicht weiterhin enorm war: Nur zeigte sich eben oftmals gerade in Shootouts gegen explosive Passing-Offenses, das nicht alles kompensiert werden konnte. Ein gutes Beispiel hierfür ist die 49-52 Niederlage gegen Tennessees megaschnelle no-huddle deep Ball Air Raid-Variante. Nach der unglücklichen 31-32 Overtime-Niederlage gegen LSU war Alabama trotz einiger Versuche von Saban und Co., sich als eines der besten vier Teams im College Football zu verkaufen (wofür es sicherlich Argumente gab), raus aus dem Playoffs. Wie erwähnt liefen im Sugar Bowl gegen Kansas State dann trotzdem quasi alle Stars auf und vernichteten die Wildcats geradezu.

Sabans finale Saison 2023 geht vielleicht als sein bester Coaching-Job in die Geschichte ein. Wer nach drei Spielen, darunter eine verdiente Niederlage gegen Texas und ein grausam anzuschauender Sieg gegen Mid-Major USF, gedacht hätte, dass die Tide eine Chance auf die Playoffs hätten, wäre wohl ausgelacht worden. Die O-Line war ein Schatten vergangener Tage, das QB-Wechselspielchen sorgte für weitere Unruhe, die Receiver waren noch ungefährlicher, der ungute Trend mit den vielen Penalties und Undiszipliniertheiten aus 2022 setzte sich fort – und selbst die nominell beste Tide-Defense der vergangenen Jahre zeigte weiterhin Lücken, nun auch gelegentlich gegen den Run. Was folgte, war ein kaum für möglich gehaltener Umschwung der Offense, als sich der neue OC Tommy Rees und der hochveranlagte, aber schreiend inkonstante QB Jalen Milroe auf seine größten Stärken (explosive Runs und deep Balls) besannen und darum eine Offense bauten. Die Tide wanderte zwar in einigen weiteren Spielen am Abgrund, konnte sich allerdings stabilisieren und auf Clutch-Momente von Milroe und der Defense hoffen. Und als das Team gerade in Schwung kam, fiel es ausgerechnet gegen Auburn im Iron Bowl in alte Verhaltensmuster zurück und hätte das Spiel eigentlich verlieren müssen. Aber ihr wisst ja: 4th and goal von der 31. Milroe. Bond, Isaiah Bond. (Btw: Wie viele ikonische Aussprüche von den verschiedenen Kommentatoren, insbesondere natürlich Verne Lundquist und später Brad Nessler, nicht nur mir aus Alabama-Spielen im Gedächtnis geblieben sind… eigentlich unglaublich.)

Es folgt der letzte und angesichts des Zustandekommens einer der größten Coups Sabans: Alabama erlegt im SEC Championship Game den kleinen neuen Drachen Georgia, der seit der Niederlage im SEC Championship Game 2021 zwei Jahre lang ungeschlagen war, zwei National Championships in Folge holte und insgesamt in der regulären Saison drei Jahre ohne Niederlage absolvierte. Dieser Sieg beinhaltete ein waghalsiges Adjustment, als Saban nach den ersten flüssigen Drives der Bulldogs auf eine von ihm selten verwendete klassischer 4er Front in einer 4-2-5 Nickel mit zwei tiefen Safeties umstellte und mit dieser überraschenden Maßnahme der Offense den Zahn zog. Georgia war als haushoher Favorit in die letzte Saison gegangen, und wenn ich die Teams ranken müsste, wäre Georgia – und nicht Michigan – für mich das beste Team des Jahres. Aber Saban konnte das verhindern, was er als Head Coach bei Alabama selbst nie feiern konnte: den Three-Peat.

Die Diskussionen, ob Alabama zu Ungunsten von Florida State verdient in die Playoffs gerutscht ist, gehören nicht in diesen Rückblick. Es ist, wie es ist – und wie es nun nie wieder sein wird. Was hier eher gewürdigt werden sollte: Wie nah Alabama selbst im letzten Jahr an der Meisterschaft war: 20-13 Führung für die Tide, 4th and 2 für Michigan etwas über drei Minuten vor Schluss. Der muffed Punt von Michigans Backup-PR an der Endzone. Und natürlich auch der 4th and goal von der 3 in der Overtime zum potenziellen Ausgleich, wo unter anderem die Snap-Probleme der frühen Saison zurückkehrten. Hättet ihr in einem potenziellen Finale auf Washington gegen Sabans beste Secondary seit Jahren getippt? Ich bin mir nicht sicher. Obwohl es am Ende ganz knapp nicht gereicht hat, war das noch einmal eine Glanzleistung mit einem Roster, der eben nicht an viele Versionen der Vorjahre heranreichte. Respekt.

