Das große Draft Recap 2024 (I)

Liebe Leserschaft,

zunächst mal sorry für die Verspätung. Ein Aufstieg (positiv) und ein hartnäckiger Infekt (negativ) haben die Veröffentlichung dieses traditionellen Beitrags noch ein wenig mehr verzögert als ohnehin schon geplant.

Dennoch: Willkommen zum großen Draft-Rückblick auf Triple Option! Wie gewohnt werde ich das gesamte Draftwochenende mit etwas zeitlichem Abstand Revue passieren lassen und natürlich im Anschluss auf eure Fragen und Themenwünsche eingehen.

Was erwartet euch also in den kommenden vielen Zeilen?

  • Allgemeine Gedanken zur diesjährigen Draft inklusive der besten, skurrilsten und fragwürdigsten Momente
  • Draft-Trends und -Entwicklungen
  • Einschätzungen und Awards für einige ausgewählte Klassen
  • Das große UDFA-Massaker
  • Mailbag mit all euren Fragen

Kurze Info vorab: Der Mailbag befindet sich wie immer am Ende. Falls eine Frage allerdings zu einem der vorherigen Themenblöcke passt, habe ich sie dort behandelt.

EDIT: Da der Beitrag wieder mal zu lang ausgefallen ist, folgt der eigentliche Mailbag wie die vergangenen Jahre in einem separaten zweiten Teil.

Was euch dieses Jahr nicht mehr erwartet, sind die leidigen Diskussionen über Draft Grades. Das Thema ist für mich mittlerweile erschöpfend behandelt. Ich merke zwar an mehr und mehr Grades und ihren Begründungen, dass die sogenannten Analysten die Spieler nicht gescoutet haben und teilweise nicht einmal eingehender mit ihnen beschäftigt haben, insbesondere in den späteren Runden, aber wem sowas gefällt, der soll es halt machen. Hat mit meinem Verständnis von Einschätzung und Evaluation nur einfach nicht wirklich viel zu tun. Das gilt für mich allerdings nicht nur für Draft Prospects, sondern ebenso für Bücher oder Filme oder wasauchimmer. Anyway, letztes Jahr wurde ich im Mailbag noch einmal explizit nach meiner Meinung zur Sinnhaftigkeit von Draft Grades gefragt und habe dazu eine längere Begründung verfasst. Wen das Thema also wieder oder immer noch interessiert, den verweise ich auf diese Zeilen.

Wenden wir uns also produktiveren Bereichen dieser faszinierenden Veranstaltung zu.

Allgemeine Gedanken

Die Draft in Detroit war ein voller Erfolg: 775.000 Menschen waren an den drei Tagen vor Ort, womit einen klarer neuer Rekord aufgestellt wurde. Sicherlich hat die Renaissance der Lions nach jahrzehntelanger Dürreperiode da ihren Teil zu beigetragen. Als ich im vergangenen November ein paar Tage in Detroit unterkam, konnte ich diese neue Euphorie beinahe überall spüren. Es sei den Bewohnerinnen und Bewohnern dieser lange Zeit und längst nicht nur in sportlicher Hinsicht hart gebeutelten Stadt gegönnt.

Wieviel dieser neue Publikumsrekord aber genuin mit dem Hype um die Lions zu tun hat, ist allerdings fraglich. Die Draft hat sich in den letzten Jahren einfach zu einem riesigen Event entwickelt, das natürlich erbarmungslos ausgeschlachtet wird. Derartige Chancen einer Megakommerzialisierung lässt sich die NFL in der Regel nicht entgehen. Ich hatte vor einigen Jahren in einem Interview die Draft mal als „institutionalisierte Hoffnung“ für Fans bezeichnet. An diesem Tag könnte sich das Schicksal deiner Franchise radikal verändern – oder eben auch nicht. Genau diese Ungewissheit macht die Veranstaltung – ob live oder vorm Fernseher – eben selbst für Fans so spannend, die nicht unbedingt großes Interesse an College Football haben oder sich nicht eingehender mit den Prospects auseinandergesetzt haben.

Ich muss diese Ausschlachtung nicht mögen – und kann dennoch konstatieren, dass die Bilder aus Downtown Detroit absolut eindrucksvoll aussahen:

Die Reaktion der Lions Crowd nach der Bekanntgabe ihres 1st round Picks Terrion Arnold erinnerte fast an ein Tor im Public Viewing bei Nationenturnieren im Fußball.

Und auch die ersten Interaktionen zwischen Arnold – stilsicher gekleidet mit einem Sakko frisch aus Omas Gardine gefertigt – und den Lions-Fans wirkten mehr als vielversprechend.

Leider bekam ich von all diesen kleinen und größeren Geschichten rund um die Draftpicks erneut ziemlich wenig mit, da ich wie seit vielen Jahren die Draft live begleitet und kommentiert habe. Das macht mir weiterhin wahnsinnig viel Spaß – gerade in der gewohnten Runde und mit der sehr angenehmen Community im Vorder- und Hintergrund, in der ich mich ziemlich wohl fühle. Daher an dieser Stelle zunächst vielen Dank an Christian, Nicolas, unsere großartigen Gäste Tobi, Dennis, Moritz und Kai sowie die ganzen Menschen, die uns zum Teil sogar über alle drei Tage ertragen haben. Dieses Mal gab es noch vor der ersten gestreamten Sekunde einen gehörigen Schreckmoment, da Twitch unseren Kanal wenige Minuten vor der Coverage sperrte, da ein übereifriger Mitarbeiter wohl vermutete, wir wollten die Draftübertragung illegal streamen. Dank Nicolas konnten wir innerhalb weniger Minuten dann auf Youtube wechseln, aber das war so einer dieser Momente, an dem die Vorbereitung von mehreren Monaten im Kopf wie ein Kartenhaus zusammenfällt.

Btw: Falls irgendwer so verrückt ist, sich das Ganze nochmal im Nachgang anschauen zu wollen, hier die Streams der drei Tage:

Obwohl ich mich auf die Live Coverage jedes Jahr enorm freue, kann ich nicht verleugnen, dass ich das ganze Drumherum der Draft ein wenig vermisse. Ich kriege weder viel von den Pick-Verkündungen noch von den Anrufen bei den Prospects oder den Instant Reactions oder den Statements der Teams oder der College-Head Coaches viel mit und sehe – wenn überhaupt – in den Tagen danach zufällig ein paar Highlights. Falls ich irgendwann nicht mehr live kommentiere, weiß ich schon jetzt, dass ich mich sehr auf diese ganzen Storys freue, die ich momentan notgedrungen verpasse.

Dabei ist mir durchaus bewusst, dass diese Storys ein zweischneidiges Schwert sind. Das lässt sich ganz gut an den Pick Announcements illustrieren. Ich bin ja seit Jahren ein offensiver Verfechter davon, dass die gepickten Prospects hier eindeutig im Mittelpunkt stehen sollten, da es ihr einer großer Moment ist. Das ist im Laufe der Zeit schon durch die Verkündung der Picks am zweiten Tag durch diverse Team-Idole ein wenig aufgeweicht. Nicht falsch verstehen, ich genieße es, ehemalige Spieler mal wieder auf einer größeren Bühne zu erleben, aber ich konnte schon mit dem weitläufig gefeierten Rant von Ex-Cowboys WR Drew Pearson gegen die Eagles und der folgenden Replik von Ex-Eagles K David Akers wenig anfangen. Wie gesagt, macht dieses Event nicht zu eurer Show – es ist eben auch nicht eure!

Mittlerweile muss man ja schon fast froh sein, wenn es nur ein Ex-Star ist, der da ein wenig den Erzrivalen trollt, und der Pick nicht entweder von einem Orang-Utan aus dem Zoo von Indianapolis „bekanntgegeben“ wird oder die Mikros durch den unvermeidlichen Tomahawk Chop der deutschen Chiefs-Fans gekillt werden, während Oliver Bierhoff den Pick verkündet. Mittlerweile werden immer mehr Teile der Erde, immer mehr Prominente von vor Ort (die Kalle Riedles und Marcel Schmelzers dieser Welt) und eben auch immer mehr internationale Fans eingebunden. Das läuft nicht durchgängig geschmackssicher oder frei von Klischees ab. Negativer Höhepunkt war dieses Mal zweifellos die Pick-Verkündung der Carolina Panthers aus München, bei dem ich ehrlich gesagt froh bin, dass Renés Video erhebliche Probleme auf der Tonspur hat und man so ‚nur‘ die schrecklichen Bilder ertragen muss.

Ich will allerdings nicht nur meckern. Für die International Fans of the Year war es sicherlich ein einmaliges Erlebnis, einen Pick auf der Bühne in Detroit zu verkünden. Spezieller Shoutout an dieser Stelle an den geschätzten Kollegen Tobi Starke, der stimmlich dem Teamnamen Buccaneer aber mal sowas von entsprach – wahrscheinlich dank unbarmherzigen Training an den beiden Tagen zuvor.

Von solchen Momenten abgesehen darf es künftig gern wieder etwas weniger sein – ein zugegebenermaßen frommer Wunsch, denn die Internationalisierung der Draft dürfte eng mit den Expansionsplänen der NFL korrelieren.

Die schönsten Momente dieser Tage bleiben wie so oft den Videos der Anrufe vorenthalten, wenn sich für College-Kids mit einem Schlag das komplette Leben verändert. Ich habe wahrscheinlich viele großartige Momente gar nicht mitbekommen (s.o.), daher ist diese Auswahl notwendigerweise nicht nur subjektiv, sondern auch beschränkt. Einer der rührendsten Momente war sicherlich der Anruf der Rams bei FSU DT Braden Fiske nach Uptrade in der 2nd round, bei dem man – wenngleich leicht verspätet – den 1st round Pick und ehemaligen Seminole-Teamkollegen DE Jared Verse ans Telefon bekam. Verliert selbst beim wiederholten Ansehen nicht an Gänsehaut-Gefühl.

Überhaupt: Immer wieder schön, die Reaktionen zu sehen, wenn Teamkollegen auf NFL-Level wiedervereinigt werden. Siehe das Gespräch von Broncos 1st round QB Bo Nix mit seinem go-to WR bei den Ducks, Troy Franklin, der etwas überraschend bis in den dritten Tag fiel und dort von den Broncos mit Uptrade eingesammelt wurde.