Und vielleicht der richtige Moment für einen Abgang?

Der GOAT?

Schauen wir noch einmal in Zahlen auf Sabans unglaubliche Karriere nur bei Alabama: In 17 Jahren feierte er sechs National Championships, stand drei weitere Male im National Championship Game und zwei Mal im Halbfinale. Hinzu kommen drei Auftritte in großen Bowls (von denen er zwei gewann). Alabama gewann in diesen Jahren neunmal die SEC, die – abgesehen von 2023 – in jedem Jahr die härteste Conference des Landes war. Nur drei der 17 Saisons war er also nicht ganz so erfolgreich, und selbst da muss man differenzieren: eines davon ist sein erste Saison 2007 (7-6 Bilanz), bei der er den Grundstein legte, 2010 gab es (ein Jahr nach der ersten National Championship) ‚nur‘ eine 10-3 Bilanz, das dritte Mal ohne großen Bowl ist die eben erst erwähnte 2019er Saison, als man gegen Burrows Überteam einen Shootout mit 5 Punkten und – in der Woche nach Tuas schwerer Verletzung – gegen Auburn ein Freakspiel mit drei Punkten verlor. Besser geht es kaum. Obwohl man mit solchen Aussagen immer vorsichtig sein sollte, bin ich mir relativ sicher, dass wir einen solchen Streak nicht noch einmal erleben werden.

Ist Saban nun also der greatest of all time? Vielleicht. Wahrscheinlich. Ich tue mich mit solchen Bezeichnungen nur wahnsinnig schwer. Wer kann ihn ernsthaft mit Fielding Yost bei Michigan in den 1900ern bis 1920ern, Bud Wilkinson bei Oklahoma in den 1940ern bis 1960ern oder eben Bear Bryant bei Alabama in den 1960ern und 1970ern vergleichen? Nicht nur das Spiel hat sich verändert, sondern insbesondere das Setting. Sicherlich ist es in der Playoff-Ära etwas leichter gewesen, eine längere Dynastie zu starten, wie allein die Menge an Programmen verrät, die sich jahrelang in der Topspitze aufhalten können. Ein kleiner Fehler während der regulären Saison kann eben noch ausgemerzt werden. Eine solche Chance gab es zu BCS-Zeiten bedingt, zuvor letztlich kaum. Ein Bobby Bowden bei Florida State oder ein Tom Osborne bei Nebraska hätten womöglich mehr Titel auf ihrem Konto – und vor allem nicht so lange auf den ersten warten müssen. Auf der anderen Seite hat es eben kein Coach zuvor jemand geschafft, ein solches Monster zu erschaffen, dass über eineinhalb Jahrzehnte wirklich jede einzelne Saison um den Titel mitgespielt hat. Wir werden abwarten, inwiefern das mit den Super-Conferences und den vergrößerten Playoffs noch möglich ist. Wird es einen Coach geben, der sein Team jedes zweite Jahr ins Finale führt, davon die Mehrzahl gewinnt, in ca. zwei Drittel der Jahre zumindest im Halbfinale landet und quasi nie nicht in den Playoffs dabei ist? Mal schauen. Der einzige, der dafür aktuell auch nur theoretisch in Frage kommt: Kirby Smart mit Georgia. Kein Wunder, er hat lange und intensiv bei Saban gelernt.

Saban ist der mit Abstand beste Coach seiner Zeit und eine der größten Legenden des Footballs überhaupt. Alles andere muss ich nicht unbedingt ausdiskutieren.

Motive für den Abschied?