Was mein sportromantisches Herz jedes Mal wieder aufs Neue erfreut: Legacy Picks. Dieses Jahr war es soweit bei Jeremiah Trotter Jr., dessen Vater Jeremiah Trotter, genannt „The Axe Man“, einer der großen Eagles Defender der erfolgreichen Andy Reid-Ära war. Hier sind die Emotionen auf Teamseite bei Owner Jeffrey Lurie sogar ein wenig sichtbarer.

Gibt sicherlich noch jede Menge weiterer schöner Geschichten rund um die gepickten Spieler, doch hierbei belasse ich es an dieser Stelle.

Noch was anderes: Ich finde den Blick in die War Rooms ja aus unterschiedlichen Gründen immer wieder interessant. Und selbst, wenn ich mir jetzt von der einen oder anderen Fraktion Kritik abhole, aber der Punkrock-Preis des Jahres geht eindeutig an die Detroit Lions und ihren GM Brad Holmes für die „Positional Villain“-Hoodies:

Ich will an dieser Stelle nicht über die Relevanz des Positional Values streiten, aber dieser offensive „in your face“-Umgang ist einfach nur Weltklasse. Sowas erwärmt das kleine Provo-Punk-Herz. Kann ich nicht ändern.

Aber widme ich mich mal lieber den ersten Fragen aus dem Mailbag:

Jessica F. (Fletchy): Ganz allgemein: Was war dein schönster Moment an diesem Draft-Wochenende? (Außer dem Sieg von St. Pauli of course)

Das Interessante ist: Der Sieg von Sankt Pauli – obwohl auch noch in einer erbitterten Rivalität, die von mir krass gelebt wird – gehört so oder so nicht zu den schönsten Momenten des Wochenendes, weil an diesen paar Tagen wirklich alles von der Draft überlagert ist. Es ist gewissermaßen mein kleines, persönliches Weihnachten, hinter dem der Rest des Lebens kurz in den Hintergrund entschwindet. Von daher war mein Ärger über den Schedule der DFL schon vorab recht groß, da ich wusste, dass ich das Ereignis nicht wirklich zelebrieren würde können.

Da keine Spieler meiner College-Teams gepickt wurden und ich wie erwähnt vom Drumherum nicht so viel mitbekommen habe, muss ich einen Moment aus der Draft-Coverage wählen. Und welcher wäre besser als das ungläubige Gesicht von Moritz beim Uptrade und Pick seiner Panthers für RB Jonathon Brooks.

Du hast es ja netterweise gleich online gestellt. WHAT?

Ein nur für uns beide witziger Moment natürlich auch, dass einer der wenigen Sleeper, die ich explizit bei euch im Huddle Up Talk vorstellte, ausgerechnet bei deinen Eagles landete (WR Ainias Smith) – und ich ahnte sofort, dass die Werbemaschine für die Eagles sofort wieder anlaufen würde (was sie dann auch tat)…

MM10: Bist du mit der Tackerausbeute an den 3 Drafttagen zufrieden?

Eine schwierige Frage, die ich nur mit einem jein beantworten kann. Mit der Ausbeute zu Beginn konnte ich leben, doch am dritten Tag war ich so müde, dass ich einige goldene Gelegenheiten verstreichen ließ. Skandalös fand ich aber, dass Nicolas das System so voreingestellt hatte, dass er sich selbst keine Tacker verpassen konnte. Das muss nächstes Mal unbedingt angepasst werden.

Drafttrends 2024

In dieser Rubrik findet ihr wie gewohnt mehr oder weniger zusammenhängende Zahlen, Fakten und Entwicklungen, die ich für erwähnenswert halte.

Betrachten wir zunächst den gesamten Korpus an Draftpicks: Die 257 gedrafteten Spieler teilen sich wie folgt auf: 133 Offense Prospects, 120 Defense Propsects und vier Special Teamer. Die krasse Offense-Lastigkeit der ersten Runde zog sich also nicht komplett durch die Draft (dazu gleich mehr). Nach Positionen unterteilt fielen die meisten Picks auf die Cornerbacks (36), gefolgt von den Wide Receivern (35) und den Offensive Tackles (27). Diese Zahlen sind insbesondere bei den OTs natürlich mit Vorsicht zu genießen, da sich das eine oder andere Talent mittelfristig wahrscheinlich in der interior O-Line wiederfinden wird, verschaffen aber dennoch einige Indizien.

Auffällig fand ich die geringe Anzahl an Edgerushern, von denen nur 20 gedraftet wurden. Hier kann die Positionsbezeichnung zum DT auf der einen Seite und zum LB auf der anderen Seite im Einzelfall ebenfalls durchlässig sein, doch allein damit lässt sich der klare Abfall im Vergleich zur vergangenen Draft nicht erklären, als 34 Edgerusher über die Theke gingen.

Fokussieren wir noch einmal genauer die erste Runde, die letztlich noch offensivlastiger ausfiel, als die allermeisten sowieso erwarteten: 23 Offense Prospects bei nur 9 Defense Prospects bedeuten einen neuen Rekord. Noch deutlicher wird es bei Berücksichtigung der Draftposition: Der erste Defense-Spieler (DE Laiatu Latu zu den Colts) ging erst an #15 (ein weiterer Rekord – noch nie begann eine Draft mit 14 Offense Picks), der erste Defensive Back (CB Quinyon Mitchell zu den Eagles) erst an #22. Ein weiterer Rekord waren die sechs gedrafteten Quarterbacks innerhalb der ersten 12 Picks.

Julia: Was meinst du, warum gerade die erste Runde so Offense lastig war? [Anmerkung: Die zweite Frage wird weiter unten beantwortet.]

Wir hatten in diesem Jahr eine seltene Kombination aus offensiven Blue Chip-Prospects (bei fehlenden defensiven Megatalenten, zumindest nicht ohne Fragezeichen) und sehr tiefen 1st round-Tiers auf den wichtigsten offensiven Positionen QB, OT und – in etwas geringerem Maße – WR. Dass gleich sechs Quarterbacks in der ersten Hälfte der ersten Runde gehen, hatten allerdings die wenigsten erwartet, verdeutlicht aber erneut die überragende Wichtigkeit der Position. Hinzu kommen drei außergewöhnliche Receiver-Talente, die jeder für sich in den meisten Jahrgängen die #1 gewesen wären, ein seltenes Talent auf TE und eine unglaubliche OT-Klasse, bei der wirklich für jeden Geschmack und für jedes Scheme etwas dabei war. Das führte zu einem frühen Run, so dass die besten Defense-Talente noch weiter als erwartet fielen.

Wohlgemerkt: Diese Tendenzen beziehen sich eigentlich nur auf die erste Hälfte der Runde 1, danach war das Verhältnis von Offense und Defense ausgeglichen (von Pick #15 bis Pick #32 jeweils neun Offense und Defense Picks). Kurz: Es lag an diesem perversen Blue Chip-Talent auf OT und Passempfänger kombiniert mit der überragenden Positionsbedeutung der Quarterbacks.

burnum: Die ersten 12 Picks waren alle QB, WR, OT. In Runde 1 gingen nur 2-3 Spieler, die keine „Premium Position“ spielen (QB, WR, OT, EDGE, CB). Siehst du da einen allgemeinen Trend zur Verstärkung des positional values oder war das eine Anomalie dieser spezifischen Draftclass?

Wenn es eine Anomalie war, dann wohl nur noch eine kleine (bezüglich der Blue Chip-Prospects, s.o.), auch verglichen mit den letzten Klassen. Da genügt ein Blick auf die anderen Positionsgruppen:

  • Running Backs haben schon länger an Wert verloren, so dass nur noch vereinzelte Megatalente wie Bijan Robinson oder Big Play-Hoffnungen wie Jahmyr Gibbs weiter oben in der ersten Runde gehen. Ansonsten höchstens mal am Ende der 1st round, aber selbst das kommt immer seltener vor – und dieses Jahr hatten wir IMO eine extrem schlechte RB-Klasse.
  • (Off-Ball) Linebacker sind gewissermaßen das Defense-Äquivalent der RBs. Hier schlüpfen vielleicht noch ein oder zwei mehr als bei den Backs in die späte 1st, gelegentlich wird mal einer overdrafted (Jack Campbell), doch auch hier ist der Trend ziemlich eindeutig. Zudem gilt für die 2024er LBs das gleiche wie für die Backs: keine gute Klasse.
  • Tight Ends werden traditionell wenig in der ersten Runde gedraftet, in diesem Jahrhundert durchschnittlich etwa einer pro Jahr. Nur zweimal in dieser Zeitspanne waren es drei 1st round TEs (2002, 2017).
  • Interior O-Liner werden schon länger nicht besonders prominent in der 1st gepickt, aber durchaus möglich, dass der eine oder andere als OT nominierte Pick nach innen rücken wird. Wer weiß, vielleicht birgt die Bezeichnung als Tackle auch den Vorteil, sich der Kritik eines frühen iOL-Picks nicht aussetzen zu müssen? Nicht ganz ernst gemeint though.
  • Safeties werden seit jeher von den NFL-Teams und Scouts geringer gewertet als von Hobbyanalysten und Fans. Selbst ein Kyle Hamilton fiel in die mittlere 1st, hier finden sich höchstens ein paar late 1st rounder. Und again: Schlechte Klasse.

Die entscheidende Variable für die Antwort auf deine Frage sind daher die Defensive Tackles, aus meiner Sicht die einzige Position, die mit größerer Frequenz – und nicht erst am Ende der ersten Runde – in die Phalanx der von dir genannten Positionen einbrechen kann. In der vergangenen Saison wurden 4.5 DTs in der ersten Runde gedraftet (je nachdem, wo man Lukas Van Ness einordnet), und auch nicht unbedingt erst in der late 1st (Carter #9, Van Ness #13, Kancey #19).

Mit anderen Worten: Ja, es gibt einen Trend zu den sogenannten Premium Positionen (die allerdings fast 50% der Positionen ausmachen – also Vorsicht!), aber den gibt es nicht erst seit dieser Draft. Entscheidend für das Verhältnis wird vor allem die Tiefe der DT-Klasse sein. Interior O-Line schätze ich als halbwegs konstant ein, und bei den etwas abgewerteten Positionsgruppen geht es meist nur um Kandidaten in der späten ersten Runde – und dafür waren gerade diese Klassen 2024 in der Spitze zu mau besetzt.

Weitere Beobachtungen zum ersten und zweiten Tag:
  • Die Offensive Tackles gingen weg wie warme Semmeln. Ich hatte in der O-Line-Folge bei Down, Set, Talk schon prophezeit, dass der Run auf die OTs noch einmal krasser sein dürfte, als die Big Boards nahelegen. Und genau so kam es dann auch: Die besten 6 OTs (hinter denen meiner Ansicht nach eine kleine Lücke besteht) gingen allesamt in den Top 20. Wohlgemerkt: Aus meiner Sicht vollkommen zurecht – nicht nur weil ich sie als Talente hoch eingeschätzt habe, sondern weil die OTs neben den QBs die einzige Position ist, die man nur schwerlich (oder lediglich mit sehr viel Glück) später adressieren kann – im Gegensatz etwa zu WRs, CBs oder auch Edgerusher.
  • A propos Receiver: Die gingen an den ersten beiden Tagen weniger, als ich erwartet hatte. Sieben Receiver in der ersten Runde waren noch überdurchschnittlich (viele hatten eher mit sechs gerechnet), aber nur neun weitere am zweiten Tag für insgesamt nur 16 in den Runden 1-3? Ich hatte mit mindestens 20 gerechnet, um ehrlich zu sein.
  • Noch überraschender für mich: Der krasse Run auf die Defensive Tackles in Runde 2. Ich hatte die Klasse abseits der beiden Top-Prospects Byron Murphy und Johnny Newton (der ja dann sogar in die zweiten Runde fiel) ziemlich schlecht eingeschätzt, noch einmal schlechter als der Konsens. Die NFL-Teams sahen das offensichtlich anders: Gleich sieben DTs (inklusive Newton) gingen zwischen Pick #35 und #54, teilweise mit sehr teuren Uptrades.
  • Weniger überraschend für mich dagegen die Menge an Cornerbacks in der zweiten Runde. Ich hatte vorher mehrfach geäußert, dass ich wohl noch nie so viele Cornerbacks mit 2nd round Grades hatte wie in diesem Jahr. Das wurde von der NFL bestätigt: 7 Cornerbacks in Runde 2, davon fünf zwischen Pick #40 und Pick #50, also im frühen bis mittleren Bereich der 2nd.
  • Die Popularität der beiden Positionsgruppen DT und CB führte dann auch dazu, dass am Ende der zweiten Runde der pickmäßige Vorsprung der Offense beinahe aufgebraucht war: Nach 23-9 Picks an Tag 1 sah es eine Runde später mit 35-29 schon deutlich ausgewogener aus. Oder anders gesagt: Nach den ersten 14 Picks Offense hatte die Defense von Mitte Runde 1 bis Ende Runde 2 einen nicht ganz unbeträchtlichen Vorsprung an gedrafteten Prospects. Ich bin gespannt, wie wir in drei Jahren auf diese Ungleichverteilung zurückblicken.

Ansonsten blieben die ganz großen Überraschungen aus. Nach der wilden und chaotischen ersten Runde 2023 agierten die meisten Teams dieses Jahr doch ziemlich im Rahmen des Erwartbaren und tätigten größtenteils nachvollziehbare Picks. QB Michael Penix als Wahl der Falcons an #8 war natürlich einer der größeren Schocker der letzten Jahre, mit dem ich nie im Leben gerechnet hätte, was den Monstervertrag für Kirk Cousins sicherlich in einem anderen Licht erscheinen lässt. Auch die Broncos überraschten mit dem Pick von QB Bo Nix an #12, nachdem durch die fünf QB-Picks zuvor die meisten erwarteten, dass die Broncos nun leer aus dem QB-Karussell der ersten Runde aussteigen würden. Diese Moves verraten allerdings mehr über die überragende Relevanz der Position denn über eine ungewöhnliche Draft.

Selbst die Hoffnung auf ein bisschen Trade-Chaos erfüllte sich nicht wirklich: Lediglich fünfmal wurden während der ersten Runde Picks getauscht, davon nur einmal in der ersten Hälfte durch den Sicherheits-Uptrade der Vikings von #11 auf #10, um etwaige Uptrades anderer Teams für ‚ihren‘ QB J.J. McCarthy zu unterbinden. Die weiteren Trades: Erneut die Vikings von #23 auf #17 für EDGE Dallas Turner, die Lions von #29 auf #24 für CB Terrion Arnold sowie die zwei Downtrades der Bills: Erst gingen die Chiefs von #32 auf #28 für WR Xavier Worthy hoch, dann die Panthers von #33 auf #32 für WR Xavier Legette. Die Bills punteten ihren Pick also in den zweiten Tag – und dort gab es zu Beginn traditionell mehr Action (fünf Trades innerhalb der ersten neun Picks). Dagegen blieben in der ersten Runde – von diesen kleinen späten Manövern abgesehen – die allermeisten Teams dagegen lieber auf ihren Picks sitzen und warteten, wie das Board fiel. Die krassen Überraschungen blieben übrigens auch bezüglich der gewählten Spieler meist aus.

A propos: Ich habe seit ein paar Jahren das Gefühl, dass die Teams tendenziell näher an den Consensus Boards draften – oder eher andersrum: Dass die Consensus Boards näher an den Boards der Teams sind? Letzteres könnte bei genauerem Hinschauen schon Sinn machen: Es gibt mittlerweile so viele Insider, die kleine Tendenzen der Teams und vor allem der Scouts aufschnappen. Es ist ja kein Zufall, dass sich die Boards der bekannten Analysten wie Daniel Jeremiah im Verlauf des Frühjahrs noch signifikant verändern – übrigens selbst nach Senior Bowl und Combine. Jeremiahs Board hängt zwar auch von seinen Beobachtungen und Präferenzen ab, aber eben nicht nur. Wäre es also wirklich so unwahrscheinlich, dass die Draftmedien im Jahr 2024 etwas besser über die Sichtweisen und Evaluationen der Teams Bescheid wissen als etwa 2014? Falls ja, könnte das ja wirklich einen Einfluss auf die Annäherung von Draftpicks und Consensus Boards haben – ohne dass die NFL-Teams sich da zwangsläufig bewegt hätten…

Das bedeutet ja nicht, dass es nicht immer auch ein paar Spieler gibt, die überraschend fallen. Die diesbezügliche ungeliebte Krone erhält 2024 eindeutig WR AD Mitchell, der zum einen von den Medien etwas besser eingeschätzt wurde als von den Teams, bei dem zudem wohl Fragezeichen bezüglich seiner Diabates bestanden haben können. So musste er bis Mitte der zweiten Runde warten, wo die Colts ihn einsammelten. Bei zwei anderen Spielern war der Slide dagegen schon in der Woche vor der Draft durchgesickert: C Jackson Powers-Johnson (wohl wegen medizinischer Fragezeichen und einem etwas strangen Charakter) sowie – vielleicht noch einmal überraschender – DT Johnny Newton. Bei den beiden CBs Cooper DeJean und Kool-Aid McKinstry war bereits vorab ersichtlich, dass Teams sie aus unterschiedlichen Gründen (Scheme & Position / Athletik & Upside) sie ziemlich unterschiedlich gerankt hatten. Wir werden bald sehen, ob die Colts, Raiders (JPJ), Commanders (Newton), Eagles (DeJean) und Saints (McKinstry) hier wirklich Value abgegriffen haben.

Interessant ist zudem, wer nicht gefallen ist: Die allermeisten erwarteten einen ziemlichen Slide von Texas DT T’Vondre Sweat nach seiner Alkoholfahrt, die sich auch noch zu einigen anderen Berichten über ein eher unreifes Verhalten gesellte. Doch wie immer braucht es nur ein einziges Team, das das anders sieht, um einen Fall in tiefere Runden zu verhindern – in diesem Falle die Titans, die vor wenigen Jahren mit Georgias OT Isaiah Wilson in ähnlicher Hinsicht schon extrem schlechte Erfahrungen gemacht haben. Hier gilt ähnliches wie für die obigen Teams.

Wenn wir gerade eh bei 2nd round DTs gelandet sind:

Julian Joußen: V. a. in der zweiten Runde haben viele Teams für DT hoch getraded, zudem bekommen sie immer dickere Verträge – ist DT die neue Premium-Position und warum?

P. S.: persönliche Meinung: ja, weil Teams immer mehr mit Nickel oder sogar Dime ihre Base-Defense spielen wird es umso wichtiger, gute DTs zu haben, die den Run stoppen können und Pass-Rush ist sowieso extrem wichtig

Du hast die Antwort im Prinzip schon gegeben, die ich auch gewählt hätte. Je weniger personale Ressourcen man in die Line (und die Box) stecken muss, desto mehr Spieler können sich um die Coverage des Passspiels kümmern. Ein herausragender run stopping DT bietet der Defense selbst bei frühen Downs einfach mehr Freiheiten, mit etwas leichterem Personal aufzulaufen, das vielleicht nicht den idealen Beef gegen das Laufspiel mitnimmt. Der zweite Punkt lässt sich noch einmal stärker betonen: Gerade in Zeiten des Kurzpassspiels wird schnelle Pressure umso wichtiger, um Timing und Rhythmus zu stören. Der Weg über A- oder B-Gap in direktem Weg zum Quarterback ist nunmal schneller als beim Speedrush um die Pocket herum – allerdings auch tendenziell schwieriger bzw. von weniger Spielertypen zu leisten. Zudem gibt es eben nichts, was jeder Quarterback so sehr hasst, wie Pressure direkt im Gesicht, dem man schwer ausweichen kann. Daher kann ich mir gut vorstellen, dass die wenigen DTs, die schnell und disruptiv ins Backfield gelangen können und – selbst wenn sie nicht beim QB einschlagen – die Pocket von vorne konsequent verengen können, sogar noch an Wert gewinnen könnten.

Davon abgesehen bleibe ich bezüglich der aktuellen Klasse etwas skeptisch, ob sich abseits der beiden designierten Top-DTs wirklich so viele in diesem Bereich als herausragend erweisen werden. Wie üblich hoffe ich gerade bei Defense-Prospects, dass ich falsch liegen werde. Ich hoffe auf mehr und schnelleren Druck!

Draft Awards und Strategien 2024

Wie üblich folgt nun eine kurze und pointierte Einschätzung ausgewählter Draftklassen. Hierbei handelt es sich weder um ein Ranking noch zwangsläufig um ein Indiz für zugeschriebene Qualität, sondern schlicht um Spezifisches und Auffälliges.