Bei einem solchen, für die allermeisten überraschenden Rücktritt ploppten natürlich sofort die üblichen Fragen und Mutmaßungen auf. Warum tritt Saban zurück? Hat es was mit den Neuerungen im College Football zu tun? Schließlich bedeuten NIL und Transfer Portal ohne jegliche Regulierungen, dass man als HC quai nonstop rekrutieren muss – auch und gerade die eigenen Spieler, damit sie bei zu wenig Spielzeit oder sonstiger Unzufriedenheit nicht sofort wieder abspringen. Nun ist Saban nicht der Typ, der seinen Abtritt mit einer entsprechenden Tirade a la „früher war alles besser“ würzen würde. Vielleicht erfahren wir irgendwann, ob diese Entwicklungen ein Faktor in seiner Entscheidung waren oder nicht. Laut Brett Kollmann, der nicht unbedingt als hot take-Maschine bekannt ist, gibt es Effekte gerade für ältere Coaches:

Wie dem auch sei: Man sollte Saban schon beim Wort nehmen. Er nannte sein Alter (immerhin stattliche 72 Jahre) und nicht weiter spezifizierte gesundheitliche Gründe als Treiber seiner Entscheidung. Er könne den Job einfach nicht mehr in der Intensität betreiben, wie er es selbst gerne würde. Gerade im Recruiting, aber auch bei der Einstellung von Position Coaches, wurde sein Alter mehr und mehr Thema – und gerade im Haifischbecken Recruiting würde die Konkurrenz bei aufflammenden Gerüchten immer wieder darauf verweisen, dass drei oder vier Jahre Saban unsicher sind.

Ich nehme ihm übrigens ab, dass er seine Entscheidung recht spontan getroffen hat. Dazu passt, dass er am Tag seines Rücktritts noch ein Treffen mit seinen Coaches hatte und nachmittags Interviews mit Kandidaten für Assistant Jobs führte, bevor er fünf Minuten vor seinem letztlich finalen Meeting die Entscheidung fällte. Zu jemandem wie Saban passt es einfach, dass er bis zur letzten Minute arbeitet. Und es hätte irgendwie nicht zu diesem knorrigen Typen gepasst, wenn er seinen Abschied vor oder während einer Saison verlautbart hätte und dann auf eine Art Abschiedstournee gegangen wäre. Niemals. Er wird diesen Moment ausgiebig mit seiner Frau Terry diskutiert haben, aber wann er genau kommt, wurde wohl einem Bauchgefühl überlassen. Irgendwann reicht es halt.

Viele haben retrospektiv nach Hinweisen in den Wochen zuvor gesucht, und ein paar lassen sich auch finden. Zum einen sein Kommentar zu Smart vor dem SEC Championship Game: „I’m too old for this…“:

Schön übrigens, wie man die gegenseitige Wertschätzung der beiden merkt. Zwei ganz große ihre Fachs.

Andere bemerkten schon vorher, dass Saban gelöster und lockerer war als in den Jahren zuvor. Ich glaube zwar, dass das eine Tendenz war, die schon länger nachzuzeichnen ist als seine Rücktrittsgedanken, aber vielleicht haben diese wirklich noch einmal was freigesetzt. War er jemals so gelöst wie nach der letzten SEC-Meisterschaft? Jalen Milroe scheint eine klare Meinung zu haben.

Letztlich spielt es keine große Rolle, es sei denn, Saban fühlt sich bemüßigt dazu noch einmal konkreter Stellung zu nehmen.

Es ist von allen Seiten viel geschrieben worden, von mir nun mit am meisten, was zu Beginn des zweiteiligen Beitrags nicht in der Form geplant war. Nun reichts aber auch langsam.

Der Drache ist Geschichte. Möge Saban seinen Ruhestand ausgiebig genießen.

3 Gedanken zu „Nick Saban – eine Würdigung (II): Alabama

  1. Wahnsinn, vielen Dank für die zwei hervorragend geschriebenen Artikel, da kamen viele tolle und ein paar schmerzhafte Erinnerungen hoch. Hat extrem viel Spaß zu lesen gemacht, ganz große Qualität, die du hier anbietest. Merci 🙂

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  2. Die besten Artikel kommen hier immer in der Offseason. Ich habe es jetzt auch endlich geschafft und mir die zwei Folgen genüsslich eingeteilt. Es war ein großer Lesespaß mit vor allem aus den früheren Jahren Neues für mich. Ich bin vollkommen mit Dir einer Meinung zu Saban in seiner persönlichen Entwicklung und freue mich, dass er sich so lockern konnte und tatsächlich im Gegensatz zu den auch von Dir genannten jüngeren Headcoaches richtig sympathisch wurde, aber für Alabama rooten … Niemals, dann schon lieber für „flashy“ Oregon.

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