Triple Option-Draft: Hiermit küre ich die Draft, die am ehesten spezifisch mit meinen Rankings übereinstimmt und zudem einige „My Guys“ oder frühe Entdeckungen während der letzten College Football-Saisons umfasst. Es geht also nicht nur um reines Value, sondern um eine Draft, die ich so oder ähnlich selbst getätigt hätte.
Wie schon im vergangenen Jahr habe ich größere Probleme, diesen Award zu vergeben, aber einfach weglassen ist auch keine Lösung. Mir ist bewusst, dass meine Wahl nicht besonders kreativ ausfällt, da viele Analystinnen und Analysten sowie viele Seiten diesem Team eine exzellente Draft bescheinigt haben, dennoch küre ich hiermit die Los Angeles Chargers um den unkaputtbaren Jim Harbaugh mit dem Triple Option-Award. OT Joe Alt war ein bombensicherer Pick an #5 (wäre hier Rome Odunze weggegangen, hätte es die optimale Wertung gegeben). WR Ladd McConkey in der 2nd und LB Junior Colson in der 3rd gefallen mir exzellent: McConkey war mein #5 WR (mit 1st round Grade) und sollte mit seinem Route Running schnell eine relevante Rolle für Justin Herbert einnehmen. Colson war die letzten Jahre einer meiner Lieblingsspieler, den ich bereits in seiner Freshman-Saison hier auf dem Blog ausgiebig beworben habe – und zudem einfach der eine klare Harbaugh-Pick aus seinem alten Team. DL Justin Eboigbe in der 4th war vielleicht etwas früh und hat allein aufgrund seiner Athletik wohl nicht das höchste Ceiling, aber ist einer der besten Run Defender der mid-to-late Rounds (und darauf steht Harbaugh nunmal). Eboigbe und 5th rounder CB Tarheeb Still waren nach Consensus Boards eher kein Value, gerade Still gefiel mir mehr als andere (s. Sleeper-Beitrag) und bringt spannende inside/outside-Variabilität mit. Der riesige CB Cam Hart stellte in der 5th nettes Value dar – und auch er war seit einigen Saisons regelmäßiger Gast auf diesem Blog (wenngleich ich ihn nicht ganz so hoch einschätzte wie einige andere Seiten). Der beinahe quadratische RB Kimani Vidal (6th) ist ein kleiner Liebling von mir, der in den Wochen vor der Draft mehr und mehr late Round-Hype generierte: Mit seiner top Contact Balance, seiner Power-Speed Combo und seinem potenziellen 3-Down-Skillset könnte er schnell eine nette Alternative werden. Am Ende sammelte man nochmal top Value ein mit dem überraschend tief gefallenen WR Brenden Rice und dem alten Michigan WR Cornelius Johnson – zwei zwar nicht gleiche Prospects, die sich aber wohl um einen Spot im Team als großer Depth WR streiten werden. Gerade bei Johnson prophezeite ich die vergangenen Saisons im Sommer konstant einen Breakout – der allerdings nie so wirklich kam. Also jetzt? Schöne runde Klasse mit einer gehörigen Menge Harbaugh-Flavor – nicht nur wegen den beiden Wolverines.

Rick Spielman-Gedächtnisdraft: Dieser Award geht jedes Jahr an das Team, das möglichst konsequent bis in die späten Runden Spieler einsammelt, die nach gängiger Meinung und Konsensboard zu tief gefallen sind. Der ehemalige GM der Vikings verfolgte diese Strategie einige Jahre lang mit beeindruckender Konsequenz. In der vergangenen Saison gab es mit den Eagles und Howie Roseman einen haushohen Sieger, dieses Mal fiel die Entscheidung etwas knapper aus, und zwar letztlich für die Miami Dolphins und ihren GM Chris Grier. Der Anfang war noch vergleichsweise unspektakulär: EDGE Chop Robinson (an #21) und OT Patrick Paul (an #55) waren in etwa in den Regionen gezogen worden, in denen viele sie erwartet hatten. Robinson war zudem ein typischer Fins-Pick, bei Paul waren einige (inklusive mir) etwas überrascht, wie er in das Wide Zone-System von HC Mike McDaniel passen wird. Anyway, am dritten Tag wurde dann dick Value abgezogen: Man kann – und sollte – über den Trade diskutieren, dennoch war Speedster-RB Jaylen Wright in der 4th absolut überfällig. Noch einmal mehr gilt das für EDGE Mo Kamara in der 5th, der in einiger Hinsicht wie eine mid-round-Variante von Robinson wirkt (Athletik, nicht ideale Armlänge), allerdings mehr über Power und weniger über Bend kommt. Enorm spannender Spieler, der hervorragend passen sollte. Doch damit nicht genug: In der 6th round fiel den Dolphins WR Malik Washington in den Schoß, ein kleiner tougher underneath WR mit exzellenten Händen und RB-Mentalität, der längst hätte vom Board sein müssen. Mit dem zweiten Sechstrundenpick S Patrick McMorris wurde die Valuejagd kurz ausgesetzt, bevor man in der 7th nochmal richtig zuschlug: WR Tahj Washington ist ein langjähriger Favorit von mir: Spielt wesentlich größer als seine kleine schmale Statur, ist am Catch Point nicht so unterlegen, gefährlich mit dem Ball in der Hand, einfach ein Playmaker. Die Dolphins sammelten fast durch die Bank dickes Value ein – mal schauen, ob sich das auszahlen wird.
Zwei andere Kandidaten für diesen Award wären die New Orleans Saints (insb. CB Kool-Aid McKinstry in der 2nd, QB Spencer Rattler in der 5th und evtl. DT Khristian Boyd in der 6th) und die Baltimore Ravens (EDGE Adisa Isaac in der 3rd, CB T.J. Tampa in der 4th, RB Rasheen Ali in der 5th, evtl. auch WR Tez Walker in der 4th) gewesen, doch beide ließen mit den späteren Picks etwas nach, während die Dolphins munter weiter draufsattelten.

Throwback Award: Hier geht es nicht darum, wer zuerst einen RB oder interior OL draftet, also Positionsgruppen, die in den vergangenen Jahren etwas an Wert verloren haben, sondern welches Team ganz Oldschool am stärksten auf Power und Beef Wert gelegt hat. Dieses Jahr küre ich die Tennessee Titans. Die ersten beiden Picks waren dafür schon beinahe ausreichend: In der ersten Runde wählte man – für viele überraschend früh – an #7 den hochveranlagten Mammut-OT J.C. Latham mit seinem massiven und langen Körper, seiner auch in dieser OT-Klasse hervorragenden Kraft und dem brachialen Punch. In der zweiten Runde wurde das dann noch getoppt von dem Berg dieser Draftklasse, DT T’Vondre Sweat. Talentmäßig aus meiner Sicht durchaus in diesen Regionen, aber dank seiner diversen Off-Field-Fragezeichen doch eine kleine Überraschung. Festzuhalten bleibt: Die ersten beiden Picks der Titans bringen zusammen 708 Pounds auf die Waage – könnte ein Rekord sein. Danach ging es zumindest ein wenig in die Richtung weiter: LB Cedric Gray ist einer der härteren Hitter dieser Klasse, und selbst undersized CB Jarvis Brownlee besticht vor allem mit einer gehörigen Portion Physis und Aggressivität. Dass man in der 7th round dann auch noch den super-sized S James Williams mit seinen 231 (!) Pounds ins Boot holte, passt da nur zu gut ins Bild…

Need meets Value: Alle, die das Ende der Saison und insbesondere die Playoffs verfolgt haben, sahen allzu deutlich, welche Position letztlich der größte Knackpunkt war, weswegen die Detroit Lions nicht in den Super Bowl eingezogen sind: die Cornerbacks. Daher machten sich GM Brad Holmes und Co. daran, diese Schwachstelle so gut wie möglich zu beheben. Das geschah bereits partiell in der Free Angency (mit u.a. Carlton Davis), aber wohl niemand hätte sich träumen lassen, wie gut die Draft diesbezüglich laufen würde. Als CB Terrion Arnold – nicht nur für mich der beste Corner der Klasse – überraschend in die 20er fiel, schlugen die Lions mit einem Uptrade von #29 auf #24 zu und sicherten sich eines der größten Defense-Talente und bedienten ihren größten Need. Doch damit nicht genug: Mit CB Ennis Rakestraw fiel ein weiterer hoch eingeschätzter Prospect bis ans Ende der zweiten Runde – und die Lions waren erneut Nutznießer (btw, gut dass Holmes keinen Uptrade-Partner fand, den er dem Vernehmen nach für Rakestraw suchte). Diese beiden Corner passen einfach zu gut: beide Man- und Press-erfahren, beide mit herausragendem Footwork und Beweglichkeit, beide mit gewisser Slot-Erfahrung (gerade für Rakestraw könnte das der Schlüssel für frühe Spielzeit sein). Da passt einfach (fast) alles! Dass die Lions danach mal wieder für ein rohes Projekt unnötigerweise und zu teuer uptraden mussten, gehört wohl dazu (2023 DT Brodric Martin, 2024 OT Giovanni Manu). Mit S/Slot/RB/ST Sione Vaki holte man sich noch das Schweizer Taschenmesser der diesjährigen Klasse sichern (wenngleich erneut mit Uptrade), und die Line-Depth in den späten Runden mit DT Mekhi Wingo und OG Christian Mahogany war nicht nur exzellentes Value, sondern auch nötig (zumal Wingo den Passrush noch etwas aufwerten könnte).

Power meets Value: Die Pittsburgh Steelers sind in derartigen Kategorien einfach Dauergast – und diese Draftklasse ist da keine Ausnahme, sondern eher ein erneuter Höhepunkt. Ziel war erneut (wie schon die letzten Jahre), die wacklige O-Line aufzuwerten, und das gelang bravourös: OT Troy Fautanu bringt Positions-Flexibilität und eine gehörige Portion Nastiness mit, ist allerdings kein reiner Mauler, sondern bringt hervorragende athletische und auch technische Anlagen mit. C Zach Frazier in der 2nd ist ein Steelers-Center alter Schule: tough, hard-nosed, kräftig, nicht der beste Athlet, aber erledigt seinen Job enorm zuverlässig. In Runde 4 holte man sich mit OG Mason McCormick weitere OL-Unterstützung, und erneut welche mit Mauler-Qualitäten und einer gewissen Edge. Dass dazwischen der aus medizinischen Gründen bis ans Ende der 3rd gefallenen LB Payton Wilson eingesackt wurde, der neben Junior Colson beste Tackler der LB-Klasse, passt da nur zu gut ins Bild. Einzig 3rd round WR Roman Wilson bietet etwas zu viel ‚Flash‘, bevor am Ende mit Ryan Watts noch einmal ein kräftig gebauter und sehr gut tacklender DB nachgelegt wurde. Steelers Style! Ich komme nicht umhin, das zu mögen.
Wo wir gerade dabei sind, eines der Plays, bei dem ich wiederholt am meisten lachen musste, ist von Troy Fautanu. Definiere „aus dem Leben schießen“:

Upside Draft: Wer einen ziemlich guten Kader beisammen hat, kann auch mal ein wenig zocken. Das traf dieses Jahr insbesondere auf den amtierenden Super Bowl-Champion Kansas City Chiefs zu. GM Brett Veach setzte auf Spieler, die vielleicht nicht den allerhöchsten Floor mitbringen, doch wenn sie einschlagen – watch out! In der ersten Runde initiierte man einen kleinen Uptrade (ob nötig oder nicht) für Super-Speedster WR Xavier Worthy, der endlich die deep threat-Lücke nach dem Abgang von Tyreek Hill schließen soll. Gab ‚sicherere‘ Receiver, aber – auch dank Worthys bereits ganz guten Routes – gerade für diese Offense kaum einen mit höherem Potenzial. In der zweiten Runde wurde die immer mal wieder in der Diskussion stehende O-Line adressiert mit dem jungen hochveranlagten OT Kingsley Suamataia, der wohl vor allem wegen seiner Unerfahrenheit zu tief gefallen ist, für mich allerdings nach den Top 6 OTs das größte Talent aufweist. In Runde 4 setzte sich die Strategie fort: TE Jared Wiley ist ein großer athletischer Typ mit riesigem Catch Radius und top Händen, der allerdings die Feinheiten der Position (Route Running, Blocking) noch verinnerlichen muss. Und S Jaden Hicks bietet vielleicht nicht den Floor eines Javon Bullard oder Tyler Nubin, aber mit seinen Instinkten und der Nase für den Ball (insb. nahe der Box) das vielleicht höchste Potenzial aller Safeties (und war hier eh ein toller Value-Pick). Wie gesagt, wenn man sichs erlauben kann, gehste halt einfach vier Mal auf den Homerun.

Klein, aber oho-Draft: Ist langweilig, ich weiß, doch wer könnte hier eher in Frage kommen als die Chicago Bears? Schadet natürlich nicht, wenn man von den ursprünglich vier Picks gleich zwei in den Top 9 hat. Dennoch: Neben QB Caleb Williams mit WR Rome Odunze aus der ersten Runde zu gehen, kann ich nur goutieren, schließlich war Odunze (neben Marvin Harrison) einer meiner zwei echten Superstar-Prospects auf dem Board und hätte an #9 eigentlich nicht mehr da sein dürfen. Mit OT Kiran Amegadjie holte man sich in der 3rd einen spannenden Developmental-Tackle. Und obwohl der Pick von P Tory Taylor in der 4th für meinen Geschmack etwas zu früh kam, ist er schlicht eines der besten Prospects auf seiner Position in den letzten Jahren – auch wenn Caleb Williams ihm schon versicherte, nicht besonders viele Einsätze zu sehen. Dass GM Ryan Poles dann noch einmal in die Draft reintradete und in der 5th EDGE Austin Booker pickte, machte die ganze Nummer noch einmal mehr zur „Oho“-Draft. Normalerweise bin ich kein Freund davon, future Picks zugunsten aktueller Picks zu opfern, jedoch war Booker viel zu tief gefallen (auf meinem Board ein 2nd rounder), so dass ich das in diesem Fall nur unterstützen kann.

Wie ersetze ich meinen Superstar? Ist keine wirkliche Kategorie, aber passt zu einer der auffälligsten Draftklassen dieser Saison, und zwar der der Los Angeles Rams. Ich zitiere mich ausnahmsweise mal selber:

Eins ist klar: Aaron Donald kann man nicht ersetzen. Wie also seine absurde Produktion einigermaßen auffangen? Ganz einfach: Indem große Ressourcen in den Passrush investiert werden. Mit dem ersten 1st round Pick der Franchise seit Äonen sicherte man sich mit EDGE Jared Verse den aus meiner Sicht besten Passrusher der Klasse. Weiter gings in Runde 2 via (zu teurem) Uptrade für seinen FSU-Teamkollegen DT Braden Fiske, der ja vor allem als Penetrator mit seinem Upfield Burst und nie endenden Motor überzeugt. Mit den ersten Picks des dritten Tages wurde nachgelegt: Erst EDGE Brennan Jackson (5th), ein Passrusher mit Explosivität, Power Moves und exzellentem Effort, danach noch der erfahrene DT Tyler Davis (6th), mit seiner Technik und Leverage ein variabler interior Defender. Also vier D-Liner/Edgerusher mit den ersten sechs Picks, nachdem man bereits in der vergangenen Saison diese Positionen mit unter anderen den beiden 3rd round Picks Byron Young und Kobie Turner bedient hat. Insgesamt hat Rams GM Les Snead in den vergangenen beiden Saisons folgende Picks für D-Line/Passrush investiert (ohne Uptrade-Munition miteinzuberechnen): 1st, 2nd, 3rd, 3rd, 5th, 5th, 6th, 6th, 7th. Ein Donald lässt sich eben allerhöchstens auf möglichst vielen Schultern kompensieren – und das eben auch (wohl) nur ansatzweise.

Support your new Franchise QB: Die New England Patriots sind in der ersten Saison nach der Belichick-Ära zweifellos ein Team im Umbruch und stellen nicht das hochkarätigste oder tiefste Roster. Wenn man in eine solch prekäre Situation seinen künftigen Franchise-Quarterback draftet, sollte man wenigstens den Rest der Picks danach ausrichten. Und das taten die Patriots dann auch, wenngleich man sich an der einen oder anderen Stelle trefflich über das Value der Picks streiten kann. Doch darum soll es hier nicht gehen. Auf QB Drake Maye folgten gleich vier Offense-Picks, brüderlich verteilt auf Receiver und O-Line. Auffällig: Die beiden Receiver Ja’Lynn Polk und Javon Baker weisen zwar unterschiedliche Profile auf, brillieren aber beide am Catch Point mit sicheren, starken Händen und einem enormen Radius. Genau das kann ein junger Quarterback natürlich besonders gebrauchen: Receiver, die auch mal einen ungenaueren Pass reinziehen. Die beiden O-Liner OT Caedan Wallace und OG Layden Robinson bieten mindestens solide Depth, und in der letzten Runde sammelte man sogar noch YAC-Threat TE/H-Back Jaheim Bell ein – mittelfristig womöglich ebenfalls keine so schlechte Hilfe. Der Weg der Patriots zurück an die Spitze wird sicherlich noch dauern, die Strategie (nochmal mehr als die Prospects an sich) der Picks nach Maye ist jedoch absolut nachvollziehbar.

Schemefragen beantwortet: Nicht nur in unsere Live-Coverage bestand zunächst Uneinigkeit darüber, wie die Defense der Philadelphia Eagles unter dem neuen DC Vic Fangio schematisch aussehen wird. Die ersten beiden Picks von GM Howie Roseman sorgten diesbezüglich für größtmögliche Klarheit. Die Eagles hatten bei Pick #22 für ihr eines großes Need Cornerback die komplette Auswahl – und entschieden sich für Quinyon Mitchell, der mit seiner Geduld und den superben Breaks auf Spieler und Ball eben besonders in Off Zone (aber auch Off Man) brilliert. Also genau das, was Fangio traditionell gern spielen lässt. Wäre hier noch ein wenig Ambivalenz denkbar gewesen – schließlich hatte Mitchell beim Senior Bowl in direkter Man und Press sein Potenzial ebenfalls mehr als angedeutet – war diese mit dem zweiten Pick dahin: DB Cooper DeJean ist außen wie innen wie gemacht für eine solche Off-lastige Defense dank seiner Instinkte und Ballskills. Es würde schon einigermaßen überraschen, wenn Fangio gerade mit diesen beiden Prospects nun primär Man Press spielen lassen würde…

Day 3-Value: Traditionell der letzte Award in der Liste, und der geht dieses Jahr an die Buffalo Bills. Nach dem streitbaren Prospect WR Keon Coleman (der bereits jetzt auf dem besten Weg zu einem Cult Hero ist), dem vielseitigen S Cole Bishop und dem soliden, aber eventuell etwas zu früh gegangenen DT DeWayne Carter an Tag 2 legte GM Brandon Beane am dritten Tag – und hier gerade zu Beginn – eine Draft hin, die von mir hätte stammen können: Erst einen meiner Lieblings-RBs mit Ray Davis in der 4th (bei mir RB #2 mit 3rd round Grade) mit seinem ziemlich variablen Skillset aus Footwork, Vision, Power, einigen Moves im open field und starkem Receiving. Danach meinen absoluten Mancrush-C Sedrick Van Pran-Granger in der 5th (bei mir mit 2nd/3rd round Grade), super smart und sound, vielleicht nicht der beste Athlet, aber explosiver als gedacht und mit Finisher-Mentalität im open field. Zuletzt meinen favorisierten EDGE Javon Solomon in der 6th (bei mir mit 3rd round Grade), der nicht nur Production und einen exzellenten Bend around the corner mitbringt, sondern mit seinen langen Armen bereits über ein nettes Arsenal an Moves verfügt. Dazu gabs in der 5th noch den smarten wie harten (und überraschend athletischen) LB Edefuan Ulofoshio (bei mir 4th) sowie einen an die Bears getradeten 5th rounder für einen 2024er 4th rounder. Besser geht es aus meiner Sicht kaum. Dazu kamen später noch mit Nickel-CB/Puntreturner Daequan Hardy (underrated) und OT Tylan Grable (interessantes athletisches Profil) zwei spannende late Round-Flyer, und am Ende gamblete man einmal so richtig mit dem super-athletischen, dafür vollkommen unerfahrenen OL Travis Clayton aus England. Kann man sich nach dem unerwarteten Talentzufluss des dritten Tages mal erlauben.
Die Dolphins wären ein weiterer Kandidat für Day 3-Value gewesen, wurden aber ja schon weiter oben bedacht.

Fragezeichen?

Natürlich gab es auch Draftstrategien, zu denen ich Fragen habe. Das bezieht sich nicht immer oder nicht unbedingt auf die Prospects und ihr Talent, sondern ebenso auf das bigger Picture. Ich führe hier also nicht die aus meiner Sicht schlechtesten Klassen auf, sondern eben welche, bei denen ich den einen oder anderen Move nicht so ganz verstehe.

Zum einen müssen hier natürlich die Atlanta Falcons genannt werden. Der Monstervertrag für QB Kirk Cousins und der Schocker-Pick von QB Michael Penix an #8 beißen sich offensichtlich – unabhängig davon, wann die Falcons halbwegs kostengünstig aus dem Cousins-Vertrag aussteigen können. Doch darüber ist eh schon viel oder sogar zu viel geschrieben worden, wenngleich mich die Begründung von GM Terry Fontenot, dass man ja aufgrund von Cousins‘ Klasse nicht damit rechnet, in den nächsten (vielen) Jahren noch einmal so hoch zu draften, nur bedingt überzeugt. Wir kennen doch alle die Mechanismen: Hast du nicht unbedingt einen Brett Favre oder Aaron Rodgers vor dir, spielst du als 1st round Rookie schneller, als alle Entscheidungsträger im April noch formulieren.
Ich frage mich aber auch, was danach bei den Falcons der Plan war. Der teure Uptrade von #43 auf #35 für DT Ruke Orhorhoro (während btw DT Johnny Newton noch auf dem Board war) war eine weitere deftige Überraschung, und aus der Perspektive der allermeisten keine unbedingt positive. Und später sickerte durch, dass die Falcons von #43 aus eigentlich sogar in die mittlere 1st round uptraden wollten und wohl unter anderem mit den Seahawks an #16 (!) verhandelten. Was hatten sie da vor? Ich will es eigentlich gar nicht wissen. So wirklich nachvollziehbar und planvoll scheint das alles nicht, zumindest für mich als Außenstehendem.

Bei den San Francisco 49ers habe ich andere Fragezeichen. Ich kritisiere nicht unbedingt die Spieler an sich – ob ich die etwas später oder früher gerankt habe, spielt letztlich keine Rolle – aber bin mir nicht ganz sicher, wie das insbesondere in der Offense nächste Saison konkret aussehen soll. Schon jetzt gibt es fast zu wenig Targets für die Top-Spieler, schließlich müssen die Pässe in dieser eher Run-Pass-balancierten Offense zwischen Deebo Samuel, Brandon Aiyuk, George Kittle und Christian McCaffrey aufgeteilt werden, plus ein paar weitere für Kyle Juszczyk und eventuell Jauan Jennings. Das war schon 2023 ein kleiner Balanceakt. Nun kommt noch 1st round WR Ricky Pearsall hinzu – und vielleicht auch 4th rounder Jacob Cowing? Hatte man Pearsall gedraftet, weil man von einem Trade eines der Top-Receiver ausging? Oder ist das ein Vorgriff auf nächstes Jahr, was durchaus weitsichtig wäre? Anyway, das könnte durchaus ein wenig spannend werden. Und ja, natürlich brauchten John Lynch und Kyle Shanahan mal wieder ihren gefürchteten mid-round RB, erneut mit größerem Uptrade (logisch). Immerhin: Im Gegensatz zu etwa Tyrion Davis-Price passt Isaac Guerendo schematisch deutlich besser. Wie gesagt, mal beobachten, was da so noch passiert…

Kommen wir noch zu ein paar Fragen:

CeeDee: Team mit dem besten Draft? Rein auf die Spieler bezogen – ohne Blick auf Needs und „value“.

Puh, das fällt mir echt schwer zu beantworten. Value spielt ja eine entscheidende Rolle bei der Bewertung, genauso wie eine große Draftklasse natürlich ein wenig mehr Möglichkeiten auf Treffer bietet als eine kleine. Weiterhin ist unklar, ob ein Superstar (und sonst nix) am Ende mehr zählt als eine Klasse voller Contributors – in diesem Fall wären Klassen mit hohen 1st roundern natürlich im Vorteil.

Ich entscheide mich jetzt einfach für eine persönliche Perspektive, also Draftklassen, bei denen ich einen Großteil der Spieler mag oder höher als der Konsens einschätzte. Dazu gehören wie oben bereits dargelegt auf jeden Fall die Los Angeles Chargers. Ferner mag ich die Klassen der Buffalo Bills, Seattle Seahawks, Los Angeles Rams, mit Abstrichen auch der Philadelphia Eagles, Arizona Cardinals oder Baltimore Ravens. Mit wenigen Ausnahmen könnte man hier noch die Klasse der Las Vegas Raiders nennen, die zu Beginn eine krasse BPA-Strategie gefahren und am Ende ein paar spannende Flyer genommen haben. Und die Chicago Bears mit Williams und Odunze sowieso.

TheRealNeinhorn: Welche Teams haben dich im Draft mit ihren Picks so überrascht, dass du eine Veränderung der Spielweise/Teamstrategie erwartest? (Run vs Pass, Zone vs. Man)

Sehr spannende Frage, merci. Ich weiß nicht, ob ich in jedem Fall von „überrascht“ reden würde, aber hierzu fielen mir vor allem folgende Klassen bzw. Draftpicks ein:

  • Philadelphia Eagles: Wie ich oben schon ausführte, läuft hier alles auf eine Off (Zone)-ladtige Defense hin, wie sie der neue DC Vic Fangio öfter laufen ließ. Oder anders formuliert: Wenn man sich mit den ersten beiden Picks Quinyon Mitchell und Cooper DeJean holt, liegt die Präferenz der Ausrichtung der Secondary relativ nahe…
  • Los Angeles Rams: Hier scheint sich zumindest auf dem Papier eine Abkehr vom Wide Zone-Scheme anzudeuten, die allerdings schon in der vergangenen Saison begonnen hat. Sean McVay setzt auf einmal auf kräftigere Gap-Liner (s. Verpflichtung der beiden OGs Kevin Dotson und Jonah Jackson, letztjährige Draft von C/OG Steve Avila) und hat nun mit Kyren Williams und dem frisch gedrafteten Blake Corum zwei Runner, die gerade in diesen Schemes ihre klaren Stärken haben. Die späten Picks der beiden interior Liner C Beaux Limmer und OG KT Leveston könnten leicht auf ein (noch) stärkeres Commitment zum Gap Running hindeuten. Das wäre eine spannende Entwicklung: Während die NFL immer mehr in Richtung der explosiven Wide Zone-Offenses a la 49ers, Dolphins etc. tendiert und die Defenses unter anderem mit leichteren, lateral schnelleren Linebackern reagieren, könnte McVay hier „against the grain“ gehen und den nun leichten Defense-Fronts mit Anlauf und Power in die Fresse laufen. Definitiv ein spannender Gedanke.
  • Green Bay Packers: Noch wissen wir nicht, wie die neue Defense von Ex-Boston College HC Jeff Hafley aussehen wird, wenngleich viele (inklusive mir) mit mehr (Press) Man-Elementen und Blitzes rechnen. Interessant wird hier die Rolle der Safeties zu beobachten sein. Die Packers haben Xavier McKinney unter Vertrag genommen und gleich drei weitere Safeties gedraftet: Javon Bullard, Evan Williams und Kitan Oladapo. Davon sind McKinney und Bullard recht variabel einsetzbar (McKinney Centerfielder, Split-S und Box / Bullard Slot, Split-S und ggf. Box), Williams und Oladapo zumindest auf den ersten Blick eher eindimensionaler auf die Box festgelegt, wenngleich Williams etwas Off Slot-Erfahrung mitbringt und Oladapo mit seiner Erfahrung und Spielintelligenz bei den Beavers wirklich alle Positionen bekleidet hat. Gerade ihn könnte ich mit gegebenenfalls auch mal in anderen Alignments vorstellen. Es wird enorm spannend zu sehen sein, wie Hafley mit dieser jungen Safety-Garde umgehen wird. Aufgrund der Variabilität wären stärkere Disguises und post-Snap Rolls denkbar.

UDFAs: Die ganz tief vergrabenen Goldnuggets

Endlich sind wir bei meinem Spezialgebiet angelangt. Wie jedes Jahr freue ich mich nach dem Ende der Live-Coverage auf das Dessert: den Battle um die begehrtesten begehrtesten Undrafted Free Agents. Wie üblich sammle ich die bekannteren UDFAs live in einem Thread. Wer sich da mal durchwühlen will:

Zwar lässt sich über die Relevanz der UDFAs trefflich streiten, dennoch zeigen sich hier immer wieder besonders schön die Differenzen in den grundsätzlichen Strategien der NFL-Teams. Das betrifft zunächst natürlich das reine Volumen: Einige Teams haben das hintere Ende ihres Rosters durch ehemalige Practice Squad-Spieler und Street Free Agents schon vor der Draft ordentlich befüllt bis nah die die Obergrenze von 90 Spielern. Andere Teams haben ihr Roster von vielen Spielern bereinigt, die auf der Kippe stehen, um eine möglichst große Menge junger Spieler um die begehrten letzten Rosterplätze und die Practice Squad konkurrieren zu lassen.  

Diese unterschiedlichen Herangehensweisen könnten in diesem Jahr eine besonders hohe Relevanz aufweisen, gilt die aktuelle UDFA-Klasse doch – genau wie die late Rounder – im Vergleich als wenig hochkarätig, da aufgrund der finanziell attraktiven NIL-Regelungen sich eine größere Anzahl Spieler entschloss, für ein finales Jahr ans College zurückzukehren.

Aus der Menge der unter Vertrag genommenen UDFAs lässt sich übrigens nur schwerlich über die Tiefe des Rosters oder die Qualität des Teams schließen. Die meisten UDFAs landeten bei den Chiefs (24), gefolgt von den Panthers (20), also dem besten und dem schlechtesten Team der abgelaufenen Saison. Platz 3 teilen sich mit den Ravens und den Chargers (je 18) ebenfalls zwei Teams aus ganz unterschiedlichen Erfolgssphären. Besonders sparsam waren dagegen die Cardinals mit nur drei Verpflichtungen, gefolgt von den Texans, Steelers und Falcons (je 5).

Nicht nur die Zahl der UDFA differiert mitunter beträchtlich, sondern auch die Strategien. Einige Teams bemühen sich verstärkt um die hochpreisigeren Prospects, die vielerorts als Draftpicks erwartet worden waren. Andere Teams haben sehr spezifische Vorstellungen und schematische oder athletische Anforderungsprofile, nehmen höchstens einen oder zwei bekanntere Namen unter Vertrag und graben mitunter ein wenig tiefer bei kleineren Colleges.

Da es eine Rookie Cap gibt, die eine Obergrenze pro Team für die Signing Bonuses der UDFAs beinhaltet, arbeiten die Teams mittlerweile nur noch in Ausnahmen mit hohen Signing Bonuses und garantieren dafür mehr vom Grundgehalt (wofür es keine Grenze gibt). An den Signing Bonuses lässt sich dennoch einigermaßen gut ablesen, welche UDFAs besonders begehrt waren. Es liegen für nicht für alle UDFAs belastbare Zahlen vor, aber zumindest folgende UDFAs haben etwas dicker abkassiert:

CB Chigozie Anusiem (Colorado State) – Commanders (350.000 guaranteed)
DT Evan Anderson (FAU) – 49ers (280.000 guaranteed)
LB Curtis Jacobs (Penn State) – Chiefs (275.000 guaranteed)
OT Frank Crum (Wyoming) – Broncos (275.000 guaranteed)
RB Blake Watson (Memphis) – Broncos (275.000 guaranteed)
OT Anim Dankwah (Howard) – Eagles (275.000 guaranteed)
OT Ethan Driskell (Marshall) – Chiefs (265.000 guaranteed)
OG Gottlieb Ayedze (Maryland) – Eagles (250.000 guaranteed)
WR Jake Coker (Holy Cross) – Panthers (250.000 guaranteed)
RB Kendall Milton (Georgia) – Eagles (250.000 guaranteed)

Schon an den Top 10 lässt sich ganz gut erkennen, dass es Teams gibt, die offenbar eher gewillt sind als andere, ein paar Dollar in die Hand zu nehmen.

Kommen wir nun zu meinen Rankings der UDFA-Klassen. Aber Vorsicht ist geboten: Ich kenne natürlich nicht ansatzweise alle Spieler, geschweige denn habe sie intensiver verfolgt. Ich bin in der FCS und erst recht der Division II überhaupt nicht tief drin, das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass diese Prospects schlechtere Chancen auf einen Rosterspot hätten. Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder erlebt, dass die vergleichsweise namhafteren Talente eben doch nicht zufällig aus der Draft gefallen sind und einige vollkommen unbekannte Spieler in den Training Camps und der Preseason deutlich mehr auf sich aufmerksam machen konnten. CB Kader Kohou von Texas A&M Commerce ist hierfür einfach das beste Beispiel: Wirklich niemand hatte ihn auf dem Zettel, in „The Beast“ von Dane Brugler war er als Cornerback #94 (!) gelistet. Irgendein Scout der Miami Dolphins hat aber etwas in ihm gesehen – mit dem Ergebnis, dass Kohou in den letzten beiden Saisons insgesamt 29 Spiele in der regulären Saison und beide Partien in den Playoffs für die Dolphins startete. Darüber hinaus erinnere ich in dieser Rubrik jedes Jahr an Spieler wie Malcolm Butler oder Austin Ekeler erinnert, die nach der Draft noch nicht einmal einen UDFA-Vertrag bekamen, sondern sich erst über die Tryout Camps hocharbeiten mussten. Hat sich am Ende dennoch gelohnt. Von daher die Rankings und Vorlieben für bestimmte UDFA-Klassen mit Vorsicht genießen. Es kann alles ganz anders kommen.

Meine Top 5 UDFA-Klassen:

Minnesota Vikings: Die Vikings gehörten schon in den vergangenen Jahren zu den größten UDFA-Value-Jägern, doch diese Klasse übertrifft meiner Ansicht nach alles. Das beginnt damit, dass sie – erneut! – den am höchsten gerankten Spieler auf meinem Board verpflichtet haben, der aus der Draft gefallen ist. Letztes Jahr hat sich das bei LB Ivan Pace (bei mir mid/late 3rd) mehr als ausgezahlt. Wird es nun bei CB Dwight McGlothern (Arkansas, bei mir 3rd/4th) ähnlich erfolgreich laufen? Fraglich, aber bei ihm wundert es mich fast noch mehr, warum er nicht gepickt wurde. Instinktiver Off Zone Corner mit nicht ganz runder Technik, dafür großartiger Play Recognition und Ballskills, der Quarterbacks wiederholt zu schlechten Entscheidungen verleitet hat. Bringt trotz dürrem Frame einige Toughness mit. Ob er sich mit der Wahl der Vikings und ihrem vergleichsweise tiefen Cornerback Room einen Gefallen getan hat, weiß ich allerdings nicht. Auch EDGE Gabriel Murphy (UCLA) war eindeutig als Draftpick erwartet worden, sehr produktiver EDGE gegenüber von Laiatu Latu, der vor allem mit seiner lateral Quickness und seinen schnellen Händen (top Arm Over!) gewinnt, aber seine megakurzen Arme machten den NFL-Teams wohl zu große Sorgen. Weiterhin sicherten sich die Vikings zwei spannende und unterschiedliche Linebacker: einen meiner Sleeper mit dem extrem soliden Dallas Gant (Toledo) mit seinem extrem sicheren Tackling und guten Verhalten gegen Blocks, sowie den bulligen LB/EDGE Hybrid Bo Richter (Air Force) mit seiner herausragenden straight-line Athletik. Weiterhin beachtenswert: Undersized Receiving TE/H-Back Trey Knox (South Carolina), der nach seinem Transfer von Arkansas nicht mehr an den Impact der Vorsaison(s) heranreichte und überraschend langsam testete, sowie meinen deeper Sleeper WR Jeshaun Jones (Maryland), einen dynamischen Route Runner und Returner. Tolle Klasse, bin gespannt, ob sich da einer oder zwei gleich einen Roster-Platz sichern können…

Kansas City Chiefs: Nicht weit hinter den Vikings würde ich die Chiefs ranken, die nicht nur von ihrer großen Klasse profitieren, sondern darin einige Hochkaräter versammeln. Das eine Juwel der Klasse ist wohl der massige NT Fabian Lovett (FSU), der im vergangenen Sommer noch als potenzieller höherer Draftpick galt. Kein Spieler mit dicken Stats, aber in der Mitte selbst von double Teams kaum zu bewegen und mit neben seiner Masse mit unglaublicher Länge und riesigen Händen ausgestattet. Der zweite Kracher ist LB Curtis Jacobs (Penn State), ein enorm erfahrener Linebacker mit – wie üblich bei den Nittany Lions – exzellenter Athletik, der in den letzten Jahren von Blitzing bis TE-Coverage eigentlich alle Aufgaben solide wahrgenommen hat, jedoch ein paar Inkonstanzen in Run Defense und Tackling offenbarte. Zudem sicherten sich die Chiefs gleich zwei meiner fünf Sleeper-RBs der late Rounds/UDFA mit Emani Bailey (TCU, quick, elusive, tolle Moves, nette Contact Balance) und Carson Steele (UCLA, Power Back mit Leg Drive und solider Explosivität, dazu großartige blonde Matte). Dazu gabs mit dem elend langen OT Ethan Driskell (Marshall) einen der Top undrafted O-Liner. Weiterhin: den kräftigen und physischen sowie technisch soliden, leider weder schnellen noch wirklich quicken CB Christian Roland-Wallace (USC) sowie das Enigma mit den Dutzenden Colleges, den einst hochveranlagten 5-star Recruit EDGE Eyabi Okie-Anoma (Charlotte), der eigentlich tolle Anlagen mit seiner Explosivität und Dynamik around the edge mitbringt. Starke Klasse eines Teams, das nun wirklich nicht noch mehr Depth braucht…

Carolina Panthers: Zugegeben, auch hier spielen die vielen UDFAs womöglich eine Rolle, aber nicht nur, da einige Talente dieser Klasse bei mir höher gerankt waren. Die Panthers verpflichteten gleich drei (!) Receiver aus meinem Sleeper-Beitrag – und zwar nicht irgendwelche: Sie setzten damit ihre Suche nach großen, physischen Receivern mit Stärken am Catch Point fort, die sie in der ersten Runde mit Xavier Legette begonnen hatten. Prunkstück ist für mich eindeutig WR Jalen Coker (Holy Cross), bei dem ich wirklich überrascht bin, das er nicht gedraftet wurde. Small Schooler hin oder her: schlicht einer der besten Receiver am Catch Point mit seiner Körperkontrolle und seinen ultrastarken Händen. Die anderen beiden WRs Sam Pinckney (Coastal Carolina) und Devin Carter (West Virginia) sind tiefer gerankt, ich mag aber beide: Carter als großer Sideline/Perimeter WR, Pinckney mit seiner halben H-Back-Size als Legette für Arme. Auch sonst bietet die Klasse einiges: C Andrew Raym (Oklahoma) ist erfahren und battle-tested und war als Draftpick erwartet worden, was wohl letztlich seine marginale Athletik verhinderte. Ein ähnlicher Fall ist der ultraerfahrene Box-S Demani Richardson (Texas A&M, fünf Jahre Starter in der SEC, aggressiver harter Run Defender), dem ich in seiner true Freshman-Saison 2019 noch eine große Zukunft vorhersagte. Vielleicht noch bessere Chancen hat er enorm produktive Division II-CB Willie Drew (Virginia State), bei ihm ist nicht Speed oder Quickness (und erst recht nicht Ballskills), sondern Level of Competition das größte Fragezeichen. Mit der etwas undersized Tacklemaschine LB Jackson Mitchell (UConn) und dem dynamischen und shifty Mini-Back Jaden Shirden (Monmouth) gibt es noch weitere spannende Kandidaten.

New York Jets: Die Jets sicherten sich den vielleicht begehrtesten UDFA mit DT Leonard Taylor (Miami), der nach seiner exzellenten 2022er Sophomore-Season noch als Kandidat für die ersten beiden Runden galt, aber letztes Jahr gemessen an den Erwartungen enttäuschte (allerdings auch viel out of position als NT aufgestellt wurde). Junger, enorm talentierter DT mit sensationellem Getoff, nettem Gap Shooting und Power in den Händen, spielt jedoch viel zu unkontrolliert und nutzt daher seine Vorteile (noch) zu wenig. Auch die anderen prominenten UDFAs sind in den Lines zuhause: EDGE Braiden McGregor (Michigan) konnte die hohen Erwartungen nie erfüllen, bringt dennoch mit den raumgreifenden ersten Schritten, netter Handarbeit im Block und solider Wendigkeit ein paar Traits mit. EDGE Eric Watts (UConn) ist ein riesiger langer massiger DE mit starker Athletik und Power, dem etwas die Quickness und v.a. die Passrush-Technik abgeht. OG Brady Latham (Arkansas) galt als einer der besseren undrafted interior Liner. Ich mag zudem den langen physischen CB Jarius Monroe (Tulane), der es bei seinem mauen Speed aber schwer haben wird. Mal schauen, ob der Mega-Speedster Tyler Harrell (zuletzt Miami) nach zwei Jahren Dürre ein wenig Aufsehen erregen kann.

Seattle Seahawks: Die Seahawks haben eine ganze Reihe interessanter UDFAs verpflichtet. Der bekannteste ist wohl DE Nelson Ceaser (Houston), den die meisten Mitte des dritten Tages erwartet hatten. Kreativer Rusher mit solider Power und Beweglichkeit, dessen Augen nur noch sehr undiszipliniert sind und einige Plays zunichtemachen. OT Garret Greenfield (South Dakota State) war ein sehr begehrter O-Liner, den sich die Seahawks gegen einige Konkurrenz sicherten. Vier Jahre Starter beim FCS-Powerhouse, sehr beweglicher Spieler mit Footwork und großer Wingspan, der erstmal im NFL Weight Room etwas Power aufbauen wird. TE Jack Westover hat keinen langen Weg von Washington aus, wurde aber auch auf dem Feld nicht für die langen Wege eingesetzt und fungierte meist als underneath-Option, allerdings eine mit herausragenden Händen. RB George Holani (Boise State) ist ein extrem solider, eher unspektakulärer Runner ohne spektakuläre Stärken und ohne besondere Schwächen. Solche Typen halten sich gern mal. LB Easton Gibbs (Wyoming) ist das nächste Tacklemonster der Cowboys nach Logan Wilson und Chad Muma: quicker Linebacker mit guten Instinkten und sicherem Tackling, aufgrund seiner kurzen Arme allerdings in punkto Range und in Blocks limitiert. Die Liste der Seahawks ist bis in die hinteren Regionen mit Spielern besetzt, die ich mag: EDGE Richard Jibunor (Troy) ist deutlich undersized, aber tough, explosiv, recht wendig und enorm intensiv. Auch EDGE Sundiata Anderson (Grambling State) oder C Mike Novitsky (Kansas, Ex-Buffalo, einer meiner Sleeper als Zone-Center) sind nicht uninteressant…

Soweit die Top 5. Die Auswahl fiel mir nicht leicht, da es mir noch einige andere Klassen angetan haben. Knapp verpasst haben diese Auswahl etwa die Las Vegas Raiders, die vielleicht nicht unbedingt die am höchsten gerankten UDFAs abgestaubt haben, aber eine erstaunliche Menge von meinen Sleepern (QB Carter Bradley, LB Amari Gainer, EDGE Ron Stone, CB Ja’Quan Sheppard – wurden alle näher im Sleeper-Beitrag ausgiebig gewürdigt!) sowie ein paar weitere interessante Talente, etwa den quicken Air Raid-Slot (/inside WR) WR Tulu Griffin (Mississippi State) mit seinen YAC-Skills oder OT Andrew Coker (TCU), der bei den Horned Frogs vier Jahre auf beiden Tackle-Positionen startete.

Ein paar der kleineren Klassen wussten ebenfalls zu gefallen. Im Schnelldurchlauf:

  • Philadelphia Eagles: Die Eagles griffen vor allem im oberen Segment zu. Der lange DT Gabe Hall (Baylor) mit seinen schnellen ersten Schritten und seiner Disruptiveness war ebenso als Draftpick erwartet worden wie All-Name-OL Gottlieb Ayedze (Maryland). RB Kendall Milton (Georgia) konnte den Hype nie erfüllen, bringt aber ein nettes Size-Power-Paket mit. TE McCallan Castles (Tennessee) und S Andre‘ Sam (LSU) sind nette SEC-Depth.
  • Jacksonville Jaguars: S Josh Proctor (Ohio State) ist ein solider Safety mit guten Instinkten und Run Support, wäre ohne die lange Verletzungsgeschichte sicher gedraftet worden. WR Joshua Cephus (UTSA) war wohl mein Lieblings-Sleeper der Klasse, ein großer Slot mit Route Running und großartigen YAC-Skills. Dazu Small School-Phänomen WR David White (Western Carolina), den kräftigen DE Andre Carter (Indiana) oder Slasher-RB Lorenzo Lingard (Akron).

Einen Sonderfall stellen erneut die Los Angeles Rams dar. Die scheren sich schon während der Draft nicht unbedingt um die athletischen Tests bei der Combine oder den Pro Days, sondern arbeiten erstens fast ausschließlich mit Tracking-Daten, die die Athletik auf dem Feld messen, und legen zweitens einen wesentlich größeren Wert auf Leistung und Production am College. Ein Ansatz, den ich als primärer CFB-Fan natürlich ungemein sympathisch finde, ganz unabhängig von seiner Effizienz. So finden sich jedenfalls bei den Rams UDFAs eine ganze Menge produktiver, aber athletisch und/oder von der Size eher marginaler Prospects. In kurz: Die Rams suchen Football Player, nicht unbedingt Athleten. Beispiele hierfür sind etwa die beiden Slot-WR Sam Wiglusz (Ohio) und Drake Stoops (Oklahoma), TE Neal Johnson (Louisiana), DT Tuli Letuligansenoa (Washington), CB Josh Wallace (Michigan) sowie insbesondere die beiden S Kenny Logan (Kansas) und Jaylen McCullough (Tennessee). Mal schauen, ob da ein paar überraschen können.

Auch zu den UDFAs gab es natürlich ein paar Fragen. Die ersten beiden nehme ich mal zusammen, hoffe das ist okay so.

Bayerniner295: Anknüpfend an die Frage, es wird mit Sicherheit auch dieses Jahr wieder UDFAs geben die es auf die Roster diverser nfl teams landen, wo siehst du die 3 Player mit den größten Chancen?

Sebastian Uhlemann: Welcher UDFA wird deiner Meinung nach aufgrund des Landing Spots eine reelle Chance auf das Roster haben? (unabhängig der Positionsgruppe) Mir gefällt Joshua Cephus bei den Jax. Siehst du hier speziell Chancen?

Diese Fragen kommen verlässlich jedes Mal, doch kann ich sie leider nicht wirklich gut beantworten. Der Grund liegt schlicht darin, dass das nur zum Teil von der Qualität der UDFAs abhängt, sondern insbesondere von der jeweiligen Tiefe des NFL-Rosters auf einer spezifischen Position. Und da bin ich leider nicht wirklich gut informiert. Daher müsste ich hier ein wenig spekulieren oder einfach die eben bereits genannten höher gerankten aufzählen. Das wäre euch aber sicher zu redundant.

Wenn ich es mir ganz einfach machen will, nenne ich zuerst LS Peter Bowden (Wisconsin), der als bester Long Snapper der Klasse gilt und bei den Packers wohl recht gute Chancen auf den Posten haben dürfte.

Ansonsten sehe ich ein paar O-Liner mit ganz guten Gelegenheiten: OG Keaton Bills (Utah) bei den – richtig – Bills, OG Javion Cohen (Miami) bei den Browns oder OT Frank Crum (Wyoming) bei den Broncos. Der von mit bereits gepriesene WR Jalen Coker könnte bei den offensivschwachen Panthers durchaus gleich überzeugen. Doch auch bei besseren Rostern bestehen durchaus Chancen, so für den überraschend nicht gedrafteten S Beau Brade mit seinem all-around soliden Profil als Depth für die Ravens. Der angesprochene EDGE Gabriel Murphy bei den Vikings ist ebenfalls ein heißer Kandidat.

Und ich weiß nicht, ob du (Sebastian) die Frage absichtlich für mich so serviert hast oder nicht, aber über Joshua Cephus bei den Jaguars würde ich mich natürlich sehr freuen. Unter anderem hier findet ihr eine längere Lobeshymne auf ihn. Glaube nach wie vor, dass er eine relevante NFL-Zukunft hat.

Davon unabhängig bleibt die Frage, wer schnell einen Rosterspot ergattert, halt sehr vage aufgrund der vielen Faktoren, die außerhalb des Prospects liegen. Innerhalb der nächsten zwei Saisons werden es dann doch wieder eine ganze Menge UDFAs sein, die Spielzeit oder sogar Starts erhalten haben – nur welche ist die große Frage…

Florian Meilinger: Welche UDFA QB könnten einen Kaderplatz ergattern und bei wen siehst du das größte Potential, dass er auch eine längere Zukunft in der NFL haben könnte?

Zunächst mal würde ich mit „keiner“ antworten. Letztlich sind Geschichten wie die von Tyson Bagent im vergangenen Jahr nicht besonders häufig. Wenn ich die größten Chancen beziffern müsste, würde ich eher von den Rostern ausgehen und weniger von den UDFA-Quarterbacks, zumindest in der Tendenz.

Mein favorisierter late Round/UDFA-Quarterback Carter Bradley (South Alabama) hat bei den Raiders eine ganz gute Situation erwischt. Gardner Minshew und Aidan O’Connell werden sich um den Starterposten duellieren, er hat als Konkurrent um den 3rd string QB aktuell nur Anthon Brown – das scheint keine unlösbare Aufgabe zu sein.

Nicht ganz anders gestaltet sich die Situation bei den Colts für Kedon Slovis (BYU). Hinter Anthony Richardson und Joe Flacco wartet aktuell ‚nur‘ Sam Ehlinger, auch hier bietet sich eine recht reelle Chance bei starkem Trainingscamp, doch bleibe ich bei Slovis ein wenig skeptisch.

Oder einfach wie in der vergangenen Saison nochmal die Bears? Hinter Caleb Williams ist nicht gerade die allerbeste Depth vorhanden mit dem angesprochenen Tyson Bagent und Brett Rypien. Austin Reed (WKU) hat am College durchaus Spaß gemacht, wenngleich das Passspiel schon eher horizontal angelegt war, dennoch bringt er ein paar nicht unspannende Tools mit.

Wenn es um Potenzial für eine halbwegs längere NFL-Karriere geht, wären Bradley und Reed meine beiden ersten Kandidaten in der Reihenfolge. Doch erfahrungsgemäß stehen die Chancen für alle Kandidaten eher schlecht.

Hier mache ich mal den Cut. In Kürze erscheint dann der zweite Teil mit dem großen Mailbag.

Ein Gedanke zu „Das große Draft Recap 2024 (I)

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